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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
len/ auff den sie in den opfern gewiesen wurden/ auch nach der maaß/ als es der oeco-
nomiae
solcher zeit gemäß war/ geistliche und ewige güter so geschenckt als zugesagt/
daß auch aus ansehung der künfftigen aufferstehung sich so viele um des Jüdischen
glaubens willen/ wie in der Maccabeer büchern zu sehen/ willig lassen hinrichten/
und nach diesem leben ein anders/ und seligers erwartet. Also daß auch unser lie-
be Heyland die Sadduceer nicht nur einer unwissenheit der krafft GOttes/ sondern
auch der Schrifft/ beschuldiget/ daß sie aus der benennung/ daß er seye der GOtt
Abrahams/ Jsaacs und Jacobs/ die aufferstehung nicht erkanten/ sondern alle gött-
liche verheissungen allein auff die glückseligkeit dessen gegenwärtigen lebens zogen.
Wie nun die Sadduceer einmüthig von den Juden ihrer zeit verworffen wurden de-
ren meinung gleichwohl recht gewesen wäre/ wo die alte allein leibliche verheissung
gehabt hätten; also haben wir ja heut zu tag nach so viel hellerem liecht viel andere
gedancken von der gütigen liebe GOttes gegen seine außerwehlte kinder des Alten
Testaments zu fassen: Wohin uns sonderlich Paulus Hebr. 11/ 9. 10. 13. 14. 15.
16.
weiset/ und gleichsam den schlüssel gibet/ wie wir den bund/ den GOTT mit den
alten gemacht/ anzusehen haben. Was das andere anlanget/ gleich wie ich den
daraus fliessenden irrthum meinen Hochgeehrten Herrn nicht zu messen will/ so
scheinet gleichwohl solche dolmetschung allgemach unwissend zu demselben den weg
zu bahnen: So bald aber dieses mit sich zu bringen/ daß die rechtfertigung bestehe/
nicht in der gnädigen vergebung der sünden/ und also loßzehlung vor göttlichem ge-
richt/ wo einige significatio q. forensis platz hat/ sondern in einer gleichsam
physica infusione habitualis justitiae: welche habitual-gerechtigkeit freylich
als eine folge der gnädigen vergebung der sünden ihres orts bleiben/ und ernstlich ge-
trieben werden muß; aber hingegen so soll auch billig der unterscheid unter der ju-
stification
und renovation, den die Schrifft selbs andeutet/ bleiben. So wird
meines ermessens/ es möchte denn der einige ort seyn. Apoc. XXII, 11. (wo zwar nicht
nur über denselbigen sich noch vieles sagen lässet/ sondern gar andreexemplaria ha-
ben dikaiosunen poiesato) nicht eine einige stelle in der gantzen Schrifft sich finden/
wo bekantlich das wort dikaiou~n heissen solte/ einen rechtschaffen machen/ habituali
aliqua inhaerente justitia,
sondern allezeit ists von einer solchen rechtfertigung ge-
braucht/ daß der mensch von dem richter oder andern leuten gerecht gefprochen/ loß-
gezehlet oder davor gepriesen wird. Daher auch Jeremias Felbinger in seiner
übersetzung solches wort/ wanns von GOTT gegen den sünder gebraucht/ nicht
anders als wir auch dasselbige verteutschet/ rechtfertigen/ der doch/ daß er seine
hypotheses behauptete/ wo es müglich gewesen/ gerne würde eine andere überse-
tzung beliebet haben. Daher ich nicht sehe/ wie solche dolmetschung wider die
gantze phrasin der Schrifft stehen könne; zu geschweigen daß das wort rechtschaf-
fen/
oder rechtschaffenheit eben so wenig verständlich ist/ und soll es anders recht
nach der wahren meinung gefasset werden/ so viel erklährung bedarff/ als das wort

gerecht

Das ſechſte Capitel.
len/ auff den ſie in den opfern gewieſen wurden/ auch nach der maaß/ als es der œco-
nomiæ
ſolcher zeit gemaͤß war/ geiſtliche und ewige guͤter ſo geſchenckt als zugeſagt/
daß auch aus anſehung der kuͤnfftigen aufferſtehung ſich ſo viele um des Juͤdiſchen
glaubens willen/ wie in der Maccabeer buͤchern zu ſehen/ willig laſſen hinrichten/
und nach dieſem leben ein anders/ und ſeligers erwartet. Alſo daß auch unſer lie-
be Heyland die Sadduceer nicht nur einer unwiſſenheit der krafft GOttes/ ſondern
auch der Schrifft/ beſchuldiget/ daß ſie aus der benennung/ daß er ſeye der GOtt
Abrahams/ Jſaacs und Jacobs/ die aufferſtehung nicht erkanten/ ſondern alle goͤtt-
liche verheiſſungen allein auff die gluͤckſeligkeit deſſen gegenwaͤrtigen lebens zogen.
Wie nun die Sadduceer einmuͤthig von den Juden ihꝛer zeit verworffen wurden de-
ren meinung gleichwohl recht geweſen waͤre/ wo die alte allein leibliche verheiſſung
gehabt haͤtten; alſo haben wir ja heut zu tag nach ſo viel hellerem liecht viel andere
gedancken von der guͤtigen liebe GOttes gegen ſeine außerwehlte kinder des Alten
Teſtaments zu faſſen: Wohin uns ſonderlich Paulus Hebr. 11/ 9. 10. 13. 14. 15.
16.
weiſet/ und gleichſam den ſchluͤſſel gibet/ wie wir den bund/ den GOTT mit den
alten gemacht/ anzuſehen haben. Was das andere anlanget/ gleich wie ich den
daraus flieſſenden irrthum meinen Hochgeehrten Herrn nicht zu meſſen will/ ſo
ſcheinet gleichwohl ſolche dolmetſchung allgemach unwiſſend zu demſelben den weg
zu bahnen: So bald aber dieſes mit ſich zu bringen/ daß die rechtfertigung beſtehe/
nicht in der gnaͤdigen vergebung der ſuͤnden/ und alſo loßzehlung vor goͤttlichem ge-
richt/ wo einige ſignificatio q. forenſis platz hat/ ſondern in einer gleichſam
phyſica infuſione habitualis juſtitiæ: welche habitual-gerechtigkeit freylich
als eine folge der gnaͤdigen vergebung der ſuͤnden ihres orts bleiben/ und ernſtlich ge-
trieben werden muß; aber hingegen ſo ſoll auch billig der unterſcheid unter der ju-
ſtification
und renovation, den die Schrifft ſelbs andeutet/ bleiben. So wird
meines ermeſſens/ es moͤchte denn der einige ort ſeyn. Apoc. XXII, 11. (wo zwar nicht
nur uͤber denſelbigen ſich noch vieles ſagen laͤſſet/ ſondern gar andreexemplaria ha-
ben δικαιοσύνην ποιησάτω) nicht eine einige ſtelle in der gantzen Schrifft ſich finden/
wo bekantlich das wort δικαιου῀ν heiſſen ſolte/ einen rechtſchaffen machen/ habituali
aliqua inhærente juſtitia,
ſondern allezeit iſts von einer ſolchen rechtfertigung ge-
braucht/ daß der menſch von dem richter oder andern leuten gerecht gefprochen/ loß-
gezehlet oder davor geprieſen wird. Daher auch Jeremias Felbinger in ſeiner
uͤberſetzung ſolches wort/ wanns von GOTT gegen den ſuͤnder gebraucht/ nicht
anders als wir auch daſſelbige verteutſchet/ rechtfertigen/ der doch/ daß er ſeine
hypotheſes behauptete/ wo es muͤglich geweſen/ gerne wuͤrde eine andere uͤberſe-
tzung beliebet haben. Daher ich nicht ſehe/ wie ſolche dolmetſchung wider die
gantze φράσιν der Schrifft ſtehen koͤnne; zu geſchweigen daß das wort rechtſchaf-
fen/
oder rechtſchaffenheit eben ſo wenig verſtaͤndlich iſt/ und ſoll es anders recht
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[122/0140] Das ſechſte Capitel. len/ auff den ſie in den opfern gewieſen wurden/ auch nach der maaß/ als es der œco- nomiæ ſolcher zeit gemaͤß war/ geiſtliche und ewige guͤter ſo geſchenckt als zugeſagt/ daß auch aus anſehung der kuͤnfftigen aufferſtehung ſich ſo viele um des Juͤdiſchen glaubens willen/ wie in der Maccabeer buͤchern zu ſehen/ willig laſſen hinrichten/ und nach dieſem leben ein anders/ und ſeligers erwartet. Alſo daß auch unſer lie- be Heyland die Sadduceer nicht nur einer unwiſſenheit der krafft GOttes/ ſondern auch der Schrifft/ beſchuldiget/ daß ſie aus der benennung/ daß er ſeye der GOtt Abrahams/ Jſaacs und Jacobs/ die aufferſtehung nicht erkanten/ ſondern alle goͤtt- liche verheiſſungen allein auff die gluͤckſeligkeit deſſen gegenwaͤrtigen lebens zogen. Wie nun die Sadduceer einmuͤthig von den Juden ihꝛer zeit verworffen wurden de- ren meinung gleichwohl recht geweſen waͤre/ wo die alte allein leibliche verheiſſung gehabt haͤtten; alſo haben wir ja heut zu tag nach ſo viel hellerem liecht viel andere gedancken von der guͤtigen liebe GOttes gegen ſeine außerwehlte kinder des Alten Teſtaments zu faſſen: Wohin uns ſonderlich Paulus Hebr. 11/ 9. 10. 13. 14. 15. 16. weiſet/ und gleichſam den ſchluͤſſel gibet/ wie wir den bund/ den GOTT mit den alten gemacht/ anzuſehen haben. Was das andere anlanget/ gleich wie ich den daraus flieſſenden irrthum meinen Hochgeehrten Herrn nicht zu meſſen will/ ſo ſcheinet gleichwohl ſolche dolmetſchung allgemach unwiſſend zu demſelben den weg zu bahnen: So bald aber dieſes mit ſich zu bringen/ daß die rechtfertigung beſtehe/ nicht in der gnaͤdigen vergebung der ſuͤnden/ und alſo loßzehlung vor goͤttlichem ge- richt/ wo einige ſignificatio q. forenſis platz hat/ ſondern in einer gleichſam phyſica infuſione habitualis juſtitiæ: welche habitual-gerechtigkeit freylich als eine folge der gnaͤdigen vergebung der ſuͤnden ihres orts bleiben/ und ernſtlich ge- trieben werden muß; aber hingegen ſo ſoll auch billig der unterſcheid unter der ju- ſtification und renovation, den die Schrifft ſelbs andeutet/ bleiben. So wird meines ermeſſens/ es moͤchte denn der einige ort ſeyn. Apoc. XXII, 11. (wo zwar nicht nur uͤber denſelbigen ſich noch vieles ſagen laͤſſet/ ſondern gar andreexemplaria ha- ben δικαιοσύνην ποιησάτω) nicht eine einige ſtelle in der gantzen Schrifft ſich finden/ wo bekantlich das wort δικαιου῀ν heiſſen ſolte/ einen rechtſchaffen machen/ habituali aliqua inhærente juſtitia, ſondern allezeit iſts von einer ſolchen rechtfertigung ge- braucht/ daß der menſch von dem richter oder andern leuten gerecht gefprochen/ loß- gezehlet oder davor geprieſen wird. Daher auch Jeremias Felbinger in ſeiner uͤberſetzung ſolches wort/ wanns von GOTT gegen den ſuͤnder gebraucht/ nicht anders als wir auch daſſelbige verteutſchet/ rechtfertigen/ der doch/ daß er ſeine hypotheſes behauptete/ wo es muͤglich geweſen/ gerne wuͤrde eine andere uͤberſe- tzung beliebet haben. Daher ich nicht ſehe/ wie ſolche dolmetſchung wider die gantze φράσιν der Schrifft ſtehen koͤnne; zu geſchweigen daß das wort rechtſchaf- fen/ oder rechtſchaffenheit eben ſo wenig verſtaͤndlich iſt/ und ſoll es anders recht nach der wahren meinung gefaſſet werden/ ſo viel erklaͤhrung bedarff/ als das wort gerecht

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/140>, abgerufen am 21.11.2024.