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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
seinem vorsatz und gnade/ die uns gegeben ist in Christo JEsu/ vor der
zeit der welt/ ietzt aber offenbahret durch die Erscheinung unsers Hei-
landes JEsu Christi/ der dem tod die macht genommen/ und das leben
und ein unvergängliches wesen ans licht bracht/ durch das Evangelium.

Daher heißt auch das Evangelium ein Evangelium von unsrer seligkeit.
Eph. 1/ 13. nicht nur/ daß es davon zeuget/ sondern sie uns darreichet.

10. Was endlich die absolution und die H. Sacramenten anlangt/ gehö-
ren dieselbe bloß zu dem Evangelio/ und hat das gesetze damit nichts zu thun:
welches so offenbahr/ daß auch nicht nöthig ist/ einiges wort weiter darüber zu
verliehren.

Hiemit ist gnug gewiesen/ daß nicht das gesetz/ sondern das Evangelium
das hauptwerck eines Predigers seye: ob er wol das gesetz auch predigen muß/
so wol wegen der noch unbekehrten/ die hertzen zu zerschmeissen und zur buß be-
qvem zu machen/ als auch wegen der bereits wiedergebohrnen/ ihrem alten
Adam seine trägheit zu vertreiben/ und ihnen die regel ihres lebens deutlich vor
augen zu legen: Es kan auch die nothwendigkeit des gesetzes zu gewissen zeiten
und an gewissen orten so viel grösser werden/ als die bewandnus der leute ist/
mit denen mans zu thun hat. Jndessen bleibet das Evangelium allezeit das
hauptwerck/ und darff nicht allein den frommen und gläubigen/ sondern auch
den ruchlosen und bösen (die sonsten vor sich selbs unter dem gesetz liegen) gepre-
diget werden: jenen ersten zwahr als ihr eigen gut und mit der application auff
sie/ ihren glauben zu stärcken/ und insgesamt den wachsthum ihres innern men-
schen zu befordern: den anderen aber/ die göttliche gnade und dero herrlichkeit
vorzuhalten/ ob sie allgemach zu einem bußfertigen verlangen/ und also folglich
der wahren bekehrung/ gebracht werden möchten: Jndessen da beyde diese theil
der göttlichen lehre stets neben einander müssen getrieben werden/ so gehöret
dazu eine göttliche weisheit bey dem/ der da lehren solle/ daß er das wort recht
theile/ und iedem das seinige heylsamlich wiederfahren lasse: und nachdem sol-
che weisheit über alles menschliche vermögen ist/ muß sie von dem himmlischen
Vater demüthigst erbeten werden.

Die II. Frage.
Ob die redensart: Jn hundert jahren wird durch
alle gesetzpredigten an sich selbs kein mensch bekehret/
wider die Heil. Schrifft und unsre Symbolische
bücher streite?

JCh bin nicht in abrede/ daß ich diese wort in hiesiger antritts-Predigt
gebraucht/ wie sie daselbs p. 424. zu lesen sind/ und wol seyn mag/ daß

ich

Das andere Capitel.
ſeinem vorſatz und gnade/ die uns gegeben iſt in Chriſto JEſu/ vor der
zeit der welt/ ietzt aber offenbahret durch die Erſcheinung unſers Hei-
landes JEſu Chriſti/ der dem tod die macht genommen/ und das leben
und ein unvergaͤngliches weſen ans licht bracht/ durch das Evangelium.

Daher heißt auch das Evangelium ein Evangelium von unſrer ſeligkeit.
Eph. 1/ 13. nicht nur/ daß es davon zeuget/ ſondern ſie uns darreichet.

10. Was endlich die abſolution und die H. Sacramenten anlangt/ gehoͤ-
ren dieſelbe bloß zu dem Evangelio/ und hat das geſetze damit nichts zu thun:
welches ſo offenbahr/ daß auch nicht noͤthig iſt/ einiges wort weiter daruͤber zu
verliehren.

Hiemit iſt gnug gewieſen/ daß nicht das geſetz/ ſondern das Evangelium
das hauptwerck eines Predigers ſeye: ob er wol das geſetz auch predigen muß/
ſo wol wegen der noch unbekehrten/ die hertzen zu zerſchmeiſſen und zur buß be-
qvem zu machen/ als auch wegen der bereits wiedergebohrnen/ ihrem alten
Adam ſeine traͤgheit zu vertreiben/ und ihnen die regel ihres lebens deutlich vor
augen zu legen: Es kan auch die nothwendigkeit des geſetzes zu gewiſſen zeiten
und an gewiſſen orten ſo viel groͤſſer werden/ als die bewandnus der leute iſt/
mit denen mans zu thun hat. Jndeſſen bleibet das Evangelium allezeit das
hauptwerck/ und darff nicht allein den frommen und glaͤubigen/ ſondern auch
den ruchloſen und boͤſen (die ſonſten vor ſich ſelbs unter dem geſetz liegen) gepre-
diget werden: jenen erſten zwahr als ihr eigen gut und mit der application auff
ſie/ ihren glauben zu ſtaͤrcken/ und insgeſamt den wachsthum ihres innern men-
ſchen zu befordern: den anderen aber/ die goͤttliche gnade und dero herrlichkeit
vorzuhalten/ ob ſie allgemach zu einem bußfertigen verlangen/ und alſo folglich
der wahren bekehrung/ gebracht werden moͤchten: Jndeſſen da beyde dieſe theil
der goͤttlichen lehre ſtets neben einander muͤſſen getrieben werden/ ſo gehoͤret
dazu eine goͤttliche weisheit bey dem/ der da lehren ſolle/ daß er das wort recht
theile/ und iedem das ſeinige heylſamlich wiederfahren laſſe: und nachdem ſol-
che weisheit uͤber alles menſchliche vermoͤgen iſt/ muß ſie von dem himmliſchen
Vater demuͤthigſt erbeten werden.

Die II. Frage.
Ob die redensart: Jn hundert jahren wird durch
alle geſetzpredigten an ſich ſelbs kein menſch bekehret/
wider die Heil. Schrifft und unſre Symboliſche
buͤcher ſtreite?

JCh bin nicht in abrede/ daß ich dieſe wort in hieſiger antritts-Predigt
gebraucht/ wie ſie daſelbs p. 424. zu leſen ſind/ und wol ſeyn mag/ daß

ich
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[8/0808] Das andere Capitel. ſeinem vorſatz und gnade/ die uns gegeben iſt in Chriſto JEſu/ vor der zeit der welt/ ietzt aber offenbahret durch die Erſcheinung unſers Hei- landes JEſu Chriſti/ der dem tod die macht genommen/ und das leben und ein unvergaͤngliches weſen ans licht bracht/ durch das Evangelium. Daher heißt auch das Evangelium ein Evangelium von unſrer ſeligkeit. Eph. 1/ 13. nicht nur/ daß es davon zeuget/ ſondern ſie uns darreichet. 10. Was endlich die abſolution und die H. Sacramenten anlangt/ gehoͤ- ren dieſelbe bloß zu dem Evangelio/ und hat das geſetze damit nichts zu thun: welches ſo offenbahr/ daß auch nicht noͤthig iſt/ einiges wort weiter daruͤber zu verliehren. Hiemit iſt gnug gewieſen/ daß nicht das geſetz/ ſondern das Evangelium das hauptwerck eines Predigers ſeye: ob er wol das geſetz auch predigen muß/ ſo wol wegen der noch unbekehrten/ die hertzen zu zerſchmeiſſen und zur buß be- qvem zu machen/ als auch wegen der bereits wiedergebohrnen/ ihrem alten Adam ſeine traͤgheit zu vertreiben/ und ihnen die regel ihres lebens deutlich vor augen zu legen: Es kan auch die nothwendigkeit des geſetzes zu gewiſſen zeiten und an gewiſſen orten ſo viel groͤſſer werden/ als die bewandnus der leute iſt/ mit denen mans zu thun hat. Jndeſſen bleibet das Evangelium allezeit das hauptwerck/ und darff nicht allein den frommen und glaͤubigen/ ſondern auch den ruchloſen und boͤſen (die ſonſten vor ſich ſelbs unter dem geſetz liegen) gepre- diget werden: jenen erſten zwahr als ihr eigen gut und mit der application auff ſie/ ihren glauben zu ſtaͤrcken/ und insgeſamt den wachsthum ihres innern men- ſchen zu befordern: den anderen aber/ die goͤttliche gnade und dero herrlichkeit vorzuhalten/ ob ſie allgemach zu einem bußfertigen verlangen/ und alſo folglich der wahren bekehrung/ gebracht werden moͤchten: Jndeſſen da beyde dieſe theil der goͤttlichen lehre ſtets neben einander muͤſſen getrieben werden/ ſo gehoͤret dazu eine goͤttliche weisheit bey dem/ der da lehren ſolle/ daß er das wort recht theile/ und iedem das ſeinige heylſamlich wiederfahren laſſe: und nachdem ſol- che weisheit uͤber alles menſchliche vermoͤgen iſt/ muß ſie von dem himmliſchen Vater demuͤthigſt erbeten werden. Die II. Frage. Ob die redensart: Jn hundert jahren wird durch alle geſetzpredigten an ſich ſelbs kein menſch bekehret/ wider die Heil. Schrifft und unſre Symboliſche buͤcher ſtreite? JCh bin nicht in abrede/ daß ich dieſe wort in hieſiger antritts-Predigt gebraucht/ wie ſie daſelbs p. 424. zu leſen ſind/ und wol ſeyn mag/ daß ich

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/808>, abgerufen am 22.11.2024.