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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
andere eintzele vorgeforderte gehe. Wo die gedachte übung noch stehet/ oder
durch Gottes gnade wiederum eingeführet werden kan/ so wolte ich wolmeinend
rathen/ in derselben also fortzufahren/ daß welche dazu kommen/ so bald den
nutzen und die erbauung bey sich gewahr werden können. Jn den theoreticis nicht
weit zu gehen/ ja kaum so weit als bey der jugend/ nach dem die alte unwis-
sende in der wissenschafft ihnen vorher unbekanter dinge zu zunehmen viel untüch-
tiger sind/ als noch zarte gemüther. Daher ichs vor gut hielte/ wenn in einer
jeden versamlung so zu reden nur eine/ zwo oder drey wichtige positionen von un-
sern glaubens-puncten vorkommen/ dann auch die einfältigste/ etzliche wenige
stück und wahrheiten auff einmahl begreiffen können/ zuweilen aber durch die
menge irre gemacht werden. Das meiste aber könte bestehen/ daß man ihnen
nachmal zeigete/ wie diese oder jene wahrheit und lehr ihnen in ihren leben zu einer
heiligen führung desselben/ oder zu einem trost nützlich seyn könne/ so dann daß man
ihnen macht gebe/ und sie dazu anreitzte/ wann einer unter ihnen an etwas zweif-
fel hätte/ solte er nur fragen/ und seine scrupel sagen/ welche man so bald be-
nehmen wolle: ich weiß aus der erfahrung/ daß die leute solches zu thun gemeinig-
lich erstlich sehr scheu sind/ wann man aber nur erstlich einen oder andern priva-
tim
dazu ermuntert/ daß ers wagt/ und ihm nachmal/ ob ers wol nicht gar fein
trifft/ freundlich begegnet/ so werden auch die andere ziemlich behertzt/ und gibt
eine feine gelegenheit ihrer unwissenheit zu helffen. Was andere einfältige oder
vielmehr unwissende anlangt/ so sich zu gebung der rechenschafft ihres glaubens
nicht einstellen wollen/ wolte ich sie am liebsten freundlich dahin vermahnen/ daß
sie sich bey dem ordinari catechismus examine desto fleißiger einfinden solten/ nur
zu zuhören/ und acht zu geben/ dann ob sie dahin nicht kommen möchten daß sie
alsdann mit worten sich ausdrucken könten/ wirds gleichwol nicht ermangeln/
daß sie einen solchen concept ihrer einfalt gemäß von den ihnen nötigen wahrhei-
ten fassen/ der ihnen zu ihren glauben und seligkeit gnungsam ist. Der Herr ge-
be auch zu allem diesen nötige weißheit. Jch komme nun so bald auff das anlie-
gen des letzten brieffes/ und erklähre meine meinung dahin. 1. daß jeglicher Pre-
diger jedes orts beruffen seye nicht allein zu dem amt der öffentlichen lehr/ so in dem
predigen bestehet/ sondern auch allen übrigen stücken der geistlichen erbauung an
der anvertrauten gemeinde/ welche die göttliche ordnung also zusammen verbin-
det/ daß menschliche ordnung dieselbe nicht dermassen trennen kan/ daß einem
das recht zugewisser und er derselben allerdings benommen wäre; wie ich auch
nicht zweiffele daß dessen vocation ins gemein auch lauten wird auff die gefamte
verwaltung des evangelischen kirchenamts. 2. Jndessen ist nicht bloß dahin zu-
verwerffen/ sondern ein stück menschlicher/ aber gleichwol nicht allezeit unnützli-
cher ordnung/ daß an unterschiedlichen orten die amtsverrichtungen getheilet/ und

eini-

Das andere Capitel.
andere eintzele vorgeforderte gehe. Wo die gedachte uͤbung noch ſtehet/ oder
durch Gottes gnade wiederum eingefuͤhret werden kan/ ſo wolte ich wolmeinend
rathen/ in derſelben alſo fortzufahren/ daß welche dazu kommen/ ſo bald den
nutzen und die erbauung bey ſich gewahr werden koͤnnen. Jn den theoreticis nicht
weit zu gehen/ ja kaum ſo weit als bey der jugend/ nach dem die alte unwiſ-
ſende in der wiſſenſchafft ihnen vorher unbekanter dinge zu zunehmen viel untuͤch-
tiger ſind/ als noch zarte gemuͤther. Daher ichs vor gut hielte/ wenn in einer
jeden verſamlung ſo zu reden nur eine/ zwo oder drey wichtige poſitionen von un-
ſern glaubens-puncten vorkommen/ dann auch die einfaͤltigſte/ etzliche wenige
ſtuͤck und wahrheiten auff einmahl begreiffen koͤnnen/ zuweilen aber durch die
menge irre gemacht werden. Das meiſte aber koͤnte beſtehen/ daß man ihnen
nachmal zeigete/ wie dieſe oder jene wahrheit und lehr ihnen in ihren leben zu einer
heiligen fuͤhrung deſſelben/ oder zu einem troſt nuͤtzlich ſeyn koͤnne/ ſo dann daß man
ihnen macht gebe/ und ſie dazu anreitzte/ wann einer unter ihnen an etwas zweif-
fel haͤtte/ ſolte er nur fragen/ und ſeine ſcrupel ſagen/ welche man ſo bald be-
nehmen wolle: ich weiß aus der erfahrung/ daß die leute ſolches zu thun gemeinig-
lich erſtlich ſehr ſcheu ſind/ wann man aber nur erſtlich einen oder andern priva-
tim
dazu ermuntert/ daß ers wagt/ und ihm nachmal/ ob ers wol nicht gar fein
trifft/ freundlich begegnet/ ſo werden auch die andere ziemlich behertzt/ und gibt
eine feine gelegenheit ihrer unwiſſenheit zu helffen. Was andere einfaͤltige oder
vielmehr unwiſſende anlangt/ ſo ſich zu gebung der rechenſchafft ihres glaubens
nicht einſtellen wollen/ wolte ich ſie am liebſten freundlich dahin vermahnen/ daß
ſie ſich bey dem ordinari catechiſmus examine deſto fleißiger einfinden ſolten/ nur
zu zuhoͤren/ und acht zu geben/ dann ob ſie dahin nicht kommen moͤchten daß ſie
alsdann mit worten ſich ausdrucken koͤnten/ wirds gleichwol nicht ermangeln/
daß ſie einen ſolchen concept ihrer einfalt gemaͤß von den ihnen noͤtigen wahrhei-
ten faſſen/ der ihnen zu ihren glauben und ſeligkeit gnungſam iſt. Der Herr ge-
be auch zu allem dieſen noͤtige weißheit. Jch komme nun ſo bald auff das anlie-
gen des letzten brieffes/ und erklaͤhre meine meinung dahin. 1. daß jeglicher Pre-
diger jedes orts beruffen ſeye nicht allein zu dem amt der oͤffentlichen lehr/ ſo in dem
predigen beſtehet/ ſondern auch allen uͤbrigen ſtuͤcken der geiſtlichen erbauung an
der anvertrauten gemeinde/ welche die goͤttliche ordnung alſo zuſammen verbin-
det/ daß menſchliche ordnung dieſelbe nicht dermaſſen trennen kan/ daß einem
das recht zugewiſſer und er derſelben allerdings benommen waͤre; wie ich auch
nicht zweiffele daß deſſen vocation ins gemein auch lauten wird auff die gefamte
verwaltung des evangeliſchen kirchenamts. 2. Jndeſſen iſt nicht bloß dahin zu-
verwerffen/ ſondern ein ſtuͤck menſchlicher/ aber gleichwol nicht allezeit unnuͤtzli-
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eini-
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[70/0870] Das andere Capitel. andere eintzele vorgeforderte gehe. Wo die gedachte uͤbung noch ſtehet/ oder durch Gottes gnade wiederum eingefuͤhret werden kan/ ſo wolte ich wolmeinend rathen/ in derſelben alſo fortzufahren/ daß welche dazu kommen/ ſo bald den nutzen und die erbauung bey ſich gewahr werden koͤnnen. Jn den theoreticis nicht weit zu gehen/ ja kaum ſo weit als bey der jugend/ nach dem die alte unwiſ- ſende in der wiſſenſchafft ihnen vorher unbekanter dinge zu zunehmen viel untuͤch- tiger ſind/ als noch zarte gemuͤther. Daher ichs vor gut hielte/ wenn in einer jeden verſamlung ſo zu reden nur eine/ zwo oder drey wichtige poſitionen von un- ſern glaubens-puncten vorkommen/ dann auch die einfaͤltigſte/ etzliche wenige ſtuͤck und wahrheiten auff einmahl begreiffen koͤnnen/ zuweilen aber durch die menge irre gemacht werden. Das meiſte aber koͤnte beſtehen/ daß man ihnen nachmal zeigete/ wie dieſe oder jene wahrheit und lehr ihnen in ihren leben zu einer heiligen fuͤhrung deſſelben/ oder zu einem troſt nuͤtzlich ſeyn koͤnne/ ſo dann daß man ihnen macht gebe/ und ſie dazu anreitzte/ wann einer unter ihnen an etwas zweif- fel haͤtte/ ſolte er nur fragen/ und ſeine ſcrupel ſagen/ welche man ſo bald be- nehmen wolle: ich weiß aus der erfahrung/ daß die leute ſolches zu thun gemeinig- lich erſtlich ſehr ſcheu ſind/ wann man aber nur erſtlich einen oder andern priva- tim dazu ermuntert/ daß ers wagt/ und ihm nachmal/ ob ers wol nicht gar fein trifft/ freundlich begegnet/ ſo werden auch die andere ziemlich behertzt/ und gibt eine feine gelegenheit ihrer unwiſſenheit zu helffen. Was andere einfaͤltige oder vielmehr unwiſſende anlangt/ ſo ſich zu gebung der rechenſchafft ihres glaubens nicht einſtellen wollen/ wolte ich ſie am liebſten freundlich dahin vermahnen/ daß ſie ſich bey dem ordinari catechiſmus examine deſto fleißiger einfinden ſolten/ nur zu zuhoͤren/ und acht zu geben/ dann ob ſie dahin nicht kommen moͤchten daß ſie alsdann mit worten ſich ausdrucken koͤnten/ wirds gleichwol nicht ermangeln/ daß ſie einen ſolchen concept ihrer einfalt gemaͤß von den ihnen noͤtigen wahrhei- ten faſſen/ der ihnen zu ihren glauben und ſeligkeit gnungſam iſt. Der Herr ge- be auch zu allem dieſen noͤtige weißheit. Jch komme nun ſo bald auff das anlie- gen des letzten brieffes/ und erklaͤhre meine meinung dahin. 1. daß jeglicher Pre- diger jedes orts beruffen ſeye nicht allein zu dem amt der oͤffentlichen lehr/ ſo in dem predigen beſtehet/ ſondern auch allen uͤbrigen ſtuͤcken der geiſtlichen erbauung an der anvertrauten gemeinde/ welche die goͤttliche ordnung alſo zuſammen verbin- det/ daß menſchliche ordnung dieſelbe nicht dermaſſen trennen kan/ daß einem das recht zugewiſſer und er derſelben allerdings benommen waͤre; wie ich auch nicht zweiffele daß deſſen vocation ins gemein auch lauten wird auff die gefamte verwaltung des evangeliſchen kirchenamts. 2. Jndeſſen iſt nicht bloß dahin zu- verwerffen/ ſondern ein ſtuͤck menſchlicher/ aber gleichwol nicht allezeit unnuͤtzli- cher ordnung/ daß an unterſchiedlichen orten die amtsverrichtungen getheilet/ und eini-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/870>, abgerufen am 22.11.2024.