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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. III. SECTIO VII.
versöhnungmit dem beleidigten erfordere. Matth. 5/ 23. u. f. Wann du dei-
ne gabe auf dem altar opfferst/ und wirst allda eindencken/ daß dein bru-
der etwas wider dich habe/ so laß allda vor dem altar deine gabe/ und
gehe zuvor hin/ und versöhne dich mit deinem bruder/ und alsdenn
komm und opffere deine gabe. Sey willfertig deinem widersacher
bald/ dieweil du noch bey ihm auff dem wege bist/ auff daß dich der wi-
dersacher nicht dermaleins überantworte dem richter/ und der richter
überantworte dich dem diener/ und werdest in den kercker geworffen.
Jch sage dir warlich/ du wirst nicht von dannen heraus kommen/ biß
du auch den letzten heller bezahlest.
Wo wir aber die sache recht erwe-
gen/ so ist solches eigenlich nichts aosonderliches/ sondern es stecket solche
versöhnung an sich selbs theils in der reue/ theils folget aus derselben/ wenn
sie ernstlich ist. Dann wo der bußfertige in seinem gewissen befindet/ seinen
nechsten beleidiget zu haben/ und ihm also satisfaction schuldig zu seyn/ so has-
set er auch solche seine sünde dermassen/ daß er willig ist/ alles zu thun/ womit
er dieselbe in gewisser maaß wieder tilgen könte/ und also den nechsten um ver-
zeihung zu bitten/ und ihm nach aller billigkeit gnug zu thun. Dieser haß der
sünden/ und wille sich derselben zu entschütten/ gehöret mit in die reue/ und
aus derselben/ weil es einem bußfertigen ein ernst ist/ folget darnach/ daß ers
auch wircklich thut/ wo es ihm möglich ist. Daher ist die ursach/ warum die
versöhnung nöthig ist/ nicht diese/ gleich ob könte GOtt ohne den willen des
beleidigten/ und daß derselbe sein recht an ihn fahren lassen müste/ dem belei-
diger die sünde nicht vergeben/ indem er an keinen menschen verbunden ist/ son-
dern dieweil in dem hertzen des beleidigers die wahre buß aus göttlicher ord-
nung zur vergebung erfordert wird/ diese aber das obgedachte mit sich brin-
get.
6. Daraus folget/ daß nicht so wol die wirckliche versöhnung von bey-
den seiten/ sondern bey dem beleidiger das wahrhafftig nach der versöhnung
sich sehnende hertz (welches daher auch an sich nichts mügliches ermanglen
lässet) als ohne welches die buß nicht redlich wäre/ erfordert werde. Wel-
ches ich hoffe/ daß jeder leicht erkennen werde/ wo er bedencket/ daß es gesche-
hen könne/ daß einer einen andern beleidigt hätte/ und wircklich alles thäte/
was göttliche buß-ordnung von ihm gegen den beleidigten erforderte: dieser
aber wäre so hartnäckig und feindselig/ wie wir leider dergleichen exempel
viele offtmal sehen/ und wolte jenem nach aller angebotenen satisfaction
nicht vergeben. Wer wolte da sagen/ daß dieses beleidigt gewesten boßheit
den andern nunmehr bußfertigen in die verdammnüß stürtzen könte: welches
göttlicher gerechtigkeit und bar mhertzigkeit allzunahe getreten wäre. Ja wir
werden finden/ daß nicht so viel demjenigen/ der die versöhnung nicht suchete
so
ARTIC. III. SECTIO VII.
verſoͤhnungmit dem beleidigten erfordere. Matth. 5/ 23. u. f. Wann du dei-
ne gabe auf dem altar opfferſt/ uñ wirſt allda eindencken/ daß dein bru-
der etwas wider dich habe/ ſo laß allda vor dem altar deine gabe/ und
gehe zuvor hin/ und verſoͤhne dich mit deinem bruder/ und alsdenn
komm und opffere deine gabe. Sey willfertig deinem widerſacher
bald/ dieweil du noch bey ihm auff dem wege biſt/ auff daß dich der wi-
derſacher nicht dermaleins uͤberantworte dem richter/ und der richter
uͤberantworte dich dem diener/ und werdeſt in den kercker geworffen.
Jch ſage dir warlich/ du wirſt nicht von dannen heraus kommen/ biß
du auch den letzten heller bezahleſt.
Wo wir aber die ſache recht erwe-
gen/ ſo iſt ſolches eigenlich nichts aoſonderliches/ ſondern es ſtecket ſolche
verſoͤhnung an ſich ſelbs theils in der reue/ theils folget aus derſelben/ wenn
ſie ernſtlich iſt. Dann wo der bußfertige in ſeinem gewiſſen befindet/ ſeinen
nechſten beleidiget zu haben/ und ihm alſo ſatisfaction ſchuldig zu ſeyn/ ſo haſ-
ſet er auch ſolche ſeine ſuͤnde dermaſſen/ daß er willig iſt/ alles zu thun/ womit
eꝛ dieſelbe in gewiſſeꝛ maaß wieder tilgen koͤnte/ und alſo den nechſten um ver-
zeihung zu bitten/ und ihm nach aller billigkeit gnug zu thun. Dieſer haß der
ſuͤnden/ und wille ſich derſelben zu entſchuͤtten/ gehoͤret mit in die reue/ und
aus derſelben/ weil es einem bußfertigen ein ernſt iſt/ folget darnach/ daß ers
auch wircklich thut/ wo es ihm moͤglich iſt. Daher iſt die urſach/ warum die
verſoͤhnung noͤthig iſt/ nicht dieſe/ gleich ob koͤnte GOtt ohne den willen des
beleidigten/ und daß derſelbe ſein recht an ihn fahren laſſen muͤſte/ dem belei-
diger die ſuͤnde nicht vergeben/ indem er an keinen menſchen verbunden iſt/ ſon-
dern dieweil in dem hertzen des beleidigers die wahre buß aus goͤttlicher ord-
nung zur vergebung erfordert wird/ dieſe aber das obgedachte mit ſich brin-
get.
6. Daraus folget/ daß nicht ſo wol die wirckliche verſoͤhnung von bey-
den ſeiten/ ſondern bey dem beleidiger das wahrhafftig nach der verſoͤhnung
ſich ſehnende hertz (welches daher auch an ſich nichts muͤgliches ermanglen
laͤſſet) als ohne welches die buß nicht redlich waͤre/ erfordert werde. Wel-
ches ich hoffe/ daß jeder leicht erkennen werde/ wo er bedencket/ daß es geſche-
hen koͤnne/ daß einer einen andern beleidigt haͤtte/ und wircklich alles thaͤte/
was goͤttliche buß-ordnung von ihm gegen den beleidigten erforderte: dieſer
aber waͤre ſo hartnaͤckig und feindſelig/ wie wir leider dergleichen exempel
viele offtmal ſehen/ und wolte jenem nach aller angebotenen ſatisfaction
nicht vergeben. Wer wolte da ſagen/ daß dieſes beleidigt geweſten boßheit
den andern nunmehr bußfertigen in die verdammnuͤß ſtuͤrtzen koͤnte: welches
goͤttlicher gerechtigkeit und bar mhertzigkeit allzunahe getreten waͤre. Ja wir
werden finden/ daß nicht ſo viel demjenigen/ der die verſoͤhnung nicht ſuchete
ſo
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[295/0303] ARTIC. III. SECTIO VII. verſoͤhnungmit dem beleidigten erfordere. Matth. 5/ 23. u. f. Wann du dei- ne gabe auf dem altar opfferſt/ uñ wirſt allda eindencken/ daß dein bru- der etwas wider dich habe/ ſo laß allda vor dem altar deine gabe/ und gehe zuvor hin/ und verſoͤhne dich mit deinem bruder/ und alsdenn komm und opffere deine gabe. Sey willfertig deinem widerſacher bald/ dieweil du noch bey ihm auff dem wege biſt/ auff daß dich der wi- derſacher nicht dermaleins uͤberantworte dem richter/ und der richter uͤberantworte dich dem diener/ und werdeſt in den kercker geworffen. Jch ſage dir warlich/ du wirſt nicht von dannen heraus kommen/ biß du auch den letzten heller bezahleſt. Wo wir aber die ſache recht erwe- gen/ ſo iſt ſolches eigenlich nichts aoſonderliches/ ſondern es ſtecket ſolche verſoͤhnung an ſich ſelbs theils in der reue/ theils folget aus derſelben/ wenn ſie ernſtlich iſt. Dann wo der bußfertige in ſeinem gewiſſen befindet/ ſeinen nechſten beleidiget zu haben/ und ihm alſo ſatisfaction ſchuldig zu ſeyn/ ſo haſ- ſet er auch ſolche ſeine ſuͤnde dermaſſen/ daß er willig iſt/ alles zu thun/ womit eꝛ dieſelbe in gewiſſeꝛ maaß wieder tilgen koͤnte/ und alſo den nechſten um ver- zeihung zu bitten/ und ihm nach aller billigkeit gnug zu thun. Dieſer haß der ſuͤnden/ und wille ſich derſelben zu entſchuͤtten/ gehoͤret mit in die reue/ und aus derſelben/ weil es einem bußfertigen ein ernſt iſt/ folget darnach/ daß ers auch wircklich thut/ wo es ihm moͤglich iſt. Daher iſt die urſach/ warum die verſoͤhnung noͤthig iſt/ nicht dieſe/ gleich ob koͤnte GOtt ohne den willen des beleidigten/ und daß derſelbe ſein recht an ihn fahren laſſen muͤſte/ dem belei- diger die ſuͤnde nicht vergeben/ indem er an keinen menſchen verbunden iſt/ ſon- dern dieweil in dem hertzen des beleidigers die wahre buß aus goͤttlicher ord- nung zur vergebung erfordert wird/ dieſe aber das obgedachte mit ſich brin- get. 6. Daraus folget/ daß nicht ſo wol die wirckliche verſoͤhnung von bey- den ſeiten/ ſondern bey dem beleidiger das wahrhafftig nach der verſoͤhnung ſich ſehnende hertz (welches daher auch an ſich nichts muͤgliches ermanglen laͤſſet) als ohne welches die buß nicht redlich waͤre/ erfordert werde. Wel- ches ich hoffe/ daß jeder leicht erkennen werde/ wo er bedencket/ daß es geſche- hen koͤnne/ daß einer einen andern beleidigt haͤtte/ und wircklich alles thaͤte/ was goͤttliche buß-ordnung von ihm gegen den beleidigten erforderte: dieſer aber waͤre ſo hartnaͤckig und feindſelig/ wie wir leider dergleichen exempel viele offtmal ſehen/ und wolte jenem nach aller angebotenen ſatisfaction nicht vergeben. Wer wolte da ſagen/ daß dieſes beleidigt geweſten boßheit den andern nunmehr bußfertigen in die verdammnuͤß ſtuͤrtzen koͤnte: welches goͤttlicher gerechtigkeit und bar mhertzigkeit allzunahe getreten waͤre. Ja wir werden finden/ daß nicht ſo viel demjenigen/ der die verſoͤhnung nicht ſuchete ſo

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/303>, abgerufen am 22.11.2024.