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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
2. Weil also der Herr Pfarrherr zu solcher introduction keine macht ge-
habt/ so sind auch die zuhörer wider ihren willen solchen ritibus sich zu unterwerf-
fen nicht verbunden gewesen. Dann der gehorsam/ welchen zuhörer ihren Pre-
digern schuldig sind/ gehet allein die dinge an/ worinnen sie in GOttes nahmen
mit denselben handeln/ und aus GOttes wort dasjenige ihnen zeigen können/ was
sie von ihnen fordern. Sobald aber Prediger propria autoritate den gemeinden
wider ihren willen dinge auffdringen wollen/ welche sie aus GOttes wort nöthig
zu seyn nicht erweisen können/ sind die zuhörer zugehorchen nicht verbunden: und
machen sich damit die Prediger wieder Pauli lehr zu Herren über ihrn glauben und
gewissen/ damit sie sich/ wie gut sie es auch meineten/ versündigen. Weswegen
dann/ wo ein Prediger einige dergleichen eusserliche ordnung zur erbauung seines
orts dienlich achtete/ nemlich etwas also mit seinen zuhörern zuthun/ dazu er kei-
nen eigentlichen göttlichen befehl hat/ daß sie sich denselben zu unterwerffen
sollen gehalten seyn/ muß er entweder solche macht gehöriger massen suchen bey
den gesamten ordinibus, welche in der kirchen zu disponiren haben/ damit sie möge
mit autorität introduciret werden/ oder er muß trachten/ daß sich die gemeinde
von freyen stücken aus erkänntnis des nutzens bequeme/ da er dennoch alsdann kei-
ne als die selbst willig sind/ und so lang es ihnen anständig ist/ dazu halten mag.
Gehet er aber weiter/ so schreitet er aus den schrancken seines amts/ indem wir
über das volck zu herrschen nicht macht haben.
3. Nachdem nun beyde ritus quaestionis weder in den gesamten ihren lan-
des-kirchen gebräuchlich/ noch in ihrer gemeinde hergebracht gewesen/ so haben
sie wider völligen und beständigen willen ihrer gemeine nicht können eingeführet/
oder die nicht selbs belieben dazu haben/ dazu angestrenget werden. Weswe-
gen/ ob wol in der widersetzlichkeit von vielen der gemeinde hinwieder gröblich
und unverantwortlich mag gesündiget seyn worden/ so ich nicht zu verantworten/
sie auch darüber nicht gehöret habe/ so sorge ich doch sehr/ daß die schuld der dar-
aus entstandenen ärgernüssen zum allerfördersten auff den Herrn Pfarrherrn
falle/ welcher sich eine mehrere herrschafft über die gewissen der zuhörer nehmen
wollen/ als ihm zugestanden hat. Wo ich nun in der sache erstlich unrecht habe/
ob wol in dem fortgang der gegentheil auch excediret/ so kommet doch auch ein
theil der schuld sothanen excessen auff mich/ und kan ich mich gegen diese nicht
allzuviel beschweren.
4. Daher die klagen gegen die judicia, wo hülffe gegen die zuhörer gesucht
worden/ nicht gegründet sind/ ob hätten dieselbe nicht ihr amt gethan/ daß sie die
zuhörer nicht mit schärffe darzu gehalten hätten: sondern es stunde wahrhafftig
alles zu derselben reifflichen ermessen/ ob sie solches rathsam fänden: so hätte da-
her der Herr Pfarrherr sich nicht darüber zu beschweren gehabt/ sondern viel-
mehr
Das andere Capitel.
2. Weil alſo der Herr Pfarrherr zu ſolcher introduction keine macht ge-
habt/ ſo ſind auch die zuhoͤrer wider ihren willen ſolchen ritibus ſich zu unterwerf-
fen nicht verbunden geweſen. Dann der gehorſam/ welchen zuhoͤrer ihren Pre-
digern ſchuldig ſind/ gehet allein die dinge an/ worinnen ſie in GOttes nahmen
mit denſelben handeln/ und aus GOttes wort dasjenige ihnen zeigen koͤnnen/ was
ſie von ihnen fordern. Sobald aber Prediger propriâ autoritate den gemeinden
wider ihren willen dinge auffdringen wollen/ welche ſie aus GOttes wort noͤthig
zu ſeyn nicht erweiſen koͤnnen/ ſind die zuhoͤrer zugehorchen nicht verbunden: und
machen ſich damit die Prediger wieder Pauli lehr zu Herren uͤber ihrn glauben und
gewiſſen/ damit ſie ſich/ wie gut ſie es auch meineten/ verſuͤndigen. Weswegen
dann/ wo ein Prediger einige dergleichen euſſerliche ordnung zur erbauung ſeines
orts dienlich achtete/ nemlich etwas alſo mit ſeinen zuhoͤrern zuthun/ dazu er kei-
nen eigentlichen goͤttlichen befehl hat/ daß ſie ſich denſelben zu unterwerffen
ſollen gehalten ſeyn/ muß er entweder ſolche macht gehoͤriger maſſen ſuchen bey
den geſamten ordinibus, welche in der kirchen zu diſponiren haben/ damit ſie moͤge
mit autorität introduciret werden/ oder er muß trachten/ daß ſich die gemeinde
von freyen ſtuͤcken aus erkaͤnntnis des nutzens bequeme/ da er dennoch alsdann kei-
ne als die ſelbſt willig ſind/ und ſo lang es ihnen anſtaͤndig iſt/ dazu halten mag.
Gehet er aber weiter/ ſo ſchreitet er aus den ſchrancken ſeines amts/ indem wir
uͤber das volck zu herrſchen nicht macht haben.
3. Nachdem nun beyde ritus quæſtionis weder in den geſamten ihren lan-
des-kirchen gebraͤuchlich/ noch in ihrer gemeinde hergebracht geweſen/ ſo haben
ſie wider voͤlligen und beſtaͤndigen willen ihrer gemeine nicht koͤnnen eingefuͤhret/
oder die nicht ſelbs belieben dazu haben/ dazu angeſtrenget werden. Weswe-
gen/ ob wol in der widerſetzlichkeit von vielen der gemeinde hinwieder groͤblich
und unverantwortlich mag geſuͤndiget ſeyn worden/ ſo ich nicht zu verantworten/
ſie auch daruͤber nicht gehoͤret habe/ ſo ſorge ich doch ſehr/ daß die ſchuld der dar-
aus entſtandenen aͤrgernuͤſſen zum allerfoͤrderſten auff den Herrn Pfarrherrn
falle/ welcher ſich eine mehrere herrſchafft uͤber die gewiſſen der zuhoͤrer nehmen
wollen/ als ihm zugeſtanden hat. Wo ich nun in der ſache erſtlich unrecht habe/
ob wol in dem fortgang der gegentheil auch excediret/ ſo kommet doch auch ein
theil der ſchuld ſothanen exceſſen auff mich/ und kan ich mich gegen dieſe nicht
allzuviel beſchweren.
4. Daher die klagen gegen die judicia, wo huͤlffe gegen die zuhoͤrer geſucht
worden/ nicht gegruͤndet ſind/ ob haͤtten dieſelbe nicht ihr amt gethan/ daß ſie die
zuhoͤrer nicht mit ſchaͤrffe darzu gehalten haͤtten: ſondern es ſtunde wahrhafftig
alles zu derſelben reifflichen ermeſſen/ ob ſie ſolches rathſam faͤnden: ſo haͤtte da-
her der Herr Pfarrherr ſich nicht daruͤber zu beſchweren gehabt/ ſondern viel-
mehr
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[49[94]/0894] Das andere Capitel. 2. Weil alſo der Herr Pfarrherr zu ſolcher introduction keine macht ge- habt/ ſo ſind auch die zuhoͤrer wider ihren willen ſolchen ritibus ſich zu unterwerf- fen nicht verbunden geweſen. Dann der gehorſam/ welchen zuhoͤrer ihren Pre- digern ſchuldig ſind/ gehet allein die dinge an/ worinnen ſie in GOttes nahmen mit denſelben handeln/ und aus GOttes wort dasjenige ihnen zeigen koͤnnen/ was ſie von ihnen fordern. Sobald aber Prediger propriâ autoritate den gemeinden wider ihren willen dinge auffdringen wollen/ welche ſie aus GOttes wort noͤthig zu ſeyn nicht erweiſen koͤnnen/ ſind die zuhoͤrer zugehorchen nicht verbunden: und machen ſich damit die Prediger wieder Pauli lehr zu Herren uͤber ihrn glauben und gewiſſen/ damit ſie ſich/ wie gut ſie es auch meineten/ verſuͤndigen. Weswegen dann/ wo ein Prediger einige dergleichen euſſerliche ordnung zur erbauung ſeines orts dienlich achtete/ nemlich etwas alſo mit ſeinen zuhoͤrern zuthun/ dazu er kei- nen eigentlichen goͤttlichen befehl hat/ daß ſie ſich denſelben zu unterwerffen ſollen gehalten ſeyn/ muß er entweder ſolche macht gehoͤriger maſſen ſuchen bey den geſamten ordinibus, welche in der kirchen zu diſponiren haben/ damit ſie moͤge mit autorität introduciret werden/ oder er muß trachten/ daß ſich die gemeinde von freyen ſtuͤcken aus erkaͤnntnis des nutzens bequeme/ da er dennoch alsdann kei- ne als die ſelbſt willig ſind/ und ſo lang es ihnen anſtaͤndig iſt/ dazu halten mag. Gehet er aber weiter/ ſo ſchreitet er aus den ſchrancken ſeines amts/ indem wir uͤber das volck zu herrſchen nicht macht haben. 3. Nachdem nun beyde ritus quæſtionis weder in den geſamten ihren lan- des-kirchen gebraͤuchlich/ noch in ihrer gemeinde hergebracht geweſen/ ſo haben ſie wider voͤlligen und beſtaͤndigen willen ihrer gemeine nicht koͤnnen eingefuͤhret/ oder die nicht ſelbs belieben dazu haben/ dazu angeſtrenget werden. Weswe- gen/ ob wol in der widerſetzlichkeit von vielen der gemeinde hinwieder groͤblich und unverantwortlich mag geſuͤndiget ſeyn worden/ ſo ich nicht zu verantworten/ ſie auch daruͤber nicht gehoͤret habe/ ſo ſorge ich doch ſehr/ daß die ſchuld der dar- aus entſtandenen aͤrgernuͤſſen zum allerfoͤrderſten auff den Herrn Pfarrherrn falle/ welcher ſich eine mehrere herrſchafft uͤber die gewiſſen der zuhoͤrer nehmen wollen/ als ihm zugeſtanden hat. Wo ich nun in der ſache erſtlich unrecht habe/ ob wol in dem fortgang der gegentheil auch excediret/ ſo kommet doch auch ein theil der ſchuld ſothanen exceſſen auff mich/ und kan ich mich gegen dieſe nicht allzuviel beſchweren. 4. Daher die klagen gegen die judicia, wo huͤlffe gegen die zuhoͤrer geſucht worden/ nicht gegruͤndet ſind/ ob haͤtten dieſelbe nicht ihr amt gethan/ daß ſie die zuhoͤrer nicht mit ſchaͤrffe darzu gehalten haͤtten: ſondern es ſtunde wahrhafftig alles zu derſelben reifflichen ermeſſen/ ob ſie ſolches rathſam faͤnden: ſo haͤtte da- her der Herr Pfarrherr ſich nicht daruͤber zu beſchweren gehabt/ ſondern viel- mehr

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 49[94]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/894>, abgerufen am 22.11.2024.