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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
wand unsere gefahr nicht geringer sondern noch schwerer worden. Wir können
uns auch über die gerichte ob wol uns harte und schwere/ als man noch fühlet/ fort-
hin druckende/ gerichte nicht beschweren/ noch sagen/ daß wir nicht zu denselben den
gerechten GOtt lange gereitzet haben. Jch rede nicht von ihrem lieben Straß-
burg allein/ als der ich mich entsinne/ was unser Heyland sagt Luc. 13/ 1--5. auch
dabey weiß/ daß der HERR öffters seinen anfang der härtsten heimsuchungen an
den jenigen mache welche auff sich/ gegen andere zu achten/ weniger schuld liegen ha-
ben; sondern wie ihre statt als ein glied unsers Reichs und Evangelischer kirchen
von GOTT heimgesuchet worden/ achte ich/ werden wir alle unsers zustands er-
innert. Wo wir nun vor GOtt stehen/ können wir nicht leugnen/ daß sich alle die
jenige dinge bey uns finden/ welche die änderungen der regimenter und schwehre
verfolgung nach sich zu ziehen pflegen. Jn dem weltlichen sehen wir durch und
durch die jenige ungerechtigkeit und übrige laster/ daß ob der HERR auch keinen
äusserlichen feind uns zuschickte/ es doch fast auch menschlicher weise bey uns in die
harre nicht bestehen könte. So ist die freyheit/ die der HERR uns so lange ge-
gönnet/ samt übrigen äusserlichen ruhe- und wohlstand von uns nicht danckbarlich
zu der ehre des HErren angewendet/ sondern auf so mancherley art an meisten
unsern orten freventlich zu boßheit und lastern mißbrauchet worden. Jn dem geist-
lichen haben wir deß lichts des Evangelii fast durch und durch nur zur hägung der
sicherheit mißbrauchet/ da wir GOTT mit verdrähung seiner wahren lehr des E-
vangelii mit einem eingebildeten glauben (ferne von dem wahren lebendigen gött-
lichen glauben) so dann dem opere operato des äusserlichen GOttes diensts und
bekäntnüß der warheit/ hingegen widerspruch der falschen lehr/ abspeisen wollen;
gerade als müste GOtt wol mit uns zu frieden seyn/ ob wol des rechtschaffenen we-
sens in Christo sich leider wenig bey uns befunden hat. Wie der augen schein gantz
deutlich an allen orten zeiget. Da ists also kein wunder wo uns der HERR/ als
der sich in die harre nicht spoten lässet/ endlich alles solches/ unsere politische freyheit
und ruhe-stand/ so dann die religions freyheit und dero umeingeschrenckten ge-
brauch wegnehme/ oder doch dermassen beschneide und einschrencke/ daß wir sagen
müssen/ der HERR hat nicht vergessen/ was wir gegen ihn gesündiget/ sondern
unsere missethaten in das liecht vor seinem angesicht gestellet. Wo er solches noch
nicht angefangen hat/ wird man darum nicht leer außgehen/ sondern hat nur die-
sen vortheil in verlängerter frist zur buß/ sich so viel besser zu der sache zu bereiten/
und dabey zugedencken/ daß wir solcher frist uns desto fleißiger zugebrauchen ha-
ben. Wie ich dann uns allen keinen bessern rath weiß/ als wir stehen noch in un-
serer freyheit/ oder haben solche zum theil verlohren/ daß wir uns des jenigen/ was
wir noch übrig haben desto fleißiger gebrauchen/ und es danckbarlich zu des jeni-
gen ehren anwenden/ der uns dasselbe gegeben oder gelassen hat. Dabey neben

uns

Das ſechſte Capitel.
wand unſere gefahr nicht geringer ſondern noch ſchwerer worden. Wir koͤnnen
uns auch uͤber die gerichte ob wol uns harte und ſchwere/ als man noch fuͤhlet/ fort-
hin druckende/ gerichte nicht beſchweren/ noch ſagen/ daß wir nicht zu denſelben den
gerechten GOtt lange gereitzet haben. Jch rede nicht von ihrem lieben Straß-
burg allein/ als der ich mich entſinne/ was unſer Heyland ſagt Luc. 13/ 1‒‒5. auch
dabey weiß/ daß der HERR oͤffters ſeinen anfang der haͤrtſten heimſuchungen an
den jenigen mache welche auff ſich/ gegen andere zu achten/ weniger ſchuld liegen ha-
ben; ſondern wie ihre ſtatt als ein glied unſers Reichs und Evangeliſcher kirchen
von GOTT heimgeſuchet worden/ achte ich/ werden wir alle unſers zuſtands er-
innert. Wo wir nun vor GOtt ſtehen/ koͤnnen wir nicht leugnen/ daß ſich alle die
jenige dinge bey uns finden/ welche die aͤnderungen der regimenter und ſchwehre
verfolgung nach ſich zu ziehen pflegen. Jn dem weltlichen ſehen wir durch und
durch die jenige ungerechtigkeit und uͤbrige laſter/ daß ob der HERR auch keinen
aͤuſſerlichen feind uns zuſchickte/ es doch faſt auch menſchlicher weiſe bey uns in die
harre nicht beſtehen koͤnte. So iſt die freyheit/ die der HERR uns ſo lange ge-
goͤnnet/ ſamt uͤbrigen aͤuſſerlichen ruhe- und wohlſtand von uns nicht danckbarlich
zu der ehre des HErren angewendet/ ſondern auf ſo mancherley art an meiſten
unſern orten freventlich zu boßheit und laſtern mißbrauchet worden. Jn dem geiſt-
lichen haben wir deß lichts des Evangelii faſt durch und durch nur zur haͤgung der
ſicherheit mißbrauchet/ da wir GOTT mit verdraͤhung ſeiner wahren lehr des E-
vangelii mit einem eingebildeten glauben (ferne von dem wahren lebendigen goͤtt-
lichen glauben) ſo dann dem opere operato des aͤuſſerlichen GOttes dienſts und
bekaͤntnuͤß der warheit/ hingegen widerſpruch der falſchen lehr/ abſpeiſen wollen;
gerade als muͤſte GOtt wol mit uns zu frieden ſeyn/ ob wol des rechtſchaffenen we-
ſens in Chriſto ſich leider wenig bey uns befunden hat. Wie der augen ſchein gantz
deutlich an allen orten zeiget. Da iſts alſo kein wunder wo uns der HERR/ als
der ſich in die harꝛe nicht ſpoten laͤſſet/ endlich alles ſolches/ unſere politiſche freyheit
und ruhe-ſtand/ ſo dann die religions freyheit und dero umeingeſchrenckten ge-
brauch wegnehme/ oder doch dermaſſen beſchneide und einſchrencke/ daß wir ſagen
muͤſſen/ der HERR hat nicht vergeſſen/ was wir gegen ihn geſuͤndiget/ ſondern
unſere miſſethaten in das liecht vor ſeinem angeſicht geſtellet. Wo er ſolches noch
nicht angefangen hat/ wird man darum nicht leer außgehen/ ſondern hat nur die-
ſen vortheil in verlaͤngerter friſt zur buß/ ſich ſo viel beſſer zu der ſache zu bereiten/
und dabey zugedencken/ daß wir ſolcher friſt uns deſto fleißiger zugebrauchen ha-
ben. Wie ich dann uns allen keinen beſſern rath weiß/ als wir ſtehen noch in un-
ſerer freyheit/ oder haben ſolche zum theil verlohren/ daß wir uns des jenigen/ was
wir noch uͤbrig haben deſto fleißiger gebrauchen/ und es danckbarlich zu des jeni-
gen ehren anwenden/ der uns daſſelbe gegeben oder gelaſſen hat. Dabey neben

uns
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[490/0508] Das ſechſte Capitel. wand unſere gefahr nicht geringer ſondern noch ſchwerer worden. Wir koͤnnen uns auch uͤber die gerichte ob wol uns harte und ſchwere/ als man noch fuͤhlet/ fort- hin druckende/ gerichte nicht beſchweren/ noch ſagen/ daß wir nicht zu denſelben den gerechten GOtt lange gereitzet haben. Jch rede nicht von ihrem lieben Straß- burg allein/ als der ich mich entſinne/ was unſer Heyland ſagt Luc. 13/ 1‒‒5. auch dabey weiß/ daß der HERR oͤffters ſeinen anfang der haͤrtſten heimſuchungen an den jenigen mache welche auff ſich/ gegen andere zu achten/ weniger ſchuld liegen ha- ben; ſondern wie ihre ſtatt als ein glied unſers Reichs und Evangeliſcher kirchen von GOTT heimgeſuchet worden/ achte ich/ werden wir alle unſers zuſtands er- innert. Wo wir nun vor GOtt ſtehen/ koͤnnen wir nicht leugnen/ daß ſich alle die jenige dinge bey uns finden/ welche die aͤnderungen der regimenter und ſchwehre verfolgung nach ſich zu ziehen pflegen. Jn dem weltlichen ſehen wir durch und durch die jenige ungerechtigkeit und uͤbrige laſter/ daß ob der HERR auch keinen aͤuſſerlichen feind uns zuſchickte/ es doch faſt auch menſchlicher weiſe bey uns in die harre nicht beſtehen koͤnte. So iſt die freyheit/ die der HERR uns ſo lange ge- goͤnnet/ ſamt uͤbrigen aͤuſſerlichen ruhe- und wohlſtand von uns nicht danckbarlich zu der ehre des HErren angewendet/ ſondern auf ſo mancherley art an meiſten unſern orten freventlich zu boßheit und laſtern mißbrauchet worden. Jn dem geiſt- lichen haben wir deß lichts des Evangelii faſt durch und durch nur zur haͤgung der ſicherheit mißbrauchet/ da wir GOTT mit verdraͤhung ſeiner wahren lehr des E- vangelii mit einem eingebildeten glauben (ferne von dem wahren lebendigen goͤtt- lichen glauben) ſo dann dem opere operato des aͤuſſerlichen GOttes dienſts und bekaͤntnuͤß der warheit/ hingegen widerſpruch der falſchen lehr/ abſpeiſen wollen; gerade als muͤſte GOtt wol mit uns zu frieden ſeyn/ ob wol des rechtſchaffenen we- ſens in Chriſto ſich leider wenig bey uns befunden hat. Wie der augen ſchein gantz deutlich an allen orten zeiget. Da iſts alſo kein wunder wo uns der HERR/ als der ſich in die harꝛe nicht ſpoten laͤſſet/ endlich alles ſolches/ unſere politiſche freyheit und ruhe-ſtand/ ſo dann die religions freyheit und dero umeingeſchrenckten ge- brauch wegnehme/ oder doch dermaſſen beſchneide und einſchrencke/ daß wir ſagen muͤſſen/ der HERR hat nicht vergeſſen/ was wir gegen ihn geſuͤndiget/ ſondern unſere miſſethaten in das liecht vor ſeinem angeſicht geſtellet. Wo er ſolches noch nicht angefangen hat/ wird man darum nicht leer außgehen/ ſondern hat nur die- ſen vortheil in verlaͤngerter friſt zur buß/ ſich ſo viel beſſer zu der ſache zu bereiten/ und dabey zugedencken/ daß wir ſolcher friſt uns deſto fleißiger zugebrauchen ha- ben. Wie ich dann uns allen keinen beſſern rath weiß/ als wir ſtehen noch in un- ſerer freyheit/ oder haben ſolche zum theil verlohren/ daß wir uns des jenigen/ was wir noch uͤbrig haben deſto fleißiger gebrauchen/ und es danckbarlich zu des jeni- gen ehren anwenden/ der uns daſſelbe gegeben oder gelaſſen hat. Dabey neben uns

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/508>, abgerufen am 22.11.2024.