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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO XXVII.
ein urtheil der lästerung über ihn zu fällen/ sondern ich überlasse ihn als einen
andern knecht seinem HErrn und Richter/ dem er darüber wird rechenschafft
zu geben haben/ und wünsche ihm/ deroselben bey zeiten zu begegnen.

Die schrifft aber selbs kommet mit dem titul nicht überein/ und hoffe ich/
welches christliche hertz/ ohn von passionen eingenommen/ sie lesen wird/ wer-
de in derselben und der gantzen schreib-art/ die gehörige Apostolische sanfft-
muth/ bescheidenheit und gravität/ mit welchen die heilige Apostel allezeit ih-
ren heiligen eiffer gemässiget und geübet haben/ nicht antreffen/ sondern un-
verantwortliche spott-worte/ auch von an sich heiligen dingen/ (also worte/
die aus einem gemüthe kommen/ da fleischliche bitterkeit und galle vieles gu-
tes verdorben hat) darinnen finden. Zur sache aber selbs zu gehen/ ists
nicht ohne/ daß auch unterschiedliche göttliche wahrheiten in den blättern
stehen/ die anders verfasset/ und mit ungleichem nicht vermischet/ nicht ohne
nutzen seyn würden/ aber leider/ wie die gantze abfassung/ also auch das un-
termischete irrige/ hat das übrige mit unbrauchbar gemacht.

Es theilet sich aber alles in zwey stücke/ von der Beicht und Abend-
mahl.
(Denn was anlangt/ daß die drey bey uns bekannteste religionen zu
der babylonischen drachen-hur fälschlich gezogen werden/ dem ist bereits zu
andern malen widersprochen worden. Man möchte zwahr auch darneben
fragen/ wohin dann die andre religionen zu ziehen wären?)

I. Die beicht anlangend. 1. Wird gern zu gegeben/ daß der liebe Hey-
land in dem Vater unser unsre sünden Matth. 6/ 12. schulden nenne. Weil
wir damit seiner gerechtigkeit so wol/ als ein schuldner seinem gläubiger ver-
bunden sind: daß er aber seine jünger damit in das Cap. 18. Matth. verwie-
sen/ wird vergebens gesagt; indem der HERR die gleichnüß Matth. 18.
länger als ein jahr darnach erst vorgetragen/ vor dem ja die fünffte bitte
auch wird verstanden worden seyn. So kan aus dem gleichnüß Matth. 18.
unterschiedliches angeführet werden/ was zur erklärung der materie von der
vergebung der sünden gehöret/ nicht aber alles/ noch schicket sich dasselbe ei-
genlich auff die absolution aus dem wort des Evangelii.

2. Es wird auch zugestanden/ daß unser heutige beicht-stuhl/ wo er
auch schon im rechten gebrauch stehet/ dannoch keine göttliche einsetzung/ son-
dern allein ein kirchen-gebrauch seye/ davon die erste reinste christliche kirche
über etliche hundert jahr nichts gewust/ noch nechst der tauff/ da alle sünden
vergeben wurden/ einige andre absolution gebraucht hat/ als wenn gefallene
sünder offenlich nach vollendeter buß wieder zu gnaden auffgenommen wur-
den; oder da man betrübte und geängstete mit dem trost des Evangelii auff-
zurichten/ nöthig befunden hat. Es ist aber nachmal die beicht/ gleichwol
che das Pabstthum auffgekommen/ allgemach/ wiewol nur als eine freywilli-

ge sa-
X

ARTIC. I. SECTIO XXVII.
ein urtheil der laͤſterung uͤber ihn zu faͤllen/ ſondern ich uͤberlaſſe ihn als einen
andern knecht ſeinem HErrn und Richter/ dem er daruͤber wird rechenſchafft
zu geben haben/ und wuͤnſche ihm/ deroſelben bey zeiten zu begegnen.

Die ſchrifft aber ſelbs kommet mit dem titul nicht uͤberein/ und hoffe ich/
welches chriſtliche hertz/ ohn von paſſionen eingenommen/ ſie leſen wird/ wer-
de in derſelben und der gantzen ſchreib-art/ die gehoͤrige Apoſtoliſche ſanfft-
muth/ beſcheidenheit und gravitaͤt/ mit welchen die heilige Apoſtel allezeit ih-
ren heiligen eiffer gemaͤſſiget und geuͤbet haben/ nicht antreffen/ ſondern un-
verantwortliche ſpott-worte/ auch von an ſich heiligen dingen/ (alſo worte/
die aus einem gemuͤthe kommen/ da fleiſchliche bitterkeit und galle vieles gu-
tes verdorben hat) darinnen finden. Zur ſache aber ſelbs zu gehen/ iſts
nicht ohne/ daß auch unterſchiedliche goͤttliche wahrheiten in den blaͤttern
ſtehen/ die anders verfaſſet/ und mit ungleichem nicht vermiſchet/ nicht ohne
nutzen ſeyn wuͤrden/ aber leider/ wie die gantze abfaſſung/ alſo auch das un-
termiſchete irrige/ hat das uͤbrige mit unbrauchbar gemacht.

Es theilet ſich aber alles in zwey ſtuͤcke/ von der Beicht und Abend-
mahl.
(Denn was anlangt/ daß die drey bey uns bekannteſte religionen zu
der babyloniſchen drachen-hur faͤlſchlich gezogen werden/ dem iſt bereits zu
andern malen widerſprochen worden. Man moͤchte zwahr auch darneben
fragen/ wohin dann die andre religionen zu ziehen waͤren?)

I. Die beicht anlangend. 1. Wird gern zu gegeben/ daß der liebe Hey-
land in dem Vater unſer unſre ſuͤnden Matth. 6/ 12. ſchulden nenne. Weil
wir damit ſeiner gerechtigkeit ſo wol/ als ein ſchuldner ſeinem glaͤubiger ver-
bunden ſind: daß er aber ſeine juͤnger damit in das Cap. 18. Matth. verwie-
ſen/ wird vergebens geſagt; indem der HERR die gleichnuͤß Matth. 18.
laͤnger als ein jahr darnach erſt vorgetragen/ vor dem ja die fuͤnffte bitte
auch wird verſtanden worden ſeyn. So kan aus dem gleichnuͤß Matth. 18.
unterſchiedliches angefuͤhret werden/ was zur erklaͤrung der materie von der
vergebung der ſuͤnden gehoͤret/ nicht aber alles/ noch ſchicket ſich daſſelbe ei-
genlich auff die abſolution aus dem wort des Evangelii.

2. Es wird auch zugeſtanden/ daß unſer heutige beicht-ſtuhl/ wo er
auch ſchon im rechten gebrauch ſtehet/ dannoch keine goͤttliche einſetzung/ ſon-
dern allein ein kirchen-gebrauch ſeye/ davon die erſte reinſte chriſtliche kirche
uͤber etliche hundert jahr nichts gewuſt/ noch nechſt der tauff/ da alle ſuͤnden
vergeben wurden/ einige andre abſolution gebraucht hat/ als wenn gefallene
ſuͤnder offenlich nach vollendeter buß wieder zu gnaden auffgenommen wur-
den; oder da man betruͤbte und geaͤngſtete mit dem troſt des Evangelii auff-
zurichten/ noͤthig befunden hat. Es iſt aber nachmal die beicht/ gleichwol
che das Pabſtthum auffgekommen/ allgemach/ wiewol nur als eine freywilli-

ge ſa-
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[161/0169] ARTIC. I. SECTIO XXVII. ein urtheil der laͤſterung uͤber ihn zu faͤllen/ ſondern ich uͤberlaſſe ihn als einen andern knecht ſeinem HErrn und Richter/ dem er daruͤber wird rechenſchafft zu geben haben/ und wuͤnſche ihm/ deroſelben bey zeiten zu begegnen. Die ſchrifft aber ſelbs kommet mit dem titul nicht uͤberein/ und hoffe ich/ welches chriſtliche hertz/ ohn von paſſionen eingenommen/ ſie leſen wird/ wer- de in derſelben und der gantzen ſchreib-art/ die gehoͤrige Apoſtoliſche ſanfft- muth/ beſcheidenheit und gravitaͤt/ mit welchen die heilige Apoſtel allezeit ih- ren heiligen eiffer gemaͤſſiget und geuͤbet haben/ nicht antreffen/ ſondern un- verantwortliche ſpott-worte/ auch von an ſich heiligen dingen/ (alſo worte/ die aus einem gemuͤthe kommen/ da fleiſchliche bitterkeit und galle vieles gu- tes verdorben hat) darinnen finden. Zur ſache aber ſelbs zu gehen/ iſts nicht ohne/ daß auch unterſchiedliche goͤttliche wahrheiten in den blaͤttern ſtehen/ die anders verfaſſet/ und mit ungleichem nicht vermiſchet/ nicht ohne nutzen ſeyn wuͤrden/ aber leider/ wie die gantze abfaſſung/ alſo auch das un- termiſchete irrige/ hat das uͤbrige mit unbrauchbar gemacht. Es theilet ſich aber alles in zwey ſtuͤcke/ von der Beicht und Abend- mahl. (Denn was anlangt/ daß die drey bey uns bekannteſte religionen zu der babyloniſchen drachen-hur faͤlſchlich gezogen werden/ dem iſt bereits zu andern malen widerſprochen worden. Man moͤchte zwahr auch darneben fragen/ wohin dann die andre religionen zu ziehen waͤren?) I. Die beicht anlangend. 1. Wird gern zu gegeben/ daß der liebe Hey- land in dem Vater unſer unſre ſuͤnden Matth. 6/ 12. ſchulden nenne. Weil wir damit ſeiner gerechtigkeit ſo wol/ als ein ſchuldner ſeinem glaͤubiger ver- bunden ſind: daß er aber ſeine juͤnger damit in das Cap. 18. Matth. verwie- ſen/ wird vergebens geſagt; indem der HERR die gleichnuͤß Matth. 18. laͤnger als ein jahr darnach erſt vorgetragen/ vor dem ja die fuͤnffte bitte auch wird verſtanden worden ſeyn. So kan aus dem gleichnuͤß Matth. 18. unterſchiedliches angefuͤhret werden/ was zur erklaͤrung der materie von der vergebung der ſuͤnden gehoͤret/ nicht aber alles/ noch ſchicket ſich daſſelbe ei- genlich auff die abſolution aus dem wort des Evangelii. 2. Es wird auch zugeſtanden/ daß unſer heutige beicht-ſtuhl/ wo er auch ſchon im rechten gebrauch ſtehet/ dannoch keine goͤttliche einſetzung/ ſon- dern allein ein kirchen-gebrauch ſeye/ davon die erſte reinſte chriſtliche kirche uͤber etliche hundert jahr nichts gewuſt/ noch nechſt der tauff/ da alle ſuͤnden vergeben wurden/ einige andre abſolution gebraucht hat/ als wenn gefallene ſuͤnder offenlich nach vollendeter buß wieder zu gnaden auffgenommen wur- den; oder da man betruͤbte und geaͤngſtete mit dem troſt des Evangelii auff- zurichten/ noͤthig befunden hat. Es iſt aber nachmal die beicht/ gleichwol che das Pabſtthum auffgekommen/ allgemach/ wiewol nur als eine freywilli- ge ſa- X

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/169>, abgerufen am 24.11.2024.