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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
mit ausdrücklich von dem irrthum der jenigen/ in dero gemeinschafft man sie/ so
gar auch ohne ziemlichen schein/ ziehen wolte.

Die IV. Frage.
Ob derjenige/ welcher saget: durchs blosse gesetz
werde niemand bekehret/ ein gesetzstürmer zu nennen seye/
also daß er das gantze gesetz verwerffe?

ES geschiehet abermal mit dieser aufflage der wahrheit solcher lehr viel
zu viel/ dann der gesetzstürmer oder Antinomorum meinung war diese/
daß das gesetz solle abgethan/ aus der kirchen von den cantzeln weg-
genommen/ und auff das rathhauß verwiesen werden: da hingegen ich dem
gesetz seinen platz und zwahr auff der Cantzel/ und in absicht auff die ordnung
unsers heils/ gern lasse/ und bekenne/ wo solches abgeschaffet würde/ daß
eben damit auch dem Evangelio seine krafft in gewisser maß würde entzogen
werden/ weil zu deroselben ausübung die hertzen erstlich durch das gesetz müs-
sen in gewisser maß bereitet werden/ welches alles die gesetzstürmer nicht zu-
geben. Will man aber alles vor Antinomisch halten/ wo man dem gesetz die
seligkeit nicht zuschreibet/ so höre man unsern lieben Lutherum, wann er in der
2. Disp. wider die gesetzstürmer/ da er gewißlich nichts ihnen zu gefallen geschrie-
ben haben wird. T. 7. Alt. f. 317. b. 318. a. also schreibet: Das gesetz ist nicht
allein unnöthig/ daß der mensch dadurch gerecht werde/ sondern gantz
unnütz und aller dinge unmüglich. Welche aber der meinung das gesetz
halten/ daß sie dardurch wollen gerecht werden/ denselben wird das
gesetz auch ein gifft/ und pestilentz zur gerechtigkeit:
Wiederumb: Denn
das gesetz ist nicht gegeben/ daß es gerecht oder lebendig mache/ oder etwas
helffe zur gerechtigkeit: sondern daß es die sünde anzeige/ und zorn würcke/
das ist/ daß es das gewissen überzeuge und beschuldige.
Mehrers will die an-
gefochtene proposition nicht/ und also ist sie nicht Antinomisch. Wer sie aber ver-
wirfft/ muß deroselben contradictoriam annehmen: welche also lauten wird:
durch das gesetz an sich selbs (und also in gegensatz des Evangelii) kan der mensch
bekehret werden. Wer nun diese behauptet/ wie dann derselbe sie behaupten
muß/ der die contradictoriam vor falsch hält/ heget damit einen groben Pela-
gianismum,
welches ich also erweise: Wer davor hält/ daß der mensch aus
eignen seinen kräfften und ohne die krafft des Heil. Geistes bekehret werde/ he-
get den groben Pelagianismum, wer lehret/ daß der mensch durch das gesetz an
sich selbs bekehret werde/ hält davor/ daß der mensch aus seinen eignen kräfften

und

Das andere Capitel.
mit ausdruͤcklich von dem irrthum der jenigen/ in dero gemeinſchafft man ſie/ ſo
gar auch ohne ziemlichen ſchein/ ziehen wolte.

Die IV. Frage.
Ob derjenige/ welcher ſaget: durchs bloſſe geſetz
werde niemand bekehret/ ein geſetzſtuͤrmer zu nennen ſeye/
alſo daß er das gantze geſetz verwerffe?

ES geſchiehet abermal mit dieſer aufflage der wahrheit ſolcher lehr viel
zu viel/ dann der geſetzſtuͤrmer oder Antinomorum meinung war dieſe/
daß das geſetz ſolle abgethan/ aus der kirchen von den cantzeln weg-
genommen/ und auff das rathhauß verwieſen werden: da hingegen ich dem
geſetz ſeinen platz und zwahr auff der Cantzel/ und in abſicht auff die ordnung
unſers heils/ gern laſſe/ und bekenne/ wo ſolches abgeſchaffet wuͤrde/ daß
eben damit auch dem Evangelio ſeine krafft in gewiſſer maß wuͤrde entzogen
werden/ weil zu deroſelben ausuͤbung die hertzen erſtlich durch das geſetz muͤſ-
ſen in gewiſſer maß bereitet werden/ welches alles die geſetzſtuͤrmer nicht zu-
geben. Will man aber alles vor Antinomiſch halten/ wo man dem geſetz die
ſeligkeit nicht zuſchreibet/ ſo hoͤre man unſern lieben Lutherum, wann er in der
2. Diſp. wider die geſetzſtuͤrmer/ da er gewißlich nichts ihnen zu gefallen geſchrie-
ben haben wird. T. 7. Alt. f. 317. b. 318. a. alſo ſchreibet: Das geſetz iſt nicht
allein unnoͤthig/ daß der menſch dadurch gerecht werde/ ſondern gantz
unnuͤtz und aller dinge unmuͤglich. Welche aber der meinung das geſetz
halten/ daß ſie dardurch wollen gerecht werden/ denſelben wird das
geſetz auch ein gifft/ und peſtilentz zur gerechtigkeit:
Wiederumb: Denn
das geſetz iſt nicht gegeben/ daß es gerecht oder lebendig mache/ oder etwas
helffe zur gerechtigkeit: ſondern daß es die ſuͤnde anzeige/ und zorn wuͤrcke/
das iſt/ daß es das gewiſſen uͤberzeuge und beſchuldige.
Mehrers will die an-
gefochtene propoſition nicht/ und alſo iſt ſie nicht Antinomiſch. Wer ſie aber ver-
wirfft/ muß deroſelben contradictoriam annehmen: welche alſo lauten wird:
durch das geſetz an ſich ſelbs (und alſo in gegenſatz des Evangelii) kan der menſch
bekehret werden. Wer nun dieſe behauptet/ wie dann derſelbe ſie behaupten
muß/ der die contradictoriam vor falſch haͤlt/ heget damit einen groben Pela-
gianiſmum,
welches ich alſo erweiſe: Wer davor haͤlt/ daß der menſch aus
eignen ſeinen kraͤfften und ohne die krafft des Heil. Geiſtes bekehret werde/ he-
get den groben Pelagianiſmum, wer lehret/ daß der menſch durch das geſetz an
ſich ſelbs bekehret werde/ haͤlt davor/ daß der menſch aus ſeinen eignen kraͤfften

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[12/0812] Das andere Capitel. mit ausdruͤcklich von dem irrthum der jenigen/ in dero gemeinſchafft man ſie/ ſo gar auch ohne ziemlichen ſchein/ ziehen wolte. Die IV. Frage. Ob derjenige/ welcher ſaget: durchs bloſſe geſetz werde niemand bekehret/ ein geſetzſtuͤrmer zu nennen ſeye/ alſo daß er das gantze geſetz verwerffe? ES geſchiehet abermal mit dieſer aufflage der wahrheit ſolcher lehr viel zu viel/ dann der geſetzſtuͤrmer oder Antinomorum meinung war dieſe/ daß das geſetz ſolle abgethan/ aus der kirchen von den cantzeln weg- genommen/ und auff das rathhauß verwieſen werden: da hingegen ich dem geſetz ſeinen platz und zwahr auff der Cantzel/ und in abſicht auff die ordnung unſers heils/ gern laſſe/ und bekenne/ wo ſolches abgeſchaffet wuͤrde/ daß eben damit auch dem Evangelio ſeine krafft in gewiſſer maß wuͤrde entzogen werden/ weil zu deroſelben ausuͤbung die hertzen erſtlich durch das geſetz muͤſ- ſen in gewiſſer maß bereitet werden/ welches alles die geſetzſtuͤrmer nicht zu- geben. Will man aber alles vor Antinomiſch halten/ wo man dem geſetz die ſeligkeit nicht zuſchreibet/ ſo hoͤre man unſern lieben Lutherum, wann er in der 2. Diſp. wider die geſetzſtuͤrmer/ da er gewißlich nichts ihnen zu gefallen geſchrie- ben haben wird. T. 7. Alt. f. 317. b. 318. a. alſo ſchreibet: Das geſetz iſt nicht allein unnoͤthig/ daß der menſch dadurch gerecht werde/ ſondern gantz unnuͤtz und aller dinge unmuͤglich. Welche aber der meinung das geſetz halten/ daß ſie dardurch wollen gerecht werden/ denſelben wird das geſetz auch ein gifft/ und peſtilentz zur gerechtigkeit: Wiederumb: Denn das geſetz iſt nicht gegeben/ daß es gerecht oder lebendig mache/ oder etwas helffe zur gerechtigkeit: ſondern daß es die ſuͤnde anzeige/ und zorn wuͤrcke/ das iſt/ daß es das gewiſſen uͤberzeuge und beſchuldige. Mehrers will die an- gefochtene propoſition nicht/ und alſo iſt ſie nicht Antinomiſch. Wer ſie aber ver- wirfft/ muß deroſelben contradictoriam annehmen: welche alſo lauten wird: durch das geſetz an ſich ſelbs (und alſo in gegenſatz des Evangelii) kan der menſch bekehret werden. Wer nun dieſe behauptet/ wie dann derſelbe ſie behaupten muß/ der die contradictoriam vor falſch haͤlt/ heget damit einen groben Pela- gianiſmum, welches ich alſo erweiſe: Wer davor haͤlt/ daß der menſch aus eignen ſeinen kraͤfften und ohne die krafft des Heil. Geiſtes bekehret werde/ he- get den groben Pelagianiſmum, wer lehret/ daß der menſch durch das geſetz an ſich ſelbs bekehret werde/ haͤlt davor/ daß der menſch aus ſeinen eignen kraͤfften und

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/812>, abgerufen am 22.11.2024.