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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO XXVII.
anruffung treulich erwegen. Daher auch dieses mal nichts weiter hievon
gedencken will/ biß vernehmen werde/ ob und wie fern der HERR
solche einfältige arbeit auch an ihm gesegnet haben mag. Dieses einige
meine doch noch nöthig zu erinnern/ weil ich weiß/ daß es schwachen offters
die sache sehr schwehr machet/ nemlich/ daß er dieses sich nicht zu einem ge-
fährlichen anstoß mache/ es müsse nicht mehr wol mit seiner seelen stehen/
weil er bey dem anfang seiner bekehrung so viel selige stunden gehabt/ und so
manche süßigkeit von seinem GOTT empfunden/ davon er jetzt nichts mehr
fühle/ aber eben deswegen sorge/ GOtt habe ihm um einiger undanckbarkeit
willen seine vorige gnade entzogen. Denn es ist dieses GOttes des HErrn
offtmalige art mit den seinigen umzugehen/ daß er zuerst grosse freude und
trost in die seelen gibet/ biß sie ihn haben kennen und lieben lernen: aber nach
dem entziehet er gemeiniglich solche empfindlichkeit/ und lässet es wol gar zu
grosser traurigkeit und trostlosigkeit gerathen/ damit er solche liebe prüfe/
reinige/ und fest mache/ auff daß nicht etwa bey fortwährender stäter freude
unsre liebe mehr gegen die süßigkeit unsers Vaters als gegen ihn selbs gehe/
welches eine gantz unordentliche liebe machen würde: also lehret uns GOtt/
ihn auch ohne jenen trost lieben/ und übet uns in solcher lection. Er ma-
chets/ wie mans etwa mit den kindern machet/ die man mit zucker zuerst in die
schule locket/ wo sie aber derselben nunmehr gewohnet sind/ damit inhält/
und sie gleichwol darnach nicht weniger als zuvor liebet/ und ihr bestes su-
chet. Hierinn lerne er sich schicken/ und erinnere sich zwahr offt des süssen
geschmacks/ den er vor dem gefühlet/ nicht aber entweder denselben wieder-
um unmäßig GOtt abzwingen zu wollen/ oder aus dem mangel seinen gna-
denstand in zweiffel zu ziehen/ sondern allein in solcher erinnerung sich zu stär-
cken wie wahrhafftig seye/ was die schrifft von der süßigkeit GOttes zeuget/
welches er selbs geschmecket habe/ und ihm der HErr solches auch wieder als-
dann zu schmecken geben werde/ wenn ers seiner seele nützlich befinden wird.
Jch sehe auch ferner/ daß die scrupuli wegen der bestraffung des nechsten
noch nicht gantz weg sind/ wie ich aber aus dem brieff wahrnehme/ daß er die
rechte fundamenta, worauff er seine ruhe in solcher sache gründen solle/ wol
einsihet/ so achte ich auch diese angst vielmehr zugleich mit vor einen effect des
leiblichen mali hypochondriaci, welches bey allen das nechste objectum, so
uns etwa einmal einen zweiffel gemacht/ ergreifft/ und uns damit quälet/ als
vor einen blossen gewissens-scrupul: also will es nur dagegen gebetet/ und
dann nöthig seyn/ so off ein neuer sturm davon kömmt/ die fundamenta auch
auffs neue wieder anzusehen/ und sich damit zu beruhigen. Was ich vor
diesem geschrieben/ ist mir nicht eben annoch in frischer gedächtnüß. Dißmal

bitte

ARTIC. II. SECTIO XXVII.
anruffung treulich erwegen. Daher auch dieſes mal nichts weiter hievon
gedencken will/ biß vernehmen werde/ ob und wie fern der HERR
ſolche einfaͤltige arbeit auch an ihm geſegnet haben mag. Dieſes einige
meine doch noch noͤthig zu erinnern/ weil ich weiß/ daß es ſchwachen offters
die ſache ſehr ſchwehr machet/ nemlich/ daß er dieſes ſich nicht zu einem ge-
faͤhrlichen anſtoß mache/ es muͤſſe nicht mehr wol mit ſeiner ſeelen ſtehen/
weil er bey dem anfang ſeiner bekehrung ſo viel ſelige ſtunden gehabt/ und ſo
manche ſuͤßigkeit von ſeinem GOTT empfunden/ davon er jetzt nichts mehr
fuͤhle/ aber eben deswegen ſorge/ GOtt habe ihm um einiger undanckbarkeit
willen ſeine vorige gnade entzogen. Denn es iſt dieſes GOttes des HErrn
offtmalige art mit den ſeinigen umzugehen/ daß er zuerſt groſſe freude und
troſt in die ſeelen gibet/ biß ſie ihn haben kennen und lieben lernen: aber nach
dem entziehet er gemeiniglich ſolche empfindlichkeit/ und laͤſſet es wol gar zu
groſſer traurigkeit und troſtloſigkeit gerathen/ damit er ſolche liebe pruͤfe/
reinige/ und feſt mache/ auff daß nicht etwa bey fortwaͤhrender ſtaͤter freude
unſre liebe mehr gegen die ſuͤßigkeit unſers Vaters als gegen ihn ſelbs gehe/
welches eine gantz unordentliche liebe machen wuͤrde: alſo lehret uns GOtt/
ihn auch ohne jenen troſt lieben/ und uͤbet uns in ſolcher lection. Er ma-
chets/ wie mans etwa mit den kindern machet/ die man mit zucker zuerſt in die
ſchule locket/ wo ſie aber derſelben nunmehr gewohnet ſind/ damit inhaͤlt/
und ſie gleichwol darnach nicht weniger als zuvor liebet/ und ihr beſtes ſu-
chet. Hierinn lerne er ſich ſchicken/ und erinnere ſich zwahr offt des ſuͤſſen
geſchmacks/ den er vor dem gefuͤhlet/ nicht aber entweder denſelben wieder-
um unmaͤßig GOtt abzwingen zu wollen/ oder aus dem mangel ſeinen gna-
denſtand in zweiffel zu ziehen/ ſondern allein in ſolcher erinnerung ſich zu ſtaͤr-
cken wie wahrhafftig ſeye/ was die ſchrifft von der ſuͤßigkeit GOttes zeuget/
welches er ſelbs geſchmecket habe/ und ihm der HErr ſolches auch wieder als-
dann zu ſchmecken geben werde/ wenn ers ſeiner ſeele nuͤtzlich befinden wird.
Jch ſehe auch ferner/ daß die ſcrupuli wegen der beſtraffung des nechſten
noch nicht gantz weg ſind/ wie ich aber aus dem brieff wahrnehme/ daß er die
rechte fundamenta, worauff er ſeine ruhe in ſolcher ſache gruͤnden ſolle/ wol
einſihet/ ſo achte ich auch dieſe angſt vielmehr zugleich mit vor einen effect des
leiblichen mali hypochondriaci, welches bey allen das nechſte objectum, ſo
uns etwa einmal einen zweiffel gemacht/ ergreifft/ und uns damit quaͤlet/ als
vor einen bloſſen gewiſſens-ſcrupul: alſo will es nur dagegen gebetet/ und
dann noͤthig ſeyn/ ſo off ein neuer ſturm davon koͤmmt/ die fundamenta auch
auffs neue wieder anzuſehen/ und ſich damit zu beruhigen. Was ich vor
dieſem geſchrieben/ iſt mir nicht eben annoch in friſcher gedaͤchtnuͤß. Dißmal

bitte
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[823/0831] ARTIC. II. SECTIO XXVII. anruffung treulich erwegen. Daher auch dieſes mal nichts weiter hievon gedencken will/ biß vernehmen werde/ ob und wie fern der HERR ſolche einfaͤltige arbeit auch an ihm geſegnet haben mag. Dieſes einige meine doch noch noͤthig zu erinnern/ weil ich weiß/ daß es ſchwachen offters die ſache ſehr ſchwehr machet/ nemlich/ daß er dieſes ſich nicht zu einem ge- faͤhrlichen anſtoß mache/ es muͤſſe nicht mehr wol mit ſeiner ſeelen ſtehen/ weil er bey dem anfang ſeiner bekehrung ſo viel ſelige ſtunden gehabt/ und ſo manche ſuͤßigkeit von ſeinem GOTT empfunden/ davon er jetzt nichts mehr fuͤhle/ aber eben deswegen ſorge/ GOtt habe ihm um einiger undanckbarkeit willen ſeine vorige gnade entzogen. Denn es iſt dieſes GOttes des HErrn offtmalige art mit den ſeinigen umzugehen/ daß er zuerſt groſſe freude und troſt in die ſeelen gibet/ biß ſie ihn haben kennen und lieben lernen: aber nach dem entziehet er gemeiniglich ſolche empfindlichkeit/ und laͤſſet es wol gar zu groſſer traurigkeit und troſtloſigkeit gerathen/ damit er ſolche liebe pruͤfe/ reinige/ und feſt mache/ auff daß nicht etwa bey fortwaͤhrender ſtaͤter freude unſre liebe mehr gegen die ſuͤßigkeit unſers Vaters als gegen ihn ſelbs gehe/ welches eine gantz unordentliche liebe machen wuͤrde: alſo lehret uns GOtt/ ihn auch ohne jenen troſt lieben/ und uͤbet uns in ſolcher lection. Er ma- chets/ wie mans etwa mit den kindern machet/ die man mit zucker zuerſt in die ſchule locket/ wo ſie aber derſelben nunmehr gewohnet ſind/ damit inhaͤlt/ und ſie gleichwol darnach nicht weniger als zuvor liebet/ und ihr beſtes ſu- chet. Hierinn lerne er ſich ſchicken/ und erinnere ſich zwahr offt des ſuͤſſen geſchmacks/ den er vor dem gefuͤhlet/ nicht aber entweder denſelben wieder- um unmaͤßig GOtt abzwingen zu wollen/ oder aus dem mangel ſeinen gna- denſtand in zweiffel zu ziehen/ ſondern allein in ſolcher erinnerung ſich zu ſtaͤr- cken wie wahrhafftig ſeye/ was die ſchrifft von der ſuͤßigkeit GOttes zeuget/ welches er ſelbs geſchmecket habe/ und ihm der HErr ſolches auch wieder als- dann zu ſchmecken geben werde/ wenn ers ſeiner ſeele nuͤtzlich befinden wird. Jch ſehe auch ferner/ daß die ſcrupuli wegen der beſtraffung des nechſten noch nicht gantz weg ſind/ wie ich aber aus dem brieff wahrnehme/ daß er die rechte fundamenta, worauff er ſeine ruhe in ſolcher ſache gruͤnden ſolle/ wol einſihet/ ſo achte ich auch dieſe angſt vielmehr zugleich mit vor einen effect des leiblichen mali hypochondriaci, welches bey allen das nechſte objectum, ſo uns etwa einmal einen zweiffel gemacht/ ergreifft/ und uns damit quaͤlet/ als vor einen bloſſen gewiſſens-ſcrupul: alſo will es nur dagegen gebetet/ und dann noͤthig ſeyn/ ſo off ein neuer ſturm davon koͤmmt/ die fundamenta auch auffs neue wieder anzuſehen/ und ſich damit zu beruhigen. Was ich vor dieſem geſchrieben/ iſt mir nicht eben annoch in friſcher gedaͤchtnuͤß. Dißmal bitte

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 823. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/831>, abgerufen am 22.11.2024.