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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
ärgerlichen und andern zum bösem exempel ausschlagendem schein des ungehor-
sams/ widerspenstigkeit und eigensinnes von sich zu geben/ ferner auch ihr gutes ver-
trauen darmit zu bezeugen/ daß sie ihre Prediger und Beichtväter vor solche
leute halten/ die etwa ihnen besser als sie selbs im geistlichen zu rathen wüßten:
wie so gar rechtschaffne christen offtmals in sachen/ die etlichermassen zweiffel-
hafft sind/ anderer ihrer gemeinen mitbrüder rath lieber als ihren eignen gedan-
cken folgen/ damit sie nicht von eigendünckel (dessen versuchungen sie ihnen selbs
allezeit gefährlich erkennen) sich verleiten lassen möchten.
3. Weil Jacob Böhmens bücher/ wo sie nicht/ wie viele ihnen schuld
geben/ mit irrthumen beflecket/ auffs allerwenigste nicht so nothwendig sind/ daß
die unterlassung solche zu lesen/ oder da einer sie bereits gelesen/ sie weiter zu
lesen an der seligkeit hinderlich seyn könte/ so thut ein zuhörer/ da er seiner Pre-
diger rath anhöret/ und siehet/ daß sie sonst in steter surcht seiner richtigkeit in der
lehr stehen/ und sich an seiner weigerung stossen würden/ am besten/ ob er schon
solche bücher vor gut und unsträfflich hielte/ wo er sich willig solchem rath/ auffs
wenigste aus anleitung der liebe und zu vermeidung ärgernüsses/ beqvemet.
4. Damit er aber auch sein gewissen darbey verwahre/ welches ihm Böh-
mens unschuld vorhält/ und er zu sorgen hat/ daß es ihm einmal zu grosser ver-
unruhigung vorstellen möchte/ wie er damit einen unschuldigen verdammt/ und
die in ihm befundene wahrheiten verläugnet hätte/ mag er wol bey dem verspruch
solchem rath nachzukommen sich erklähren/ daß er solchen autorem darmit nicht ver-
werffen/ sondern darüber das urtheil GOtt und der kirchen überlassen wolte/ sich
hingegen dessen lesens zu enthalten/ allein deswegen zusagte/ damit es nicht schei-
nen möchte/ er hienge seine seligkeit mit praejudiz der schrifft an solche bücher/ so
dann seine ehrerbietung/ liebe und gehorsam gegen seine geistliche vorgesetzte dar-
durch zu bezeugen.
5. Wo ihm aber sein gewissen ferner scrupel einwürffe/ daß er darmit sich
menschen zu knechten machte/ und die von Christo so theur erworbene freyheit un-
danckbarlich hindansetzte/ und daß es künfftig solche fälle geben möchte/ wo das
gewissen den autorem ferner zu prüffen nöthig zuseyn dictiren würde/ da er sich
dann durch einen verspruch die hände/ die billich frey bleiben müßten/ nicht binden
dörffte: so hat er dem ersten zwar dieses entgegen zusetzen/ daß wir uns damit unse-
rer christlichen freyheit nicht begeben/ wo wir dero gebrauch eine zeitlang/ aus lie-
be und um der brüder willen aussetzen/ dahin uns vielmehr Pauli lehr Röm. 14.
und 1. Cor. 8. anweiset/ er auch mit seinen eignen exempel darinnen vorgegangen
ist/ wenn er spricht 1. Cor. 9/ 19. Wiewol ich frey bin von jedermann/ habe
ich doch selbs mich jedermann zum knechte gemacht/ auff daß ich ihrer viel
gewinne:
so hält der glaube fest an der freyheit/ die liebe aber begiebet sich der-
selben
Das andere Capitel.
aͤrgerlichen und andern zum boͤſem exempel ausſchlagendem ſchein des ungehor-
ſams/ widerſpenſtigkeit und eigenſinnes von ſich zu geben/ ferner auch ihr gutes ver-
trauen darmit zu bezeugen/ daß ſie ihre Prediger und Beichtvaͤter vor ſolche
leute halten/ die etwa ihnen beſſer als ſie ſelbs im geiſtlichen zu rathen wuͤßten:
wie ſo gar rechtſchaffne chriſten offtmals in ſachen/ die etlichermaſſen zweiffel-
hafft ſind/ anderer ihrer gemeinen mitbruͤder rath lieber als ihren eignen gedan-
cken folgen/ damit ſie nicht von eigenduͤnckel (deſſen verſuchungen ſie ihnen ſelbs
allezeit gefaͤhrlich erkennen) ſich verleiten laſſen moͤchten.
3. Weil Jacob Boͤhmens buͤcher/ wo ſie nicht/ wie viele ihnen ſchuld
geben/ mit irrthumen beflecket/ auffs allerwenigſte nicht ſo nothwendig ſind/ daß
die unterlaſſung ſolche zu leſen/ oder da einer ſie bereits geleſen/ ſie weiter zu
leſen an der ſeligkeit hinderlich ſeyn koͤnte/ ſo thut ein zuhoͤrer/ da er ſeiner Pre-
diger rath anhoͤret/ und ſiehet/ daß ſie ſonſt in ſteter ſurcht ſeiner richtigkeit in der
lehr ſtehen/ und ſich an ſeiner weigerung ſtoſſen wuͤrden/ am beſten/ ob er ſchon
ſolche buͤcher vor gut und unſtraͤfflich hielte/ wo er ſich willig ſolchem rath/ auffs
wenigſte aus anleitung der liebe und zu vermeidung aͤrgernuͤſſes/ beqvemet.
4. Damit er aber auch ſein gewiſſen darbey verwahre/ welches ihm Boͤh-
mens unſchuld vorhaͤlt/ und er zu ſorgen hat/ daß es ihm einmal zu groſſer ver-
unruhigung vorſtellen moͤchte/ wie er damit einen unſchuldigen verdammt/ und
die in ihm befundene wahrheiten verlaͤugnet haͤtte/ mag er wol bey dem verſpruch
ſolchem rath nachzukom̃en ſich erklaͤhren/ daß er ſolchen autorem darmit nicht ver-
werffen/ ſondern daruͤber das urtheil GOtt und der kirchen uͤberlaſſen wolte/ ſich
hingegen deſſen leſens zu enthalten/ allein deswegen zuſagte/ damit es nicht ſchei-
nen moͤchte/ er hienge ſeine ſeligkeit mit præjudiz der ſchrifft an ſolche buͤcher/ ſo
dann ſeine ehrerbietung/ liebe und gehorſam gegen ſeine geiſtliche vorgeſetzte dar-
durch zu bezeugen.
5. Wo ihm aber ſein gewiſſen ferner ſcrupel einwuͤrffe/ daß er darmit ſich
menſchen zu knechten machte/ und die von Chriſto ſo theur erworbene freyheit un-
danckbarlich hindanſetzte/ und daß es kuͤnfftig ſolche faͤlle geben moͤchte/ wo das
gewiſſen den autorem ferner zu pruͤffen noͤthig zuſeyn dictiren wuͤrde/ da er ſich
dann durch einen verſpruch die haͤnde/ die billich frey bleiben muͤßten/ nicht binden
doͤrffte: ſo hat er dem erſten zwar dieſes entgegen zuſetzen/ daß wir uns damit unſe-
rer chriſtlichen freyheit nicht begeben/ wo wir dero gebrauch eine zeitlang/ aus lie-
be und um der bruͤder willen ausſetzen/ dahin uns vielmehr Pauli lehr Roͤm. 14.
und 1. Cor. 8. anweiſet/ er auch mit ſeinen eignen exempel darinnen vorgegangen
iſt/ wenn er ſpricht 1. Cor. 9/ 19. Wiewol ich frey bin von jedermann/ habe
ich doch ſelbs mich jedermann zum knechte gemacht/ auff daß ich ihrer viel
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ſo haͤlt der glaube feſt an der freyheit/ die liebe aber begiebet ſich der-
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[108/0908] Das andere Capitel. aͤrgerlichen und andern zum boͤſem exempel ausſchlagendem ſchein des ungehor- ſams/ widerſpenſtigkeit und eigenſinnes von ſich zu geben/ ferner auch ihr gutes ver- trauen darmit zu bezeugen/ daß ſie ihre Prediger und Beichtvaͤter vor ſolche leute halten/ die etwa ihnen beſſer als ſie ſelbs im geiſtlichen zu rathen wuͤßten: wie ſo gar rechtſchaffne chriſten offtmals in ſachen/ die etlichermaſſen zweiffel- hafft ſind/ anderer ihrer gemeinen mitbruͤder rath lieber als ihren eignen gedan- cken folgen/ damit ſie nicht von eigenduͤnckel (deſſen verſuchungen ſie ihnen ſelbs allezeit gefaͤhrlich erkennen) ſich verleiten laſſen moͤchten. 3. Weil Jacob Boͤhmens buͤcher/ wo ſie nicht/ wie viele ihnen ſchuld geben/ mit irrthumen beflecket/ auffs allerwenigſte nicht ſo nothwendig ſind/ daß die unterlaſſung ſolche zu leſen/ oder da einer ſie bereits geleſen/ ſie weiter zu leſen an der ſeligkeit hinderlich ſeyn koͤnte/ ſo thut ein zuhoͤrer/ da er ſeiner Pre- diger rath anhoͤret/ und ſiehet/ daß ſie ſonſt in ſteter ſurcht ſeiner richtigkeit in der lehr ſtehen/ und ſich an ſeiner weigerung ſtoſſen wuͤrden/ am beſten/ ob er ſchon ſolche buͤcher vor gut und unſtraͤfflich hielte/ wo er ſich willig ſolchem rath/ auffs wenigſte aus anleitung der liebe und zu vermeidung aͤrgernuͤſſes/ beqvemet. 4. Damit er aber auch ſein gewiſſen darbey verwahre/ welches ihm Boͤh- mens unſchuld vorhaͤlt/ und er zu ſorgen hat/ daß es ihm einmal zu groſſer ver- unruhigung vorſtellen moͤchte/ wie er damit einen unſchuldigen verdammt/ und die in ihm befundene wahrheiten verlaͤugnet haͤtte/ mag er wol bey dem verſpruch ſolchem rath nachzukom̃en ſich erklaͤhren/ daß er ſolchen autorem darmit nicht ver- werffen/ ſondern daruͤber das urtheil GOtt und der kirchen uͤberlaſſen wolte/ ſich hingegen deſſen leſens zu enthalten/ allein deswegen zuſagte/ damit es nicht ſchei- nen moͤchte/ er hienge ſeine ſeligkeit mit præjudiz der ſchrifft an ſolche buͤcher/ ſo dann ſeine ehrerbietung/ liebe und gehorſam gegen ſeine geiſtliche vorgeſetzte dar- durch zu bezeugen. 5. Wo ihm aber ſein gewiſſen ferner ſcrupel einwuͤrffe/ daß er darmit ſich menſchen zu knechten machte/ und die von Chriſto ſo theur erworbene freyheit un- danckbarlich hindanſetzte/ und daß es kuͤnfftig ſolche faͤlle geben moͤchte/ wo das gewiſſen den autorem ferner zu pruͤffen noͤthig zuſeyn dictiren wuͤrde/ da er ſich dann durch einen verſpruch die haͤnde/ die billich frey bleiben muͤßten/ nicht binden doͤrffte: ſo hat er dem erſten zwar dieſes entgegen zuſetzen/ daß wir uns damit unſe- rer chriſtlichen freyheit nicht begeben/ wo wir dero gebrauch eine zeitlang/ aus lie- be und um der bruͤder willen ausſetzen/ dahin uns vielmehr Pauli lehr Roͤm. 14. und 1. Cor. 8. anweiſet/ er auch mit ſeinen eignen exempel darinnen vorgegangen iſt/ wenn er ſpricht 1. Cor. 9/ 19. Wiewol ich frey bin von jedermann/ habe ich doch ſelbs mich jedermann zum knechte gemacht/ auff daß ich ihrer viel gewinne: ſo haͤlt der glaube feſt an der freyheit/ die liebe aber begiebet ſich der- ſelben

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/908>, abgerufen am 23.11.2024.