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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO XVI.
der gemeinschafft recht/ daß einer oder als viel der gemeine gefallen/
erwehlet und auffgenommen werden/ welche an statt und im nahmen
aller derer/ so eben dasselbige recht haben/ verbringen diese amter ös-
fentlich/ auff daß nicht eine scheusliche unordnung geschehe in dem
volck GOTTES/ und aus der kirchen werde ein Baby-
lon/ in welcher alle dinge ehrbarlich und ordenlich sollen
zugehen/ wie der Apostel gelehret hat. Es ist zweyerley/ daß ei-
ner ein gemein recht durch der gemeine befehl ausrichte/ oder daß ei-
ner sich desselbigen rechten in der noth gebrauche. Jn einer gemein/
da je dem das recht frey ist/ solle sich desselbigen niemand annehmen/
ohne der gantzen gemeine willen und erwehlung; aber in der noth
brauche sich desselbigen ein jeder/ wer da will.
Aus welchem allerdings
erhellet/ daß diese distinction in des lieben mannes sinn gewesen. Damit
man aber nicht sagen möchte/ daß es dann nur ein spiel wäre/ einem ein recht
zu sprechen/ und dessen übung nicht verstatten; so ist 4. zu wissen/ und aus Lu-
theri worten zu sehen/ daß es freylich auch einige mal zur übung kommen
könne/ nemlich in dem nothfall/ da ausser demselben die kirche selbs die übung
durch ihre wahl auff gewisse personen eingeschrencket hat: droben aber haben
wir auch den nothfall selbs zugestanden. Dabey aber zu wissen/ daß unter
dem nothfall in der tauff und bey diesem Sacrament ein grosser unterscheid
seye: indem sich jener an einem ort/ wo gleich wol ein Prediger ist/ offt begi-
bet/ weil es um die administration der tauff in dieser stund oder augenblick/
da man den Prediger nicht haben kan/ zu thun ist; die versäumnüß aber/ das
kind/ das ohne dasselbe auch kein ander ordenliches mittel hat/ allerdings des
Sacraments entsetzen würde/ welche noth leicht die ordnung bricht/ auch
ausser derselben die macht zu tauffen von keinem gebraucht werden solle. Die-
ser aber/ nemlich bey dem Sacrament des leibes und blutes des HErrn/ an
solchen orten sich nicht wohl begeben kan/ nicht allein/ weil nebs dem Sacra-
ment noch andre gnaden-mittel zur geistlichen stärckung an dessen stelle vor-
handen sind/ sondern was man zu jeder zeit nicht haben kan/ zu einer andern
gesuchet werden muß. Jndessen wird nicht vergebens einem ein recht bey-
geleget/ ob es wol selten zu dessen übung kommen möchte. 5. Wann die ord-
nung angeführet wird/ welche im wege stehe/ daß sich nicht jede Christen ih-
rer macht gebrauchen dörfften/ ob wol der liebe Lutherus den ort 1. Cor. 14/
40.
dazu ansühret/ muß doch solche ordnung nicht nur so angesehen werden/
wie einige nur decori ergo, oder um eusserlichen wolstands willen/ eingefüh-
ret werden/ als etwa die ordnung der ceremonien seyn möchte/ oder da es
umstände des Gottesdienstes beträffe/ aus welcher gelegenheit Paulus die

wor-

ARTIC. I. SECTIO XVI.
der gemeinſchafft recht/ daß einer oder als viel der gemeine gefallen/
erwehlet und auffgenommen werden/ welche an ſtatt und im nahmen
aller derer/ ſo eben daſſelbige recht haben/ verbringen dieſe amter oͤſ-
fentlich/ auff daß nicht eine ſcheusliche unordnung geſchehe in dem
volck GOTTES/ und aus der kirchen werde ein Baby-
lon/ in welcher alle dinge ehrbarlich und ordenlich ſollen
zugehen/ wie der Apoſtel gelehret hat. Es iſt zweyerley/ daß ei-
ner ein gemein recht durch der gemeine befehl ausrichte/ oder daß ei-
ner ſich deſſelbigen rechten in der noth gebrauche. Jn einer gemein/
da je dem das recht frey iſt/ ſolle ſich deſſelbigen niemand annehmen/
ohne der gantzen gemeine willen und erwehlung; aber in der noth
brauche ſich deſſelbigen ein jeder/ wer da will.
Aus welchem allerdings
erhellet/ daß dieſe diſtinction in des lieben mannes ſinn geweſen. Damit
man aber nicht ſagen moͤchte/ daß es dann nur ein ſpiel waͤre/ einem ein recht
zu ſprechen/ und deſſen uͤbung nicht verſtatten; ſo iſt 4. zu wiſſen/ und aus Lu-
theri worten zu ſehen/ daß es freylich auch einige mal zur uͤbung kommen
koͤnne/ nemlich in dem nothfall/ da auſſer demſelben die kirche ſelbs die uͤbung
durch ihre wahl auff gewiſſe perſonen eingeſchrencket hat: droben aber haben
wir auch den nothfall ſelbs zugeſtanden. Dabey aber zu wiſſen/ daß unter
dem nothfall in der tauff und bey dieſem Sacrament ein groſſer unterſcheid
ſeye: indem ſich jener an einem ort/ wo gleich wol ein Prediger iſt/ offt begi-
bet/ weil es um die adminiſtration der tauff in dieſer ſtund oder augenblick/
da man den Prediger nicht haben kan/ zu thun iſt; die verſaͤumnuͤß aber/ das
kind/ das ohne daſſelbe auch kein ander ordenliches mittel hat/ allerdings des
Sacraments entſetzen wuͤrde/ welche noth leicht die ordnung bricht/ auch
auſſer derſelben die macht zu tauffen von keinem gebraucht werden ſolle. Die-
ſer aber/ nemlich bey dem Sacrament des leibes und blutes des HErrn/ an
ſolchen orten ſich nicht wohl begeben kan/ nicht allein/ weil nebs dem Sacra-
ment noch andre gnaden-mittel zur geiſtlichen ſtaͤrckung an deſſen ſtelle vor-
handen ſind/ ſondern was man zu jeder zeit nicht haben kan/ zu einer andern
geſuchet werden muß. Jndeſſen wird nicht vergebens einem ein recht bey-
geleget/ ob es wol ſelten zu deſſen uͤbung kommen moͤchte. 5. Wann die ord-
nung angefuͤhret wird/ welche im wege ſtehe/ daß ſich nicht jede Chriſten ih-
rer macht gebrauchen doͤrfften/ ob wol der liebe Lutherus den ort 1. Cor. 14/
40.
dazu anſuͤhret/ muß doch ſolche ordnung nicht nur ſo angeſehen werden/
wie einige nur decori ergo, oder um euſſerlichen wolſtands willen/ eingefuͤh-
ret werden/ als etwa die ordnung der ceremonien ſeyn moͤchte/ oder da es
umſtaͤnde des Gottesdienſtes betraͤffe/ aus welcher gelegenheit Paulus die

wor-
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[69/0077] ARTIC. I. SECTIO XVI. der gemeinſchafft recht/ daß einer oder als viel der gemeine gefallen/ erwehlet und auffgenommen werden/ welche an ſtatt und im nahmen aller derer/ ſo eben daſſelbige recht haben/ verbringen dieſe amter oͤſ- fentlich/ auff daß nicht eine ſcheusliche unordnung geſchehe in dem volck GOTTES/ und aus der kirchen werde ein Baby- lon/ in welcher alle dinge ehrbarlich und ordenlich ſollen zugehen/ wie der Apoſtel gelehret hat. Es iſt zweyerley/ daß ei- ner ein gemein recht durch der gemeine befehl ausrichte/ oder daß ei- ner ſich deſſelbigen rechten in der noth gebrauche. Jn einer gemein/ da je dem das recht frey iſt/ ſolle ſich deſſelbigen niemand annehmen/ ohne der gantzen gemeine willen und erwehlung; aber in der noth brauche ſich deſſelbigen ein jeder/ wer da will. Aus welchem allerdings erhellet/ daß dieſe diſtinction in des lieben mannes ſinn geweſen. Damit man aber nicht ſagen moͤchte/ daß es dann nur ein ſpiel waͤre/ einem ein recht zu ſprechen/ und deſſen uͤbung nicht verſtatten; ſo iſt 4. zu wiſſen/ und aus Lu- theri worten zu ſehen/ daß es freylich auch einige mal zur uͤbung kommen koͤnne/ nemlich in dem nothfall/ da auſſer demſelben die kirche ſelbs die uͤbung durch ihre wahl auff gewiſſe perſonen eingeſchrencket hat: droben aber haben wir auch den nothfall ſelbs zugeſtanden. Dabey aber zu wiſſen/ daß unter dem nothfall in der tauff und bey dieſem Sacrament ein groſſer unterſcheid ſeye: indem ſich jener an einem ort/ wo gleich wol ein Prediger iſt/ offt begi- bet/ weil es um die adminiſtration der tauff in dieſer ſtund oder augenblick/ da man den Prediger nicht haben kan/ zu thun iſt; die verſaͤumnuͤß aber/ das kind/ das ohne daſſelbe auch kein ander ordenliches mittel hat/ allerdings des Sacraments entſetzen wuͤrde/ welche noth leicht die ordnung bricht/ auch auſſer derſelben die macht zu tauffen von keinem gebraucht werden ſolle. Die- ſer aber/ nemlich bey dem Sacrament des leibes und blutes des HErrn/ an ſolchen orten ſich nicht wohl begeben kan/ nicht allein/ weil nebs dem Sacra- ment noch andre gnaden-mittel zur geiſtlichen ſtaͤrckung an deſſen ſtelle vor- handen ſind/ ſondern was man zu jeder zeit nicht haben kan/ zu einer andern geſuchet werden muß. Jndeſſen wird nicht vergebens einem ein recht bey- geleget/ ob es wol ſelten zu deſſen uͤbung kommen moͤchte. 5. Wann die ord- nung angefuͤhret wird/ welche im wege ſtehe/ daß ſich nicht jede Chriſten ih- rer macht gebrauchen doͤrfften/ ob wol der liebe Lutherus den ort 1. Cor. 14/ 40. dazu anſuͤhret/ muß doch ſolche ordnung nicht nur ſo angeſehen werden/ wie einige nur decori ergo, oder um euſſerlichen wolſtands willen/ eingefuͤh- ret werden/ als etwa die ordnung der ceremonien ſeyn moͤchte/ oder da es umſtaͤnde des Gottesdienſtes betraͤffe/ aus welcher gelegenheit Paulus die wor-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/77>, abgerufen am 22.11.2024.