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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
mit den gemeinen hat es seine richtigkeit/) vorgeschlagen wird. Und scheinet jene
mit vielmehr einfalt den rechten weg uns zuzeigen/ da hingegen in dergleichen me-
thodis,
wie einfältig sie das ansehen haben/ etwa mehr kunst und bemühung des
gemüthes ist/ als auff dem in der Schrifft deutlich gewiesenen weg des liebreichen
glaubens und gläubiger liebe/ so dann nach derenselben anstellenden wircklichen nach-
folge JEsu. Jedoch wie jeglichen der HErr seine gabe gegeben hat/ dieselbe
wende er an/ zu des gebers heiligen ehren und des neben-menschen erbauung. Jm
übrigen sehe ich täglich mit betrübten augen an/ die hereinbrechende schröckliche ge-
richte GOttes/ dero anfang wir bereits fühlen/ und hingegen den außgang nicht
übersehen können. Vor unser Evangelische kirche kan ich wenig gutes hoffen/ son-
dern daß sie ihrem GOtt eine schwehre heimsuchung schuldig seye/ und wie sie mit
den sünden Babels viele gemeinschafft gehabt/ also auch deroselben straffe theil-
hafftig werden solle/ ja das gericht von dem hause des HErrn anfangen müße. A-
ber ach daß es nur eine verfolgung um des HErrn und seines nahmens willen/ nicht
aber eine gerechte außgiessung des zorns über das greuel-wesen/ wäre. Von
Holland habe bißher die hoffnung mehr als von einigen ort gehabt/ daß der HErr
daselbs nicht nur viele guter seelen werde behalten/ sondern auch durch neuliche
züchtigung viel gutes bey vielen gewürcket haben/ ja daß es das ort möchte seyn/
wo etwa GOtt vielen den seinigen/ so anderwertlich weichen müßten/ ihre herberge
und zuflucht bestimmet haben möchte. Daher mich hertzlich betrübet und erschrecket/
was mein Herr davon schreibet und sorget. Wie wünschte ich meines orts/ daß un-
sre hiesige statt oder gegend auch ein solcher platz seyn möchte/ aber die unsere hiesi-
ge beschaffenheit wissen/ werden demselben mit mehrerem erzehlen können/ was vor
wetter über unseren haupten schweben/ ja fast anfangen auszubrechen/ daß die
übung der gottseligkeit dermassen verhasset/ daß der teuffel erstlich mit seinen lü-
gen und falschheit durch die schändlichste calumnias und lästerungen/ so weit und
breit vor wahrheit erschollen/ sie zu unterdrucken gesucht/ auch so bald einige nicht
böse gemüther von fortsetzung eines guten anfangs abgeschrecket/ nach dem aber
solches noch nicht gelungen/ andere gewaltsame mittel vornehmen dörffte; daß
wir vielmehr anderswo unsere zuflucht absehen müssen/ als jemand bey uns die we-
nigste sicherheit versprechen möchten. Die boßheit ist fast aller orten auff das höch-
ste gestiegen/ aber eben deßwegen muß es brechen. GOTT weiset hingegen
auch fast aller orten eine vorhin ungewohnte und ungemeine bewegung in vielen
gemüthern unter gelehrten und ungelehrten (doch diesen fast mehr) die schreckli-
che verderbnüß alles eusserlichen religion-wesens innerlich zuerkennen/ und nach
besserung zu seufftzen. Welcher kleine anfang nach GOttes willen bald zuneh-
men mag/ mir aber vorkommt/ als die erste augen der ausschlagenden bäume/
daraus wir die nähe des vor dem ewigen sommer vorgehenden lieben frühlings

abneh-

Das ſechſte Capitel.
mit den gemeinen hat es ſeine richtigkeit/) vorgeſchlagen wird. Und ſcheinet jene
mit vielmehr einfalt den rechten weg uns zuzeigen/ da hingegen in dergleichen me-
thodis,
wie einfaͤltig ſie das anſehen haben/ etwa mehr kunſt und bemuͤhung des
gemuͤthes iſt/ als auff dem in der Schrifft deutlich gewieſenen weg des liebreichen
glaubens und glaͤubiger liebe/ ſo dañ nach derenſelben anſtellenden wircklichen nach-
folge JEſu. Jedoch wie jeglichen der HErr ſeine gabe gegeben hat/ dieſelbe
wende er an/ zu des gebers heiligen ehren und des neben-menſchen erbauung. Jm
uͤbrigen ſehe ich taͤglich mit betruͤbten augen an/ die hereinbrechende ſchroͤckliche ge-
richte GOttes/ dero anfang wir bereits fuͤhlen/ und hingegen den außgang nicht
uͤberſehen koͤnnen. Vor unſer Evangeliſche kirche kan ich wenig gutes hoffen/ ſon-
dern daß ſie ihrem GOtt eine ſchwehre heimſuchung ſchuldig ſeye/ und wie ſie mit
den ſuͤnden Babels viele gemeinſchafft gehabt/ alſo auch deroſelben ſtraffe theil-
hafftig werden ſolle/ ja das gericht von dem hauſe des HErrn anfangen muͤße. A-
ber ach daß es nur eine verfolgung um des HErrn und ſeines nahmens willen/ nicht
aber eine gerechte außgieſſung des zorns uͤber das greuel-weſen/ waͤre. Von
Holland habe bißher die hoffnung mehr als von einigen ort gehabt/ daß der HErr
daſelbs nicht nur viele guter ſeelen werde behalten/ ſondern auch durch neuliche
zuͤchtigung viel gutes bey vielen gewuͤrcket haben/ ja daß es das ort moͤchte ſeyn/
wo etwa GOtt vielen den ſeinigen/ ſo anderwertlich weichen muͤßten/ ihre herberge
und zuflucht beſtim̃et haben moͤchte. Daher mich hertzlich betruͤbet und erſchrecket/
was mein Herr davon ſchreibet und ſorget. Wie wuͤnſchte ich meines orts/ daß un-
ſre hieſige ſtatt oder gegend auch ein ſolcher platz ſeyn moͤchte/ aber die unſere hieſi-
ge beſchaffenheit wiſſen/ werden demſelben mit mehrerem erzehlen koͤnnen/ was vor
wetter uͤber unſeren haupten ſchweben/ ja faſt anfangen auszubrechen/ daß die
uͤbung der gottſeligkeit dermaſſen verhaſſet/ daß der teuffel erſtlich mit ſeinen luͤ-
gen und falſchheit durch die ſchaͤndlichſte calumnias und laͤſterungen/ ſo weit und
breit vor wahrheit erſchollen/ ſie zu unterdrucken geſucht/ auch ſo bald einige nicht
boͤſe gemuͤther von fortſetzung eines guten anfangs abgeſchrecket/ nach dem aber
ſolches noch nicht gelungen/ andere gewaltſame mittel vornehmen doͤrffte; daß
wir vielmehr anderswo unſere zuflucht abſehen muͤſſen/ als jemand bey uns die we-
nigſte ſicherheit verſprechen moͤchten. Die boßheit iſt faſt aller orten auff das hoͤch-
ſte geſtiegen/ aber eben deßwegen muß es brechen. GOTT weiſet hingegen
auch faſt aller orten eine vorhin ungewohnte und ungemeine bewegung in vielen
gemuͤthern unter gelehrten und ungelehrten (doch dieſen faſt mehr) die ſchreckli-
che verderbnuͤß alles euſſerlichen religion-weſens innerlich zuerkennen/ und nach
beſſerung zu ſeufftzen. Welcher kleine anfang nach GOttes willen bald zuneh-
men mag/ mir aber vorkommt/ als die erſte augen der ausſchlagenden baͤume/
daraus wir die naͤhe des vor dem ewigen ſommer vorgehenden lieben fruͤhlings

abneh-
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[162/0180] Das ſechſte Capitel. mit den gemeinen hat es ſeine richtigkeit/) vorgeſchlagen wird. Und ſcheinet jene mit vielmehr einfalt den rechten weg uns zuzeigen/ da hingegen in dergleichen me- thodis, wie einfaͤltig ſie das anſehen haben/ etwa mehr kunſt und bemuͤhung des gemuͤthes iſt/ als auff dem in der Schrifft deutlich gewieſenen weg des liebreichen glaubens und glaͤubiger liebe/ ſo dañ nach derenſelben anſtellenden wircklichen nach- folge JEſu. Jedoch wie jeglichen der HErr ſeine gabe gegeben hat/ dieſelbe wende er an/ zu des gebers heiligen ehren und des neben-menſchen erbauung. Jm uͤbrigen ſehe ich taͤglich mit betruͤbten augen an/ die hereinbrechende ſchroͤckliche ge- richte GOttes/ dero anfang wir bereits fuͤhlen/ und hingegen den außgang nicht uͤberſehen koͤnnen. Vor unſer Evangeliſche kirche kan ich wenig gutes hoffen/ ſon- dern daß ſie ihrem GOtt eine ſchwehre heimſuchung ſchuldig ſeye/ und wie ſie mit den ſuͤnden Babels viele gemeinſchafft gehabt/ alſo auch deroſelben ſtraffe theil- hafftig werden ſolle/ ja das gericht von dem hauſe des HErrn anfangen muͤße. A- ber ach daß es nur eine verfolgung um des HErrn und ſeines nahmens willen/ nicht aber eine gerechte außgieſſung des zorns uͤber das greuel-weſen/ waͤre. Von Holland habe bißher die hoffnung mehr als von einigen ort gehabt/ daß der HErr daſelbs nicht nur viele guter ſeelen werde behalten/ ſondern auch durch neuliche zuͤchtigung viel gutes bey vielen gewuͤrcket haben/ ja daß es das ort moͤchte ſeyn/ wo etwa GOtt vielen den ſeinigen/ ſo anderwertlich weichen muͤßten/ ihre herberge und zuflucht beſtim̃et haben moͤchte. Daher mich hertzlich betruͤbet und erſchrecket/ was mein Herr davon ſchreibet und ſorget. Wie wuͤnſchte ich meines orts/ daß un- ſre hieſige ſtatt oder gegend auch ein ſolcher platz ſeyn moͤchte/ aber die unſere hieſi- ge beſchaffenheit wiſſen/ werden demſelben mit mehrerem erzehlen koͤnnen/ was vor wetter uͤber unſeren haupten ſchweben/ ja faſt anfangen auszubrechen/ daß die uͤbung der gottſeligkeit dermaſſen verhaſſet/ daß der teuffel erſtlich mit ſeinen luͤ- gen und falſchheit durch die ſchaͤndlichſte calumnias und laͤſterungen/ ſo weit und breit vor wahrheit erſchollen/ ſie zu unterdrucken geſucht/ auch ſo bald einige nicht boͤſe gemuͤther von fortſetzung eines guten anfangs abgeſchrecket/ nach dem aber ſolches noch nicht gelungen/ andere gewaltſame mittel vornehmen doͤrffte; daß wir vielmehr anderswo unſere zuflucht abſehen muͤſſen/ als jemand bey uns die we- nigſte ſicherheit verſprechen moͤchten. Die boßheit iſt faſt aller orten auff das hoͤch- ſte geſtiegen/ aber eben deßwegen muß es brechen. GOTT weiſet hingegen auch faſt aller orten eine vorhin ungewohnte und ungemeine bewegung in vielen gemuͤthern unter gelehrten und ungelehrten (doch dieſen faſt mehr) die ſchreckli- che verderbnuͤß alles euſſerlichen religion-weſens innerlich zuerkennen/ und nach beſſerung zu ſeufftzen. Welcher kleine anfang nach GOttes willen bald zuneh- men mag/ mir aber vorkommt/ als die erſte augen der ausſchlagenden baͤume/ daraus wir die naͤhe des vor dem ewigen ſommer vorgehenden lieben fruͤhlings abneh-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/180>, abgerufen am 09.11.2024.