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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
sache richter/ sondern sie haben die entscheidung anderwerts her zu erwarten:
entweder von der gesamten kirchen/ welche art die beste und der ordnung
Christi die gemässeste ist/ daß die gesamte gemeinde in den sachen urtheile/
wie viel von jeglichem/ dem sie die gewalt über sich gegeben/ und in was ord-
nung sie verwaltet haben wolle/ oder in anderer verfassung unserer kirchen vor
dem Consistorio, oder der obrigkeit/ zu dero gewalt auch in gewisser maaß das
urtheil in diesen eusserlichen streitsachen gehöret/ so aber billich auch dabey an-
dere ihrer ministrorum oder unpartheyische prediger um ihres gewissens ver-
wahrung willen mit zu rath zu ziehen hat. Was nachmal von solchen ge-
schlossen wird/ dem haben sich die partheyen billig zu submittiren/ als einer
sie verbindenden ordnung.

Die 2. Frag.
Was von änderung in kirchen-sachen insgemein und absonder-
lich von denen bey ihrer kirchen eingeführten zu halten seye?

ZUm allerfördersten ist hie vorauszusetzen/ daß nicht geredet werde von
der änderung der lehr/ oder der eigentlichen stücken des GOttesdienstes
an sich selbs; dann wie solche in keines menschen macht stehen/ sondern jene
aus dem göttlichen wort und offenbahrung hergenommen/ dieser nach der gött-
lichen einsetzung angerichtet werden muß/ und also hat wedereiniger mensch
noch auch die gantze kirche macht/ das geringste davon zu thun noch zu zusetzen/
dahero da die wahrheit einmal introduciret ist/ kan unmöglich
an eine änderung gedacht werden/ welche nicht eo ipso eine corruption
des guten wäre. Sondern wie was den vortrag der lehr und gewisse umstän-
de und ritus des dienstes anlangt/ der HErr nicht hat wollen alles so praecise
auffzeichnen lassen/ daß wir so zu reden eine austrückliche kirchen-ordnung/
liturgiam u. rituale in der schrifft hätten/ wovon wir in solchen fall auch nicht
abweichen dörfften/ also hat er aus seinem weisen rath besser befunden/ daß
der Christlichen kirchen in den eusserlichen dingen einige freyere hand gelassen
würde/ in solchen nebens-sachen/ was sie zu jeden zeiten und an ieden orten zur
andacht und erbauung das diensamste findet/ zu wehlen und anzuordnen. Von
diesem ist nun eigentl. die frage zu verstehen.

Da mercken wir nun 1. daß die änderung in solchen kirchen-sachen
an sich selbst nicht vor unrecht oder verwerfflich zu achten seye.
Wel-
ches wider die jenige zu mercken/ welche aberglaubischer weise allem dem jeni-
gen zuwider sind/ wo man etwas ändern und anderes neu einführen will/
bey welchen also bereits gnug ist/ um eine sache zu verwerffen/ wo sie neuer-
lich und aus dem alten herkommen nicht erweißlich ist. Welche meinung
zwahr offt gut gemeinet ist/ aber in dessen/ wo sie einwurtzelt/ an vielem gu-

Das andere Capitel.
ſache richter/ ſondern ſie haben die entſcheidung anderwerts her zu erwarten:
entweder von der geſamten kirchen/ welche art die beſte und der ordnung
Chriſti die gemaͤſſeſte iſt/ daß die geſamte gemeinde in den ſachen urtheile/
wie viel von jeglichem/ dem ſie die gewalt uͤber ſich gegeben/ und in was ord-
nung ſie verwaltet haben wolle/ odeꝛ in anderer verfaſſung unſerer kirchen voꝛ
dem Conſiſtorio, oder der obrigkeit/ zu dero gewalt auch in gewiſſer maaß das
urtheil in dieſen euſſerlichen ſtreitſachen gehoͤret/ ſo aber billich auch dabey an-
dere ihreꝛ miniſtrorum odeꝛ unpartheyiſche prediger um ihres gewiſſens ver-
wahrung willen mit zu rath zu ziehen hat. Was nachmal von ſolchen ge-
ſchloſſen wird/ dem haben ſich die partheyen billig zu ſubmittiren/ als einer
ſie verbindenden ordnung.

Die 2. Frag.
Was von aͤnderung in kirchen-ſachen insgemein und abſonder-
lich von denen bey ihrer kirchen eingefuͤhrten zu halten ſeye?

ZUm allerfoͤrderſten iſt hie vorauszuſetzen/ daß nicht geredet werde von
der aͤnderung der lehr/ oder der eigentlichen ſtuͤcken des GOttesdienſtes
an ſich ſelbs; dann wie ſolche in keines menſchen macht ſtehen/ ſondern jene
aus dem goͤttlichen wort und offenbahrung hergenom̃en/ dieſer nach der goͤtt-
lichen einſetzung angerichtet werden muß/ und alſo hat wedereiniger menſch
noch auch die gantze kirche macht/ das geringſte davon zu thun noch zu zuſetzen/
dahero da die wahrheit einmal introduciret iſt/ kan unmoͤglich
an eine aͤnderung gedacht werden/ welche nicht eo ipſo eine corruption
des guten waͤre. Sondern wie was den vortrag der lehr und gewiſſe umſtaͤn-
de und ritus des dienſtes anlangt/ der HErr nicht hat wollen alles ſo præcise
auffzeichnen laſſen/ daß wir ſo zu reden eine austruͤckliche kirchen-ordnung/
liturgiam u. rituale in der ſchrifft haͤtten/ wovon wir in ſolchẽ fall auch nicht
abweichen doͤrfften/ alſo hat er aus ſeinem weiſen rath beſſer befunden/ daß
der Chriſtlichen kirchen in den euſſerlichen dingen einige freyere hand gelaſſen
wuͤrde/ in ſolchen nebens-ſachen/ was ſie zu jeden zeiten und an ieden orten zur
andacht und erbauung das dienſamſte findet/ zu wehlen und anzuordnen. Von
dieſem iſt nun eigentl. die frage zu verſtehen.

Da mercken wir nun 1. daß die aͤnderung in ſolchen kirchen-ſachen
an ſich ſelbſt nicht vor unrecht oder verwerfflich zu achten ſeye.
Wel-
ches wider die jenige zu mercken/ welche aberglaubiſcher weiſe allem dem jeni-
gen zuwider ſind/ wo man etwas aͤndern und anderes neu einfuͤhren will/
bey welchen alſo bereits gnug iſt/ um eine ſache zu verwerffen/ wo ſie neuer-
lich und aus dem alten herkommen nicht erweißlich iſt. Welche meinung
zwahr offt gut gemeinet iſt/ aber in deſſen/ wo ſie einwurtzelt/ an vielem gu-

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[654/0670] Das andere Capitel. ſache richter/ ſondern ſie haben die entſcheidung anderwerts her zu erwarten: entweder von der geſamten kirchen/ welche art die beſte und der ordnung Chriſti die gemaͤſſeſte iſt/ daß die geſamte gemeinde in den ſachen urtheile/ wie viel von jeglichem/ dem ſie die gewalt uͤber ſich gegeben/ und in was ord- nung ſie verwaltet haben wolle/ odeꝛ in anderer verfaſſung unſerer kirchen voꝛ dem Conſiſtorio, oder der obrigkeit/ zu dero gewalt auch in gewiſſer maaß das urtheil in dieſen euſſerlichen ſtreitſachen gehoͤret/ ſo aber billich auch dabey an- dere ihreꝛ miniſtrorum odeꝛ unpartheyiſche prediger um ihres gewiſſens ver- wahrung willen mit zu rath zu ziehen hat. Was nachmal von ſolchen ge- ſchloſſen wird/ dem haben ſich die partheyen billig zu ſubmittiren/ als einer ſie verbindenden ordnung. Die 2. Frag. Was von aͤnderung in kirchen-ſachen insgemein und abſonder- lich von denen bey ihrer kirchen eingefuͤhrten zu halten ſeye? ZUm allerfoͤrderſten iſt hie vorauszuſetzen/ daß nicht geredet werde von der aͤnderung der lehr/ oder der eigentlichen ſtuͤcken des GOttesdienſtes an ſich ſelbs; dann wie ſolche in keines menſchen macht ſtehen/ ſondern jene aus dem goͤttlichen wort und offenbahrung hergenom̃en/ dieſer nach der goͤtt- lichen einſetzung angerichtet werden muß/ und alſo hat wedereiniger menſch noch auch die gantze kirche macht/ das geringſte davon zu thun noch zu zuſetzen/ dahero da die wahrheit einmal introduciret iſt/ kan unmoͤglich an eine aͤnderung gedacht werden/ welche nicht eo ipſo eine corruption des guten waͤre. Sondern wie was den vortrag der lehr und gewiſſe umſtaͤn- de und ritus des dienſtes anlangt/ der HErr nicht hat wollen alles ſo præcise auffzeichnen laſſen/ daß wir ſo zu reden eine austruͤckliche kirchen-ordnung/ liturgiam u. rituale in der ſchrifft haͤtten/ wovon wir in ſolchẽ fall auch nicht abweichen doͤrfften/ alſo hat er aus ſeinem weiſen rath beſſer befunden/ daß der Chriſtlichen kirchen in den euſſerlichen dingen einige freyere hand gelaſſen wuͤrde/ in ſolchen nebens-ſachen/ was ſie zu jeden zeiten und an ieden orten zur andacht und erbauung das dienſamſte findet/ zu wehlen und anzuordnen. Von dieſem iſt nun eigentl. die frage zu verſtehen. Da mercken wir nun 1. daß die aͤnderung in ſolchen kirchen-ſachen an ſich ſelbſt nicht vor unrecht oder verwerfflich zu achten ſeye. Wel- ches wider die jenige zu mercken/ welche aberglaubiſcher weiſe allem dem jeni- gen zuwider ſind/ wo man etwas aͤndern und anderes neu einfuͤhren will/ bey welchen alſo bereits gnug iſt/ um eine ſache zu verwerffen/ wo ſie neuer- lich und aus dem alten herkommen nicht erweißlich iſt. Welche meinung zwahr offt gut gemeinet iſt/ aber in deſſen/ wo ſie einwurtzelt/ an vielem gu-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 654. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/670>, abgerufen am 22.11.2024.