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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO III.
destoweniger wahre ehen sind/ (massen dann solche tugenden nicht ad esse, son-
dern ad melius esse matrimonii gehören/) so ziehmet sich dannoch den jeni-
gen/ die ihr Christenthum vor ihr einig nothwendiges in der welt halten/
(wie es bey uns allen seyn sollte) daß sie wie in andern stücken/ also auch hier-
innen auff dessen beförderung sehen/ und wie die ehe dazu eingesetzt/ daß dem
menschen wohl seye/ so gehöret das wohlseyn in dem geistlichen nicht weni-
ger mit zu demselben zweck/ daß ein Christ aus der güte seines GOTTES
auch hierinnen suchen solte. 2. Bey solcher resolution muß man auch verblei-
ben/ als lang wir nostri juris sind/ also daß uns keine in andern stücken son-
sten prositable conditiones einer heyrath die augen verblenden sollen/ wo
wir an diesem haupt-zweck mangel hätten. 3. Ein anders aber ists/ da wir
bereits mit einer person ordentlicher weise verknüpffet/ und folglich nicht
mehr in einer völligen freyheit sind. Da fraget sich alsdann nicht mehr/
was man wehlen wolle/ sondern was man behalten müsse. 4. Dergleichen
sponsalia, als derselbe in seinem schreiben bedeutet mit bewuster person ein-
gegangen zuhaben/ da nichts eben mit einem mal übereylet/ sondern mit be-
dachter deliberation und anruffung GOttes geschehen seyn wird/ und wohl
einige zeit/ ehe der unwille sich erhoben/ dabey geblieben worden/ achte und
sorge ich/ stärcker zuseyn/ als daß sie so leicht solvirt werden könten. 5. Jch
erkenne zwahr/ daß die sponsalia und die vollzogene ehe nicht so durch und
durch übereinkommen/ daß nicht etwas unterscheid unter beyden gefunden
werde; aber in der hauptsache traute ich sie nicht zu weit von einander zu
unterscheiden. Jn dem der consensus und nicht die benedictio sacerdotalis
(die nur eine solennitas confirmatoria ist) die ehe machet/ und also wo der-
selbe ist/ auch eine wahre ehe zu seyn erkannt werden muß (wie unsere Theo-
logi
einmüthig zu lehren pflegen) so können andere als die wichtigste ursa-
chen/ so wenig geringer/ als die eine völlige ehescheidung verdienen/ dieselbe
nicht wieder aufheben. 6. Wie eine nullitas sponsaliorum aus dem ange-
führten zu erweisen wäre/ sehe ich gar nicht/ sondern es würde eher eine re-
scissio
müssen geschehen. Dann solte eine nullitas demonstrirt werden/ so
müßte gezeigt werden/ daß sie nie valida gewesen wären/ und es also an den
substantialibus gemangelt hätte/ als zum exempel an elterlichem consensu,
eigenem consensu (wo nemlich ein zwang und bößlicher betrug vorgegangen
wäre) an der capacitate subjecti ad matrimonium und was dergleichen
mehr ist. Da ich aber an nichts dergleichen aus dem communicirten (wie
ich dann ausser demselben von der gantzen sachen nichts weiß) gedencken kan/
sondern alle die angeführte gravamina gehen allein gewisser tugenden man-
gel an/ so zu der sachen der ehe selbst nicht gehören. Aufs wenigste verstün-
de ich es nicht/ wie eine nullitas zu erweisen wäre/ obwohl gern bekenne/ daß

was
T t t 2

SECTIO III.
deſtoweniger wahre ehen ſind/ (maſſen dann ſolche tugenden nicht ad eſſe, ſon-
dern ad melius eſſe matrimonii gehoͤren/) ſo ziehmet ſich dannoch den jeni-
gen/ die ihr Chriſtenthum vor ihr einig nothwendiges in der welt halten/
(wie es bey uns allen ſeyn ſollte) daß ſie wie in andern ſtuͤcken/ alſo auch hier-
innen auff deſſen befoͤrderung ſehen/ und wie die ehe dazu eingeſetzt/ daß dem
menſchen wohl ſeye/ ſo gehoͤret das wohlſeyn in dem geiſtlichen nicht weni-
ger mit zu demſelben zweck/ daß ein Chriſt aus der guͤte ſeines GOTTES
auch hierinnen ſuchen ſolte. 2. Bey ſolcher reſolution muß man auch verblei-
ben/ als lang wir noſtri juris ſind/ alſo daß uns keine in andern ſtuͤcken ſon-
ſten proſitable conditiones einer heyrath die augen verblenden ſollen/ wo
wir an dieſem haupt-zweck mangel haͤtten. 3. Ein anders aber iſts/ da wir
bereits mit einer perſon ordentlicher weiſe verknuͤpffet/ und folglich nicht
mehr in einer voͤlligen freyheit ſind. Da fraget ſich alsdann nicht mehr/
was man wehlen wolle/ ſondern was man behalten muͤſſe. 4. Dergleichen
ſponſalia, als derſelbe in ſeinem ſchreiben bedeutet mit bewuſter perſon ein-
gegangen zuhaben/ da nichts eben mit einem mal uͤbereylet/ ſondern mit be-
dachter deliberation und anruffung GOttes geſchehen ſeyn wird/ und wohl
einige zeit/ ehe der unwille ſich erhoben/ dabey geblieben worden/ achte und
ſorge ich/ ſtaͤrcker zuſeyn/ als daß ſie ſo leicht ſolvirt werden koͤnten. 5. Jch
erkenne zwahr/ daß die ſponſalia und die vollzogene ehe nicht ſo durch und
durch uͤbereinkommen/ daß nicht etwas unterſcheid unter beyden gefunden
werde; aber in der hauptſache traute ich ſie nicht zu weit von einander zu
unterſcheiden. Jn dem der conſenſus und nicht die benedictio ſacerdotalis
(die nur eine ſolennitas confirmatoria iſt) die ehe machet/ und alſo wo der-
ſelbe iſt/ auch eine wahre ehe zu ſeyn erkannt werden muß (wie unſere Theo-
logi
einmuͤthig zu lehren pflegen) ſo koͤnnen andere als die wichtigſte urſa-
chen/ ſo wenig geringer/ als die eine voͤllige eheſcheidung verdienen/ dieſelbe
nicht wieder aufheben. 6. Wie eine nullitas ſponſaliorum aus dem ange-
fuͤhrten zu erweiſen waͤre/ ſehe ich gar nicht/ ſondern es wuͤrde eher eine re-
ſciſſio
muͤſſen geſchehen. Dann ſolte eine nullitas demonſtrirt werden/ ſo
muͤßte gezeigt werden/ daß ſie nie valida geweſen waͤren/ und es alſo an den
ſubſtantialibus gemangelt haͤtte/ als zum exempel an elterlichem conſenſu,
eigenem conſenſu (wo nemlich ein zwang und boͤßlicher betrug vorgegangen
waͤre) an der capacitate ſubjecti ad matrimonium und was dergleichen
mehr iſt. Da ich aber an nichts dergleichen aus dem communicirten (wie
ich dann auſſer demſelben von der gantzen ſachen nichts weiß) gedencken kan/
ſondern alle die angefuͤhrte gravamina gehen allein gewiſſer tugenden man-
gel an/ ſo zu der ſachen der ehe ſelbſt nicht gehoͤren. Aufs wenigſte verſtuͤn-
de ich es nicht/ wie eine nullitas zu erweiſen waͤre/ obwohl gern bekenne/ daß

was
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[515/0523] SECTIO III. deſtoweniger wahre ehen ſind/ (maſſen dann ſolche tugenden nicht ad eſſe, ſon- dern ad melius eſſe matrimonii gehoͤren/) ſo ziehmet ſich dannoch den jeni- gen/ die ihr Chriſtenthum vor ihr einig nothwendiges in der welt halten/ (wie es bey uns allen ſeyn ſollte) daß ſie wie in andern ſtuͤcken/ alſo auch hier- innen auff deſſen befoͤrderung ſehen/ und wie die ehe dazu eingeſetzt/ daß dem menſchen wohl ſeye/ ſo gehoͤret das wohlſeyn in dem geiſtlichen nicht weni- ger mit zu demſelben zweck/ daß ein Chriſt aus der guͤte ſeines GOTTES auch hierinnen ſuchen ſolte. 2. Bey ſolcher reſolution muß man auch verblei- ben/ als lang wir noſtri juris ſind/ alſo daß uns keine in andern ſtuͤcken ſon- ſten proſitable conditiones einer heyrath die augen verblenden ſollen/ wo wir an dieſem haupt-zweck mangel haͤtten. 3. Ein anders aber iſts/ da wir bereits mit einer perſon ordentlicher weiſe verknuͤpffet/ und folglich nicht mehr in einer voͤlligen freyheit ſind. Da fraget ſich alsdann nicht mehr/ was man wehlen wolle/ ſondern was man behalten muͤſſe. 4. Dergleichen ſponſalia, als derſelbe in ſeinem ſchreiben bedeutet mit bewuſter perſon ein- gegangen zuhaben/ da nichts eben mit einem mal uͤbereylet/ ſondern mit be- dachter deliberation und anruffung GOttes geſchehen ſeyn wird/ und wohl einige zeit/ ehe der unwille ſich erhoben/ dabey geblieben worden/ achte und ſorge ich/ ſtaͤrcker zuſeyn/ als daß ſie ſo leicht ſolvirt werden koͤnten. 5. Jch erkenne zwahr/ daß die ſponſalia und die vollzogene ehe nicht ſo durch und durch uͤbereinkommen/ daß nicht etwas unterſcheid unter beyden gefunden werde; aber in der hauptſache traute ich ſie nicht zu weit von einander zu unterſcheiden. Jn dem der conſenſus und nicht die benedictio ſacerdotalis (die nur eine ſolennitas confirmatoria iſt) die ehe machet/ und alſo wo der- ſelbe iſt/ auch eine wahre ehe zu ſeyn erkannt werden muß (wie unſere Theo- logi einmuͤthig zu lehren pflegen) ſo koͤnnen andere als die wichtigſte urſa- chen/ ſo wenig geringer/ als die eine voͤllige eheſcheidung verdienen/ dieſelbe nicht wieder aufheben. 6. Wie eine nullitas ſponſaliorum aus dem ange- fuͤhrten zu erweiſen waͤre/ ſehe ich gar nicht/ ſondern es wuͤrde eher eine re- ſciſſio muͤſſen geſchehen. Dann ſolte eine nullitas demonſtrirt werden/ ſo muͤßte gezeigt werden/ daß ſie nie valida geweſen waͤren/ und es alſo an den ſubſtantialibus gemangelt haͤtte/ als zum exempel an elterlichem conſenſu, eigenem conſenſu (wo nemlich ein zwang und boͤßlicher betrug vorgegangen waͤre) an der capacitate ſubjecti ad matrimonium und was dergleichen mehr iſt. Da ich aber an nichts dergleichen aus dem communicirten (wie ich dann auſſer demſelben von der gantzen ſachen nichts weiß) gedencken kan/ ſondern alle die angefuͤhrte gravamina gehen allein gewiſſer tugenden man- gel an/ ſo zu der ſachen der ehe ſelbſt nicht gehoͤren. Aufs wenigſte verſtuͤn- de ich es nicht/ wie eine nullitas zu erweiſen waͤre/ obwohl gern bekenne/ daß was T t t 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/523>, abgerufen am 22.11.2024.