Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

Bild:
<< vorherige Seite

zuschrifft.
sich denn nun nach der zeit zwahr bald eine herrliche gelegenheit darzu
durch deßen fügung ergeben/ aber solche (weil die zeiten jetziger ge-
richte etwas vollkommenes noch nicht zugeben) eben da eine reiche frucht
erfolgen solte/ wieder unterbrochen worden ist/ sehe ichs gleichwol als
ein nochmaliges zeugnüs meiner nicht vergebenen hoffnung über
Derselben an/ wenn der liebhaber seiner kirchen nach seiner Göttli-
chen treu S. Kön. Majest. und Chur-Fürstl. Durchl. hertz da-
hin gerühret/ vor etlichen jahren E. Exc. zu dem haupt und Prae-
sidenten
des so wichtigsten collegii des Ober-consistorii wieder zuver-
ordnen. Jch mag es mit recht so fern das wichtigste collegium nen-
nen/ indem von deßelben direction nicht allein der wolstand der Chur-
Sächsischen kirchen/ und also so vieler seelen heil/ in gewißer maß de-
pendi
ret/ sondern auch deswegen andere in mehrerm ansehen stehende
collegia von deßen guten verwaltung ein großes stück/ des ihnen nö-
thigen göttlichen seegens zuerwarten haben. Dabey ist mir aber
auch nicht verborgen/ wie ein großes und freylich mehr als menschli-
ches dazu gehöre/ das verlangte und erforderte in solcher stelle auszu-
richten. Es ist mir der gesamte zustand der Chur-Sächsischen kirchen
aus fünffjähriger erfahrung also bekant worden/ daß ich wol ehe da-
rüber seuffzen/ als mich deßen zufreuen ursach gesunden/ indem alles/
was wir billich auch bey andern theilen unserer armen Evangelischen
kirchen beklagen/ in wenigen stücken weniger als bey andern/ in man-
chen aber noch betrübter/ sich darinnen antreffen läßet. Daher solchen
kranckheiten zusteuren nechst göttlicher krafft/ kluge und von dieser dar-
zugnug ausgerüstete ärtzte nöthig sind. Sonderlich aber stecket die mei-
ste ursach/ so das verderben veranlaßet oder erhält/ in dem stand de-
rer/ welche demselben zuwehren hauptsächlich von Gott eingesetzet
und verordnet sind: da hingegen so viele/ bey denen niemal eine leben-
dige erkäntnüs Gottes in ihre seele gekommen/ und sie von ihrem na-
türlichen stand geändert hat/ sich bey kirchen und schulen finden/ von
denen die kirche nicht anders als mehr schaden denn nutzen erwarten
kan. Dann wie sie fleischlich gesinnet/ dem geitz/ ehrgeitz und wollust
dieser welt weder abgestorben sind/ noch derselben abzusterben begeh-
ren/ folglich die wahrheit der rechtfertigung und heiligung aus man-
gel der erfahrung nicht gründlich verstehen/ und (wie unser theure
Lutherus/ als er in der ersten kirchen-visitation in dem Churfürsten-

thum
) ( 2

zuſchrifft.
ſich denn nun nach der zeit zwahr bald eine herrliche gelegenheit darzu
durch deßen fuͤgung ergeben/ aber ſolche (weil die zeiten jetziger ge-
richte etwas vollkom̃enes noch nicht zugeben) eben da eine reiche frucht
erfolgen ſolte/ wieder unterbrochen worden iſt/ ſehe ichs gleichwol als
ein nochmaliges zeugnuͤs meiner nicht vergebenen hoffnung uͤber
Derſelben an/ wenn der liebhaber ſeiner kirchen nach ſeiner Goͤttli-
chen treu S. Koͤn. Majeſt. und Chur-Fuͤrſtl. Durchl. hertz da-
hin geruͤhret/ vor etlichen jahren E. Exc. zu dem haupt und Præ-
ſidenten
des ſo wichtigſten collegii des Ober-conſiſtorii wieder zuver-
ordnen. Jch mag es mit recht ſo fern das wichtigſte collegium nen-
nen/ indem von deßelben direction nicht allein der wolſtand der Chur-
Saͤchſiſchen kirchen/ und alſo ſo vieler ſeelen heil/ in gewißer maß de-
pendi
ret/ ſondern auch deswegen andere in mehrerm anſehen ſtehende
collegia von deßen guten verwaltung ein großes ſtuͤck/ des ihnen noͤ-
thigen goͤttlichen ſeegens zuerwarten haben. Dabey iſt mir aber
auch nicht verborgen/ wie ein großes und freylich mehr als menſchli-
ches dazu gehoͤre/ das verlangte und erforderte in ſolcher ſtelle auszu-
richten. Es iſt mir der geſamte zuſtand der Chur-Saͤchſiſchen kirchen
aus fuͤnffjaͤhriger erfahrung alſo bekant worden/ daß ich wol ehe da-
ruͤber ſeuffzen/ als mich deßen zufreuen urſach geſunden/ indem alles/
was wir billich auch bey andern theilen unſerer armen Evangeliſchen
kirchen beklagen/ in wenigen ſtuͤcken weniger als bey andern/ in man-
chen aber noch betruͤbter/ ſich darinnen antreffen laͤßet. Daher ſolchen
kranckheiten zuſteuren nechſt goͤttlicher krafft/ kluge uñ von dieſer dar-
zugnug ausgeruͤſtete aͤrtzte noͤthig ſind. Sondeꝛlich aber ſtecket die mei-
ſte urſach/ ſo das verderben veranlaßet oder erhaͤlt/ in dem ſtand de-
rer/ welche demſelben zuwehren hauptſaͤchlich von Gott eingeſetzet
und verordnet ſind: da hingegen ſo viele/ bey denen niemal eine leben-
dige erkaͤntnuͤs Gottes in ihre ſeele gekom̃en/ und ſie von ihrem na-
tuͤrlichen ſtand geaͤndert hat/ ſich bey kirchen und ſchulen finden/ von
denen die kirche nicht anders als mehr ſchaden denn nutzen erwarten
kan. Dann wie ſie fleiſchlich geſinnet/ dem geitz/ ehrgeitz und wolluſt
dieſer welt weder abgeſtorben ſind/ noch derſelben abzuſterben begeh-
ren/ folglich die wahrheit der rechtfertigung und heiligung aus man-
gel der erfahrung nicht gruͤndlich verſtehen/ und (wie unſer theure
Lutherus/ als er in der erſten kirchen-viſitation in dem Churfuͤrſten-

thum
) ( 2
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="dedication">
        <p><pb facs="#f0005"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">zu&#x017F;chrifft.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ich denn nun nach der zeit zwahr bald eine herrliche gelegenheit darzu<lb/>
durch deßen fu&#x0364;gung ergeben/ aber &#x017F;olche (weil die zeiten jetziger ge-<lb/>
richte etwas vollkom&#x0303;enes noch nicht zugeben) eben da eine reiche frucht<lb/>
erfolgen &#x017F;olte/ wieder unterbrochen worden i&#x017F;t/ &#x017F;ehe ichs gleichwol als<lb/>
ein nochmaliges zeugnu&#x0364;s meiner nicht vergebenen hoffnung u&#x0364;ber<lb/>
Der&#x017F;elben an/ wenn der liebhaber &#x017F;einer kirchen nach &#x017F;einer Go&#x0364;ttli-<lb/>
chen treu <hi rendition="#fr">S. Ko&#x0364;n. Maje&#x017F;t. und Chur-Fu&#x0364;r&#x017F;tl. Durchl.</hi> hertz da-<lb/>
hin geru&#x0364;hret/ vor etlichen jahren E. <hi rendition="#aq">Exc.</hi> zu dem haupt und <hi rendition="#aq">Præ-<lb/>
&#x017F;identen</hi> des &#x017F;o wichtig&#x017F;ten <hi rendition="#aq">collegii</hi> des Ober-<hi rendition="#aq">con&#x017F;i&#x017F;torii</hi> wieder zuver-<lb/>
ordnen. Jch mag es mit recht &#x017F;o fern das wichtig&#x017F;te <hi rendition="#aq">collegium</hi> nen-<lb/>
nen/ indem von deßelben <hi rendition="#aq">direction</hi> nicht allein der wol&#x017F;tand der Chur-<lb/>
Sa&#x0364;ch&#x017F;i&#x017F;chen kirchen/ und al&#x017F;o &#x017F;o vieler &#x017F;eelen heil/ in gewißer maß <hi rendition="#aq">de-<lb/>
pendi</hi>ret/ &#x017F;ondern auch deswegen andere in mehrerm an&#x017F;ehen &#x017F;tehende<lb/><hi rendition="#aq">collegia</hi> von deßen guten verwaltung ein großes &#x017F;tu&#x0364;ck/ des ihnen no&#x0364;-<lb/>
thigen go&#x0364;ttlichen &#x017F;eegens zuerwarten haben. Dabey i&#x017F;t mir aber<lb/>
auch nicht verborgen/ wie ein großes und freylich mehr als men&#x017F;chli-<lb/>
ches dazu geho&#x0364;re/ das verlangte und erforderte in &#x017F;olcher &#x017F;telle auszu-<lb/>
richten. Es i&#x017F;t mir der ge&#x017F;amte zu&#x017F;tand der Chur-Sa&#x0364;ch&#x017F;i&#x017F;chen kirchen<lb/>
aus fu&#x0364;nffja&#x0364;hriger erfahrung al&#x017F;o bekant worden/ daß ich wol ehe da-<lb/>
ru&#x0364;ber &#x017F;euffzen/ als mich deßen zufreuen ur&#x017F;ach ge&#x017F;unden/ indem alles/<lb/>
was wir billich auch bey andern theilen un&#x017F;erer armen Evangeli&#x017F;chen<lb/>
kirchen beklagen/ in wenigen &#x017F;tu&#x0364;cken weniger als bey andern/ in man-<lb/>
chen aber noch betru&#x0364;bter/ &#x017F;ich darinnen antreffen la&#x0364;ßet. Daher &#x017F;olchen<lb/>
kranckheiten zu&#x017F;teuren nech&#x017F;t go&#x0364;ttlicher krafft/ kluge un&#x0303; von die&#x017F;er dar-<lb/>
zugnug ausgeru&#x0364;&#x017F;tete a&#x0364;rtzte no&#x0364;thig &#x017F;ind. Sonde&#xA75B;lich aber &#x017F;tecket die mei-<lb/>
&#x017F;te ur&#x017F;ach/ &#x017F;o das verderben veranlaßet oder erha&#x0364;lt/ in dem &#x017F;tand de-<lb/>
rer/ welche dem&#x017F;elben zuwehren haupt&#x017F;a&#x0364;chlich von Gott einge&#x017F;etzet<lb/>
und verordnet &#x017F;ind: da hingegen &#x017F;o viele/ bey denen niemal eine leben-<lb/>
dige erka&#x0364;ntnu&#x0364;s Gottes in ihre &#x017F;eele gekom&#x0303;en/ und &#x017F;ie von ihrem na-<lb/>
tu&#x0364;rlichen &#x017F;tand gea&#x0364;ndert hat/ &#x017F;ich bey kirchen und &#x017F;chulen finden/ von<lb/>
denen die kirche nicht anders als mehr &#x017F;chaden denn nutzen erwarten<lb/>
kan. Dann wie &#x017F;ie flei&#x017F;chlich ge&#x017F;innet/ dem geitz/ ehrgeitz und wollu&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;er welt weder abge&#x017F;torben &#x017F;ind/ noch der&#x017F;elben abzu&#x017F;terben begeh-<lb/>
ren/ folglich die wahrheit der rechtfertigung und heiligung aus man-<lb/>
gel der erfahrung nicht gru&#x0364;ndlich ver&#x017F;tehen/ und (wie un&#x017F;er theure<lb/>
Lutherus/ als er in der er&#x017F;ten kirchen-<hi rendition="#aq">vi&#x017F;itation</hi> in dem Churfu&#x0364;r&#x017F;ten-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">) ( 2</fw><fw place="bottom" type="catch">thum</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0005] zuſchrifft. ſich denn nun nach der zeit zwahr bald eine herrliche gelegenheit darzu durch deßen fuͤgung ergeben/ aber ſolche (weil die zeiten jetziger ge- richte etwas vollkom̃enes noch nicht zugeben) eben da eine reiche frucht erfolgen ſolte/ wieder unterbrochen worden iſt/ ſehe ichs gleichwol als ein nochmaliges zeugnuͤs meiner nicht vergebenen hoffnung uͤber Derſelben an/ wenn der liebhaber ſeiner kirchen nach ſeiner Goͤttli- chen treu S. Koͤn. Majeſt. und Chur-Fuͤrſtl. Durchl. hertz da- hin geruͤhret/ vor etlichen jahren E. Exc. zu dem haupt und Præ- ſidenten des ſo wichtigſten collegii des Ober-conſiſtorii wieder zuver- ordnen. Jch mag es mit recht ſo fern das wichtigſte collegium nen- nen/ indem von deßelben direction nicht allein der wolſtand der Chur- Saͤchſiſchen kirchen/ und alſo ſo vieler ſeelen heil/ in gewißer maß de- pendiret/ ſondern auch deswegen andere in mehrerm anſehen ſtehende collegia von deßen guten verwaltung ein großes ſtuͤck/ des ihnen noͤ- thigen goͤttlichen ſeegens zuerwarten haben. Dabey iſt mir aber auch nicht verborgen/ wie ein großes und freylich mehr als menſchli- ches dazu gehoͤre/ das verlangte und erforderte in ſolcher ſtelle auszu- richten. Es iſt mir der geſamte zuſtand der Chur-Saͤchſiſchen kirchen aus fuͤnffjaͤhriger erfahrung alſo bekant worden/ daß ich wol ehe da- ruͤber ſeuffzen/ als mich deßen zufreuen urſach geſunden/ indem alles/ was wir billich auch bey andern theilen unſerer armen Evangeliſchen kirchen beklagen/ in wenigen ſtuͤcken weniger als bey andern/ in man- chen aber noch betruͤbter/ ſich darinnen antreffen laͤßet. Daher ſolchen kranckheiten zuſteuren nechſt goͤttlicher krafft/ kluge uñ von dieſer dar- zugnug ausgeruͤſtete aͤrtzte noͤthig ſind. Sondeꝛlich aber ſtecket die mei- ſte urſach/ ſo das verderben veranlaßet oder erhaͤlt/ in dem ſtand de- rer/ welche demſelben zuwehren hauptſaͤchlich von Gott eingeſetzet und verordnet ſind: da hingegen ſo viele/ bey denen niemal eine leben- dige erkaͤntnuͤs Gottes in ihre ſeele gekom̃en/ und ſie von ihrem na- tuͤrlichen ſtand geaͤndert hat/ ſich bey kirchen und ſchulen finden/ von denen die kirche nicht anders als mehr ſchaden denn nutzen erwarten kan. Dann wie ſie fleiſchlich geſinnet/ dem geitz/ ehrgeitz und wolluſt dieſer welt weder abgeſtorben ſind/ noch derſelben abzuſterben begeh- ren/ folglich die wahrheit der rechtfertigung und heiligung aus man- gel der erfahrung nicht gruͤndlich verſtehen/ und (wie unſer theure Lutherus/ als er in der erſten kirchen-viſitation in dem Churfuͤrſten- thum ) ( 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/5
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/5>, abgerufen am 21.11.2024.