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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ternehmen oder einbilden stillschweigens gestrafft hat. Wie hingegen
durch eben dieses beginnen die göttliche weißheit gleichsam beschuldiget
wird/ daß sie nicht selbs solche beständige liturgias und formularen uns vor-
geschrieben hätte; massen wo solches nach jetziger unsrer bewandnüß müglich/
man auffs wenigste bekennen solte/ daß sie etwas unterlassen/ damit der kir-
chen wohl gerathen gewesen wäre.

2. Hiebey ist auch zu mercken/ daß in einer gemeinde auch nicht alles auf
einmahl und zu einer zeit einzuführen und anzuordnen müglich ist/ wo eine
kirche erst gepflantzet wird/ und also auch da durch die selige reformation der
Evangelische gottesdienst hie und da eingeführet worden/ ferner wo etwa ei-
niges orts alles in zimliche unordnung und verwirrung eine weil gerathen/
und nachmahl wieder zurecht gebracht wird/ so läßt sich nicht stracks alles thun
und anstellen. Man muß da zu frieden seyn/ wo man nur das eusserst noth-
wendige anordnen und beschicken kan/ damit man die sache nicht zu anfang
übertreibe/ die leute/ die erst etwas gewohnen müssen/ überlade/ und nur
schwehren und künfftig schädlichen verdruß dadurch erwecke. Jst nun das
erste und nothwendigste einmal in rechten schwang gebracht/ so mag man wei-
ter fortfahren/ und den leuten immer mehr zumuthen/ was ihnen alsdann
erbaulich seyn kan/ das zu erst dem guten mehr anstoß gemachet hätte. Al-
so kan wohl ein Christ-kluger mann/ welcher eine gemeinde erst anordnete/
viele dinge vorsehen/ die sehr nützlich und dermaleins nöthig seyn werden/ die
er doch stracks einzuführen billig bedencken hätte/ weil die zeit es wohl nicht
zugibet. Es kan auch allgemach sich ein und anders weisen/ was
nutzen schaffet/ so man zu er auch nicht hätte vorsehen können. Ja
es sind einige sachen etwa zu einer zeit unmüglich/ und würde die arbeit
solche zu bewerckstelligen vergebens seyen/ oder auch die künfftige hoffnung
verderben: sie werden aber ein andermal müglich/ und sollen also billich zu
der kirchen besten angeordnet werden. Allem diesem stünde die einbildung
in dem weg/ welche alle änderung verwerffen wollte/ und also entweder der
menschlichen klugheit allzuviel zutraute/ daß sie auff einmal/ was einmal
nützlich seyn könte/ ohne fehl voran zusehen und müglich zumachen vermöch-
te/ daß also nichts wahrhafftig bessers jemal weiter von jemand gefunden
zu werden müglich wäre (welches wer von sich oder andern glaubte/ in sei-
ner einbildung gewiß allzuweit sich verginge) oder die kirche um allen denje-
nigen nutzen brächte/ welchen sie von den dingen erwartete/ die eben nicht
stracks anfangs sich haben thun lassen.

3. Wir erinnern uns billig dabey/ daß ohne das unser gantzes Chri-
stenthum in einer stäten erneuerung und wachsthum bestehet. Wir haben
den befehl den neuen menschen anzuziehen Ephes. 4. Col. 3. der wie

er

Das andere Capitel.
ternehmen oder einbilden ſtillſchweigens geſtrafft hat. Wie hingegen
durch eben dieſes beginnen die goͤttliche weißheit gleichſam beſchuldiget
wird/ daß ſie nicht ſelbs ſolche beſtaͤndige liturgias und formularen uns vor-
geſchrieben haͤtte; maſſen wo ſolches nach jetziger unſrer bewandnuͤß muͤglich/
man auffs wenigſte bekennen ſolte/ daß ſie etwas unterlaſſen/ damit der kir-
chen wohl gerathen geweſen waͤre.

2. Hiebey iſt auch zu mercken/ daß in einer gemeinde auch nicht alles auf
einmahl und zu einer zeit einzufuͤhren und anzuordnen muͤglich iſt/ wo eine
kirche erſt gepflantzet wird/ und alſo auch da durch die ſelige reformation der
Evangeliſche gottesdienſt hie und da eingefuͤhret worden/ ferner wo etwa ei-
niges orts alles in zimliche unordnung und verwirrung eine weil gerathen/
und nachmahl wieder zurecht gebracht wird/ ſo laͤßt ſich nicht ſtracks alles thun
und anſtellen. Man muß da zu frieden ſeyn/ wo man nur das euſſerſt noth-
wendige anordnen und beſchicken kan/ damit man die ſache nicht zu anfang
uͤbertreibe/ die leute/ die erſt etwas gewohnen muͤſſen/ uͤberlade/ und nur
ſchwehren und kuͤnfftig ſchaͤdlichen verdruß dadurch erwecke. Jſt nun das
erſte und nothwendigſte einmal in rechten ſchwang gebracht/ ſo mag man wei-
ter fortfahren/ und den leuten immer mehr zumuthen/ was ihnen alsdann
erbaulich ſeyn kan/ das zu erſt dem guten mehr anſtoß gemachet haͤtte. Al-
ſo kan wohl ein Chriſt-kluger mann/ welcher eine gemeinde erſt anordnete/
viele dinge vorſehen/ die ſehr nuͤtzlich und dermaleins noͤthig ſeyn werden/ die
er doch ſtracks einzufuͤhren billig bedencken haͤtte/ weil die zeit es wohl nicht
zugibet. Es kan auch allgemach ſich ein und anders weiſen/ was
nutzen ſchaffet/ ſo man zu er auch nicht haͤtte vorſehen koͤnnen. Ja
es ſind einige ſachen etwa zu einer zeit unmuͤglich/ und wuͤrde die arbeit
ſolche zu bewerckſtelligen vergebens ſeyen/ oder auch die kuͤnfftige hoffnung
verderben: ſie werden aber ein andermal muͤglich/ und ſollen alſo billich zu
der kirchen beſten angeordnet werden. Allem dieſem ſtuͤnde die einbildung
in dem weg/ welche alle aͤnderung verwerffen wollte/ und alſo entweder der
menſchlichen klugheit allzuviel zutraute/ daß ſie auff einmal/ was einmal
nuͤtzlich ſeyn koͤnte/ ohne fehl voran zuſehen und muͤglich zumachen vermoͤch-
te/ daß alſo nichts wahrhafftig beſſers jemal weiter von jemand gefunden
zu werden muͤglich waͤre (welches wer von ſich oder andern glaubte/ in ſei-
ner einbildung gewiß allzuweit ſich verginge) oder die kirche um allen denje-
nigen nutzen braͤchte/ welchen ſie von den dingen erwartete/ die eben nicht
ſtracks anfangs ſich haben thun laſſen.

3. Wir erinnern uns billig dabey/ daß ohne das unſer gantzes Chri-
ſtenthum in einer ſtaͤten erneuerung und wachsthum beſtehet. Wir haben
den befehl den neuen menſchen anzuziehen Epheſ. 4. Col. 3. der wie

er
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[656/0672] Das andere Capitel. ternehmen oder einbilden ſtillſchweigens geſtrafft hat. Wie hingegen durch eben dieſes beginnen die goͤttliche weißheit gleichſam beſchuldiget wird/ daß ſie nicht ſelbs ſolche beſtaͤndige liturgias und formularen uns vor- geſchrieben haͤtte; maſſen wo ſolches nach jetziger unſrer bewandnuͤß muͤglich/ man auffs wenigſte bekennen ſolte/ daß ſie etwas unterlaſſen/ damit der kir- chen wohl gerathen geweſen waͤre. 2. Hiebey iſt auch zu mercken/ daß in einer gemeinde auch nicht alles auf einmahl und zu einer zeit einzufuͤhren und anzuordnen muͤglich iſt/ wo eine kirche erſt gepflantzet wird/ und alſo auch da durch die ſelige reformation der Evangeliſche gottesdienſt hie und da eingefuͤhret worden/ ferner wo etwa ei- niges orts alles in zimliche unordnung und verwirrung eine weil gerathen/ und nachmahl wieder zurecht gebracht wird/ ſo laͤßt ſich nicht ſtracks alles thun und anſtellen. Man muß da zu frieden ſeyn/ wo man nur das euſſerſt noth- wendige anordnen und beſchicken kan/ damit man die ſache nicht zu anfang uͤbertreibe/ die leute/ die erſt etwas gewohnen muͤſſen/ uͤberlade/ und nur ſchwehren und kuͤnfftig ſchaͤdlichen verdruß dadurch erwecke. Jſt nun das erſte und nothwendigſte einmal in rechten ſchwang gebracht/ ſo mag man wei- ter fortfahren/ und den leuten immer mehr zumuthen/ was ihnen alsdann erbaulich ſeyn kan/ das zu erſt dem guten mehr anſtoß gemachet haͤtte. Al- ſo kan wohl ein Chriſt-kluger mann/ welcher eine gemeinde erſt anordnete/ viele dinge vorſehen/ die ſehr nuͤtzlich und dermaleins noͤthig ſeyn werden/ die er doch ſtracks einzufuͤhren billig bedencken haͤtte/ weil die zeit es wohl nicht zugibet. Es kan auch allgemach ſich ein und anders weiſen/ was nutzen ſchaffet/ ſo man zu er auch nicht haͤtte vorſehen koͤnnen. Ja es ſind einige ſachen etwa zu einer zeit unmuͤglich/ und wuͤrde die arbeit ſolche zu bewerckſtelligen vergebens ſeyen/ oder auch die kuͤnfftige hoffnung verderben: ſie werden aber ein andermal muͤglich/ und ſollen alſo billich zu der kirchen beſten angeordnet werden. Allem dieſem ſtuͤnde die einbildung in dem weg/ welche alle aͤnderung verwerffen wollte/ und alſo entweder der menſchlichen klugheit allzuviel zutraute/ daß ſie auff einmal/ was einmal nuͤtzlich ſeyn koͤnte/ ohne fehl voran zuſehen und muͤglich zumachen vermoͤch- te/ daß alſo nichts wahrhafftig beſſers jemal weiter von jemand gefunden zu werden muͤglich waͤre (welches wer von ſich oder andern glaubte/ in ſei- ner einbildung gewiß allzuweit ſich verginge) oder die kirche um allen denje- nigen nutzen braͤchte/ welchen ſie von den dingen erwartete/ die eben nicht ſtracks anfangs ſich haben thun laſſen. 3. Wir erinnern uns billig dabey/ daß ohne das unſer gantzes Chri- ſtenthum in einer ſtaͤten erneuerung und wachsthum beſtehet. Wir haben den befehl den neuen menſchen anzuziehen Epheſ. 4. Col. 3. der wie er

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/672>, abgerufen am 22.11.2024.