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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. II. SECT. XIII.
göttliche weise providenz hertzlich verehre/ die diesen mann/ Philippum an die
seit gesetzet/ der nicht nur auch mit seiner erudition ihn in vielen stücken nützlich
zu statten gekommen/ sondern auch mehr mahl dessen hitz in einigen sachen mode-
ri
ret hat. Ob also Melanchthon die hohe krafft des Geists nicht gehabt alß Luthe-
rus,
daher auch die haupt-person in diesem grossen werck nicht hat vertretten kön-
nen/ sondern wo es an ihn gekommen/ seiner furchtsamkeit wegen alles würde in
stecken gerathen seyn/ so war doch dieses die weisheit GOttes/ welche denselben
unsern grossen helden zugeordnet/ der zuweilen einige consilia temperiren konte/
die sonsten zu hitzig mochten gefasset werden. Weswegen ob wol Philippi actio-
nes
nicht alle billige/ sonderlich nachdem er zu viel auff andere seiten sich zu nei-
gen angefangen/ so preisen wir dennoch billich GOttes weißheit/ der diese beyde
männer zusammen gegattet/ und haben nicht ursach/ Philippum so gar hinzu-
werffen/ und so schimpflich zu tractiren, wie Lutherus redivivus thut/ da er sich
gleichwohl besser um unsere kirche verdienet hat. 3. Jndessen hat unser liebe Lu-
therus
weder selbst den damahligen Churfürsten also angegriffen/ noch Spalati-
num
in seinen vielen brieffen an ihn/ dahin genöthiget/ wie ich mich versichere/
daß der Herr/ da er an solcher stelle wäre/ thun wolte: Sondern er ließ dem werck
des HErrn seine zeit/ das allgemach eines nach dem andern zeitigte: Ob es wohl
damahl auch bey hoff und der regierung durchaus nicht hergieng/ wie er verlang-
te; wie in seinen brieffen so viel zu sehen ist/ worinnen er es aber bey dem klagen
bleiben liesse/ und zu frieden war/ wo nur etzlicher massen das werck des HErrn
von statten gienge/ und nicht gar gehindert wurde. 4. Jch entsinne mich viel herr-
liches in Luthero gelesen zu haben/ ob wol die zeit auffzuschlagen nicht habe/ wie
der theure mann selbst mißfallen gehabt an denen predigern/ die mit poltern und
stürmen die leute wollten seelig machen/ und durch das gesetz dasjenige ausrich-
ten/ was in seinem vermögen nicht stehet/ indem es nicht einmal ein guts werck
heraus bringen kan/ geschweige denn/ daß es unsere bekehrung wircken könte.
Daher er auff das Evangelium so herrlich treibet/ daß mich eben in dem theuren
lehrer nichts hertzlicher afficirt/ alß daß ihm GOtt die art des Evangelii/ die na-
tur und krafft des glaubens/ die weise/ wie man zu rechtschaffener heiligkeit kom-
men solle/ heller einzusehen gegeben hat/ alß wohl biß auff ihn nach den Aposteln
schwerlich einem lehrer. Wo er also mit harten worten/ sonderlich gegen die fein-
de des Evangelii/ ausbricht/ welches ich oben bekennet habe/ nicht ohne göttliche
leitung geschehen zu seyn/ hat er solches gemein/ mit so viel anderen lehrern und
vättern/ vor ihm/ die es ihm in solcher hefftigkeit und schelten gleich/ oder wohl
vorgethan haben/ aber wo er mit dem Evangelio umgehet/ da ist er erst recht der
unvergleichliche Lutherus, und stehet in seiner eigenen gabe: Denn deßwegen
manche in Luthero das jenige am meisten suchen und lieben mögen/ das eben
nicht das haupt-werck in ihm ist/ und lassen darüber das beste und vornehmste
fahren/ oder sehens doch nicht fleißig an. 5. Wenn aber der Herr unsern auch

theu-
Xxxx

ARTIC. II. SECT. XIII.
goͤttliche weiſe providenz hertzlich verehre/ die dieſen mann/ Philippum an die
ſeit geſetzet/ der nicht nur auch mit ſeiner erudition ihn in vielen ſtuͤcken nuͤtzlich
zu ſtatten gekommen/ ſondern auch mehr mahl deſſen hitz in einigen ſachen mode-
ri
ret hat. Ob alſo Melanchthon die hohe krafft des Geiſts nicht gehabt alß Luthe-
rus,
daher auch die haupt-perſon in dieſem groſſen werck nicht hat vertretten koͤn-
nen/ ſondern wo es an ihn gekommen/ ſeiner furchtſamkeit wegen alles wuͤrde in
ſtecken gerathen ſeyn/ ſo war doch dieſes die weisheit GOttes/ welche denſelben
unſern groſſen helden zugeordnet/ der zuweilen einige conſilia temperiren konte/
die ſonſten zu hitzig mochten gefaſſet werden. Weswegen ob wol Philippi actio-
nes
nicht alle billige/ ſonderlich nachdem er zu viel auff andere ſeiten ſich zu nei-
gen angefangen/ ſo preiſen wir dennoch billich GOttes weißheit/ der dieſe beyde
maͤnner zuſammen gegattet/ und haben nicht urſach/ Philippum ſo gar hinzu-
werffen/ und ſo ſchimpflich zu tractiren, wie Lutherus redivivus thut/ da er ſich
gleichwohl beſſer um unſere kirche verdienet hat. 3. Jndeſſen hat unſer liebe Lu-
therus
weder ſelbſt den damahligen Churfuͤrſten alſo angegriffen/ noch Spalati-
num
in ſeinen vielen brieffen an ihn/ dahin genoͤthiget/ wie ich mich verſichere/
daß der Herr/ da er an ſolcher ſtelle waͤre/ thun wolte: Sondern er ließ dem werck
des HErrn ſeine zeit/ das allgemach eines nach dem andern zeitigte: Ob es wohl
damahl auch bey hoff und der regierung durchaus nicht hergieng/ wie er verlang-
te; wie in ſeinen brieffen ſo viel zu ſehen iſt/ worinnen er es aber bey dem klagen
bleiben lieſſe/ und zu frieden war/ wo nur etzlicher maſſen das werck des HErrn
von ſtatten gienge/ und nicht gar gehindert wurde. 4. Jch entſinne mich viel herr-
liches in Luthero geleſen zu haben/ ob wol die zeit auffzuſchlagen nicht habe/ wie
der theure mann ſelbſt mißfallen gehabt an denen predigern/ die mit poltern und
ſtuͤrmen die leute wollten ſeelig machen/ und durch das geſetz dasjenige ausrich-
ten/ was in ſeinem vermoͤgen nicht ſtehet/ indem es nicht einmal ein guts werck
heraus bringen kan/ geſchweige denn/ daß es unſere bekehrung wircken koͤnte.
Daher er auff das Evangelium ſo herrlich treibet/ daß mich eben in dem theuren
lehrer nichts hertzlicher afficirt/ alß daß ihm GOtt die art des Evangelii/ die na-
tur und krafft des glaubens/ die weiſe/ wie man zu rechtſchaffener heiligkeit kom-
men ſolle/ heller einzuſehen gegeben hat/ alß wohl biß auff ihn nach den Apoſteln
ſchwerlich einem lehrer. Wo er alſo mit harten worten/ ſonderlich gegen die fein-
de des Evangelii/ ausbricht/ welches ich oben bekennet habe/ nicht ohne goͤttliche
leitung geſchehen zu ſeyn/ hat er ſolches gemein/ mit ſo viel anderen lehrern und
vaͤttern/ vor ihm/ die es ihm in ſolcher hefftigkeit und ſchelten gleich/ oder wohl
vorgethan haben/ aber wo er mit dem Evangelio umgehet/ da iſt er erſt recht der
unvergleichliche Lutherus, und ſtehet in ſeiner eigenen gabe: Denn deßwegen
manche in Luthero das jenige am meiſten ſuchen und lieben moͤgen/ das eben
nicht das haupt-werck in ihm iſt/ und laſſen daruͤber das beſte und vornehmſte
fahren/ oder ſehens doch nicht fleißig an. 5. Wenn aber der Herr unſern auch

theu-
Xxxx
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[713/0731] ARTIC. II. SECT. XIII. goͤttliche weiſe providenz hertzlich verehre/ die dieſen mann/ Philippum an die ſeit geſetzet/ der nicht nur auch mit ſeiner erudition ihn in vielen ſtuͤcken nuͤtzlich zu ſtatten gekommen/ ſondern auch mehr mahl deſſen hitz in einigen ſachen mode- riret hat. Ob alſo Melanchthon die hohe krafft des Geiſts nicht gehabt alß Luthe- rus, daher auch die haupt-perſon in dieſem groſſen werck nicht hat vertretten koͤn- nen/ ſondern wo es an ihn gekommen/ ſeiner furchtſamkeit wegen alles wuͤrde in ſtecken gerathen ſeyn/ ſo war doch dieſes die weisheit GOttes/ welche denſelben unſern groſſen helden zugeordnet/ der zuweilen einige conſilia temperiren konte/ die ſonſten zu hitzig mochten gefaſſet werden. Weswegen ob wol Philippi actio- nes nicht alle billige/ ſonderlich nachdem er zu viel auff andere ſeiten ſich zu nei- gen angefangen/ ſo preiſen wir dennoch billich GOttes weißheit/ der dieſe beyde maͤnner zuſammen gegattet/ und haben nicht urſach/ Philippum ſo gar hinzu- werffen/ und ſo ſchimpflich zu tractiren, wie Lutherus redivivus thut/ da er ſich gleichwohl beſſer um unſere kirche verdienet hat. 3. Jndeſſen hat unſer liebe Lu- therus weder ſelbſt den damahligen Churfuͤrſten alſo angegriffen/ noch Spalati- num in ſeinen vielen brieffen an ihn/ dahin genoͤthiget/ wie ich mich verſichere/ daß der Herr/ da er an ſolcher ſtelle waͤre/ thun wolte: Sondern er ließ dem werck des HErrn ſeine zeit/ das allgemach eines nach dem andern zeitigte: Ob es wohl damahl auch bey hoff und der regierung durchaus nicht hergieng/ wie er verlang- te; wie in ſeinen brieffen ſo viel zu ſehen iſt/ worinnen er es aber bey dem klagen bleiben lieſſe/ und zu frieden war/ wo nur etzlicher maſſen das werck des HErrn von ſtatten gienge/ und nicht gar gehindert wurde. 4. Jch entſinne mich viel herr- liches in Luthero geleſen zu haben/ ob wol die zeit auffzuſchlagen nicht habe/ wie der theure mann ſelbſt mißfallen gehabt an denen predigern/ die mit poltern und ſtuͤrmen die leute wollten ſeelig machen/ und durch das geſetz dasjenige ausrich- ten/ was in ſeinem vermoͤgen nicht ſtehet/ indem es nicht einmal ein guts werck heraus bringen kan/ geſchweige denn/ daß es unſere bekehrung wircken koͤnte. Daher er auff das Evangelium ſo herrlich treibet/ daß mich eben in dem theuren lehrer nichts hertzlicher afficirt/ alß daß ihm GOtt die art des Evangelii/ die na- tur und krafft des glaubens/ die weiſe/ wie man zu rechtſchaffener heiligkeit kom- men ſolle/ heller einzuſehen gegeben hat/ alß wohl biß auff ihn nach den Apoſteln ſchwerlich einem lehrer. Wo er alſo mit harten worten/ ſonderlich gegen die fein- de des Evangelii/ ausbricht/ welches ich oben bekennet habe/ nicht ohne goͤttliche leitung geſchehen zu ſeyn/ hat er ſolches gemein/ mit ſo viel anderen lehrern und vaͤttern/ vor ihm/ die es ihm in ſolcher hefftigkeit und ſchelten gleich/ oder wohl vorgethan haben/ aber wo er mit dem Evangelio umgehet/ da iſt er erſt recht der unvergleichliche Lutherus, und ſtehet in ſeiner eigenen gabe: Denn deßwegen manche in Luthero das jenige am meiſten ſuchen und lieben moͤgen/ das eben nicht das haupt-werck in ihm iſt/ und laſſen daruͤber das beſte und vornehmſte fahren/ oder ſehens doch nicht fleißig an. 5. Wenn aber der Herr unſern auch theu- Xxxx

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/731>, abgerufen am 22.11.2024.