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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. II. SECT. IX.
daran ich/ wie ich bekenne/ nicht allezeit so austrücklichen gedacht habe; ob zwar
wohl weiß/ daß die von mir vergessene stücke deswegen auch vor dem HErrn
nicht vergessen sind/ der unsere noth besser als wir selber einsiehet und verstehet;
iedoch ist auch uns die erkänntnüß unserer eignen nothdürfftigkeit in ieglichen
besondern stücken sehr dienlich/ desto hertzlicher den HErrn um dasselbe anzufle-
hen/ und ihm damit die ehre zu geben/ in suchung dessen/ was wir bedürffen/ und
er uns zu andernmalen auch ohne sonderbares gebeth gewähret hat. Das gebeth
vor fernern segen der an meiner lieben Franckfurtischen gemeinde vormalen ge-
thaner arbeit will nicht zweiffeln erhöret zu werden/ und mag der HErr aus son-
derbarem rath vielleicht meine wegrückung eben dazu bestimmet haben/ daß man
sich des vorher gehörten desto fleißiger erinnere/ daß man etwa noch in gegenwart
mit weniger achtsamkeit angenommen haben würde. So trage ich auch das
hertzliche vertraren zu Gott/ er werde mich vor solche liebe seelen mein noch fort-
setzende seuffzen und bitte gnädigst erhören/ und auch gedeyen zu solchem meinem
aus der ferne thuendem begiessen verleihen/ wie auch meine geliebte nachfolger
und collegas mit doppeltem maaß des Geistes erfüllen: massen auch höre/ daß
Herrn L. Arcularii erste predigt so bald einen eintruck seiner liebe und vertrau-
ens zu ihnen in die hertzen gethan. Davor sage ich der Himmlischen güte danck/
daß dieselbe biß daher die bey ihnen letzlich mir verliehene versicherung des Gött-
lichen beruffs in meiner seelen immer mehr und mehr befestiget/ daß auch hoffe/
mir nicht leicht ein zweiffel dagegen auffstossen solle: es wäre dann sache/ daß der
HErr zu einiger meiner nöthigen leuterung auch diese ruhe einmal wolte turbiret
lassen werden; darinnen ich ihm auch nicht vorschreiben solle. Jndessen machet
mich solche versicherung getrost in meinem amt/ und bleibet ein stattlicher grund
der hoffnung bey aller bewandnüß der dinge/ welche ich hier angetroffen/ und
mehr und mehr einsiehe/ ob wol solche sonsten diese mächtig schwächen möchten.
Aber dem HErren seye preis/ vor diejenige gewißheit/ daß weil er mich heissen
gehen/ ich einmahl nicht vergebens kan hieher gekommen seyn/ ob wol noch nicht so
eigentlich austrucken kan/ worinnen es bestehen mag/ das mir der HErr bestim-
met hat. Jch will es auch nicht sorgfältig untersuchen/ sondern nach der mir be-
kanntlich vorgeschriebenen regel arbeiten/ und warten/ wie und wann mich der
HErr wolle die ursach seines raths einmahl ersehen lassen; bin damit zu frieden/
daß doch weiß/ in seinem beruff zu stehen/ ob auch die ursachen jener erkäntniß biß
gar in die ewigkeit möchte versparet müssen werden. Das Göttliche liecht/ indem
wir allein/ was unserer und andern seelen dienlich erkennen können/ ist das meiste/
warum ich vor mich mit ihr zu beten habe/ sonderlich wie sie recht bemercket/ die
erkänntnüß/ wie weit zu unserer zeit sich unsere gedult und langmuth erstrecken/
und hingegen womit einer mehreren widersetzung durchgebrochen werden müste.
Ach/ wie ich mir den spruch Pauli 2. Tim. 2. v. 24. 25. 26. vor eine meiner haupt-
regeln vorgestellet/ daß ich doch recht diese beyde mögen zusammen gatten lernen/

die
Tttt 3

ARTIC. II. SECT. IX.
daran ich/ wie ich bekenne/ nicht allezeit ſo austruͤcklichen gedacht habe; ob zwar
wohl weiß/ daß die von mir vergeſſene ſtuͤcke deswegen auch vor dem HErrn
nicht vergeſſen ſind/ der unſere noth beſſer als wir ſelber einſiehet und verſtehet;
iedoch iſt auch uns die erkaͤnntnuͤß unſerer eignen nothduͤrfftigkeit in ieglichen
beſondern ſtuͤcken ſehr dienlich/ deſto hertzlicher den HErrn um daſſelbe anzufle-
hen/ und ihm damit die ehre zu geben/ in ſuchung deſſen/ was wir beduͤrffen/ und
er uns zu andernmalen auch ohne ſonderbares gebeth gewaͤhret hat. Das gebeth
vor fernern ſegen der an meiner lieben Franckfurtiſchen gemeinde vormalen ge-
thaner arbeit will nicht zweiffeln erhoͤret zu werden/ und mag der HErr aus ſon-
derbarem rath vielleicht meine wegruͤckung eben dazu beſtimmet haben/ daß man
ſich des vorher gehoͤrten deſto fleißiger erinnere/ daß man etwa noch in gegenwart
mit weniger achtſamkeit angenommen haben wuͤrde. So trage ich auch das
hertzliche vertraren zu Gott/ er werde mich vor ſolche liebe ſeelen mein noch fort-
ſetzende ſeuffzen und bitte gnaͤdigſt erhoͤren/ und auch gedeyen zu ſolchem meinem
aus der ferne thuendem begieſſen verleihen/ wie auch meine geliebte nachfolger
und collegas mit doppeltem maaß des Geiſtes erfuͤllen: maſſen auch hoͤre/ daß
Herrn L. Arcularii erſte predigt ſo bald einen eintruck ſeiner liebe und vertrau-
ens zu ihnen in die hertzen gethan. Davor ſage ich der Himmliſchen guͤte danck/
daß dieſelbe biß daher die bey ihnen letzlich mir verliehene verſicherung des Goͤtt-
lichen beruffs in meiner ſeelen immer mehr und mehr befeſtiget/ daß auch hoffe/
mir nicht leicht ein zweiffel dagegen auffſtoſſen ſolle: es waͤre dann ſache/ daß der
HErr zu einiger meiner noͤthigen leuterung auch dieſe ruhe einmal wolte turbiret
laſſen werden; darinnen ich ihm auch nicht vorſchreiben ſolle. Jndeſſen machet
mich ſolche verſicherung getroſt in meinem amt/ und bleibet ein ſtattlicher grund
der hoffnung bey aller bewandnuͤß der dinge/ welche ich hier angetroffen/ und
mehr und mehr einſiehe/ ob wol ſolche ſonſten dieſe maͤchtig ſchwaͤchen moͤchten.
Aber dem HErren ſeye preis/ vor diejenige gewißheit/ daß weil er mich heiſſen
gehen/ ich einmahl nicht vergebens kan hieher gekom̃en ſeyn/ ob wol noch nicht ſo
eigentlich austrucken kan/ worinnen es beſtehen mag/ das mir der HErr beſtim-
met hat. Jch will es auch nicht ſorgfaͤltig unterſuchen/ ſondern nach der mir be-
kanntlich vorgeſchriebenen regel arbeiten/ und warten/ wie und wann mich der
HErr wolle die urſach ſeines raths einmahl erſehen laſſen; bin damit zu frieden/
daß doch weiß/ in ſeinem beruff zu ſtehen/ ob auch die urſachen jener erkaͤntniß biß
gar in die ewigkeit moͤchte verſparet muͤſſen werden. Das Goͤttliche liecht/ indem
wir allein/ was unſerer und andern ſeelen dienlich erkennen koͤnnen/ iſt das meiſte/
warum ich vor mich mit ihr zu beten habe/ ſonderlich wie ſie recht bemercket/ die
erkaͤnntnuͤß/ wie weit zu unſerer zeit ſich unſere gedult und langmuth erſtrecken/
und hingegen womit einer mehreren widerſetzung durchgebrochen werden muͤſte.
Ach/ wie ich mir den ſpruch Pauli 2. Tim. 2. v. 24. 25. 26. vor eine meiner haupt-
regeln vorgeſtellet/ daß ich doch recht dieſe beyde moͤgen zuſammen gatten lernen/

die
Tttt 3
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[701/0719] ARTIC. II. SECT. IX. daran ich/ wie ich bekenne/ nicht allezeit ſo austruͤcklichen gedacht habe; ob zwar wohl weiß/ daß die von mir vergeſſene ſtuͤcke deswegen auch vor dem HErrn nicht vergeſſen ſind/ der unſere noth beſſer als wir ſelber einſiehet und verſtehet; iedoch iſt auch uns die erkaͤnntnuͤß unſerer eignen nothduͤrfftigkeit in ieglichen beſondern ſtuͤcken ſehr dienlich/ deſto hertzlicher den HErrn um daſſelbe anzufle- hen/ und ihm damit die ehre zu geben/ in ſuchung deſſen/ was wir beduͤrffen/ und er uns zu andernmalen auch ohne ſonderbares gebeth gewaͤhret hat. Das gebeth vor fernern ſegen der an meiner lieben Franckfurtiſchen gemeinde vormalen ge- thaner arbeit will nicht zweiffeln erhoͤret zu werden/ und mag der HErr aus ſon- derbarem rath vielleicht meine wegruͤckung eben dazu beſtimmet haben/ daß man ſich des vorher gehoͤrten deſto fleißiger erinnere/ daß man etwa noch in gegenwart mit weniger achtſamkeit angenommen haben wuͤrde. So trage ich auch das hertzliche vertraren zu Gott/ er werde mich vor ſolche liebe ſeelen mein noch fort- ſetzende ſeuffzen und bitte gnaͤdigſt erhoͤren/ und auch gedeyen zu ſolchem meinem aus der ferne thuendem begieſſen verleihen/ wie auch meine geliebte nachfolger und collegas mit doppeltem maaß des Geiſtes erfuͤllen: maſſen auch hoͤre/ daß Herrn L. Arcularii erſte predigt ſo bald einen eintruck ſeiner liebe und vertrau- ens zu ihnen in die hertzen gethan. Davor ſage ich der Himmliſchen guͤte danck/ daß dieſelbe biß daher die bey ihnen letzlich mir verliehene verſicherung des Goͤtt- lichen beruffs in meiner ſeelen immer mehr und mehr befeſtiget/ daß auch hoffe/ mir nicht leicht ein zweiffel dagegen auffſtoſſen ſolle: es waͤre dann ſache/ daß der HErr zu einiger meiner noͤthigen leuterung auch dieſe ruhe einmal wolte turbiret laſſen werden; darinnen ich ihm auch nicht vorſchreiben ſolle. Jndeſſen machet mich ſolche verſicherung getroſt in meinem amt/ und bleibet ein ſtattlicher grund der hoffnung bey aller bewandnuͤß der dinge/ welche ich hier angetroffen/ und mehr und mehr einſiehe/ ob wol ſolche ſonſten dieſe maͤchtig ſchwaͤchen moͤchten. Aber dem HErren ſeye preis/ vor diejenige gewißheit/ daß weil er mich heiſſen gehen/ ich einmahl nicht vergebens kan hieher gekom̃en ſeyn/ ob wol noch nicht ſo eigentlich austrucken kan/ worinnen es beſtehen mag/ das mir der HErr beſtim- met hat. Jch will es auch nicht ſorgfaͤltig unterſuchen/ ſondern nach der mir be- kanntlich vorgeſchriebenen regel arbeiten/ und warten/ wie und wann mich der HErr wolle die urſach ſeines raths einmahl erſehen laſſen; bin damit zu frieden/ daß doch weiß/ in ſeinem beruff zu ſtehen/ ob auch die urſachen jener erkaͤntniß biß gar in die ewigkeit moͤchte verſparet muͤſſen werden. Das Goͤttliche liecht/ indem wir allein/ was unſerer und andern ſeelen dienlich erkennen koͤnnen/ iſt das meiſte/ warum ich vor mich mit ihr zu beten habe/ ſonderlich wie ſie recht bemercket/ die erkaͤnntnuͤß/ wie weit zu unſerer zeit ſich unſere gedult und langmuth erſtrecken/ und hingegen womit einer mehreren widerſetzung durchgebrochen werden muͤſte. Ach/ wie ich mir den ſpruch Pauli 2. Tim. 2. v. 24. 25. 26. vor eine meiner haupt- regeln vorgeſtellet/ daß ich doch recht dieſe beyde moͤgen zuſammen gatten lernen/ die Tttt 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 701. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/719>, abgerufen am 22.11.2024.