Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. I. SECTIO XVIII. ziemlichen fleiß anwenden, ihr gesetz, wie sie es verstehen, zu halten, wo siedann der christen ärgerliches leben ansehen, müssen sie in die gedancken kom- men, entweder daß unser Heyland ein so heiliger lehrer nicht gewesen, und daß seine lehre selbs an unsrem bösen leben schuld seye, oder daß wir desselben wenig achten, wenn wir so ungescheuet seinen geboten entgegen leben. Sol- ches stehet ihnen so sehr in dem wege, als einiges anders thun könte, und wol- len sie hingegen aus ihrer sorgfältigern bewahrung ihres gesetzes auch schlies- sen, daß sie auf besserm weg als wir seyn. Dahero nicht nur allein von predigern mit fleißiger remonstration, daß dergleichen leben unserer lehre nicht gemäß oder diese schuld daran seye, auch daß wir solche ärgerliche leute nicht vor wahre christen achteten, sondern auch von Regenten mit ernstli- cher steurung der laster diesem ärgernüß gewehret werden solle. Wozu ich auch mit recht dieses zusetze, daß man ob wol sie zu nichts wider ihre, ob schon falsche religion zu thun, nöthigen solle, dannoch auch zu deroselben übung selbs von unserer seiten nicht mit zu wircken oder daß sie die unsrige verleiten, und unsrer religion zuwider handlen, zu gestatten hat. Dahero ich nicht sehe, wie mans verantworten könne, wo man den Juden, da sie ih- ren sabbath fleißig gehalten, und sich der handlung enthalten haben, gestat- tet, daß sie den sonntag mit christen handthieren, und diesen zu der entheili- gung ihres heiligen tages anlaß geben. Ebenfalls hat eine christliche evan- gelische Obrigkeit nicht zu zugeben, daß auf ihre sabbather sich ihrer wahren religion zugethane leute zu deroselben diensten und vor Schabbas Gojim, wie sie sie nennen, brauchen lassen, welches wir vor sünde diesen leuten ach- ten, und also billich wehren sollen: wollen sie aber solche bediente haben, möchten sie dieselbe unter den Päbstischen suchen, welche solche dienste nicht unrecht zu seyn glauben. 4. Jndessen sind die itzt bedeutete die rechte eigentliche mittel nicht, sondern fast allein wegraumungen einiger hindernüssen; das rechte mittel aber ist das gebet, und göttliches wort. Wie nun ein jeglicher christ rechtswegen vor sich selbs auch um der Juden bekehrung zu beten hat, so viel mehr, weil wir wissen, darinn nach GOttes willen zu beten, in dem der HErr nicht nur insgemein bezeuget, daß er aller menschen heil hertzlich wolle, son- dern auch so herrliche verheissungen von der noch künfftigen herrlichen bekeh- rung des volcks gegeben hat, die wir mit zum grunde des gebets mit recht le- gen können; also solte die Obrigkeit, welche die obsicht auf das eusserli- che in der kirchen hat, billich verordnung thun, daß der HERR auch of- fentlich in der gantzen gemeinde um seine gnade und die erleuchtung seines bisher so verstockt-gebliebenen volcks, oder doch bereits itzo vieler unter den- selben, also auch um segnung der andern mittel, dadurch man jener heil su- chet, m 2
ARTIC. I. SECTIO XVIII. ziemlichen fleiß anwenden, ihr geſetz, wie ſie es verſtehen, zu halten, wo ſiedann der chriſten aͤrgerliches leben anſehen, muͤſſen ſie in die gedancken kom- men, entweder daß unſer Heyland ein ſo heiliger lehrer nicht geweſen, und daß ſeine lehꝛe ſelbs an unſrem boͤſen leben ſchuld ſeye, oder daß wir deſſelben wenig achten, wenn wir ſo ungeſcheuet ſeinen geboten entgegen leben. Sol- ches ſtehet ihnen ſo ſehr in dem wege, als einiges anders thun koͤnte, und wol- len ſie hingegen aus ihrer ſorgfaͤltigern bewahrung ihres geſetzes auch ſchlieſ- ſen, daß ſie auf beſſerm weg als wir ſeyn. Dahero nicht nur allein von predigern mit fleißiger remonſtration, daß dergleichen leben unſerer lehre nicht gemaͤß oder dieſe ſchuld daran ſeye, auch daß wir ſolche aͤrgerliche leute nicht vor wahre chriſten achteten, ſondern auch von Regenten mit ernſtli- cher ſteurung der laſter dieſem aͤrgernuͤß gewehret werden ſolle. Wozu ich auch mit recht dieſes zuſetze, daß man ob wol ſie zu nichts wider ihre, ob ſchon falſche religion zu thun, noͤthigen ſolle, dannoch auch zu deroſelben uͤbung ſelbs von unſerer ſeiten nicht mit zu wircken oder daß ſie die unſrige verleiten, und unſrer religion zuwider handlen, zu geſtatten hat. Dahero ich nicht ſehe, wie mans verantworten koͤnne, wo man den Juden, da ſie ih- ren ſabbath fleißig gehalten, und ſich der handlung enthalten haben, geſtat- tet, daß ſie den ſonntag mit chriſten handthieren, und dieſen zu der entheili- gung ihres heiligen tages anlaß geben. Ebenfalls hat eine chriſtliche evan- geliſche Obrigkeit nicht zu zugeben, daß auf ihre ſabbather ſich ihrer wahren religion zugethane leute zu deroſelben dienſten und vor Schabbas Gojim, wie ſie ſie nennen, brauchen laſſen, welches wir vor ſuͤnde dieſen leuten ach- ten, und alſo billich wehren ſollen: wollen ſie aber ſolche bediente haben, moͤchten ſie dieſelbe unter den Paͤbſtiſchen ſuchen, welche ſolche dienſte nicht unrecht zu ſeyn glauben. 4. Jndeſſen ſind die itzt bedeutete die rechte eigentliche mittel nicht, ſondern faſt allein wegraumungen einiger hindernuͤſſen; das rechte mittel aber iſt das gebet, und goͤttliches wort. Wie nun ein jeglicher chriſt rechtswegen vor ſich ſelbs auch um der Juden bekehrung zu beten hat, ſo viel mehr, weil wir wiſſen, darinn nach GOttes willen zu beten, in dem der HErr nicht nur insgemein bezeuget, daß er aller menſchen heil hertzlich wolle, ſon- dern auch ſo herrliche verheiſſungen von der noch kuͤnfftigen herrlichen bekeh- rung des volcks gegeben hat, die wir mit zum grunde des gebets mit recht le- gen koͤnnen; alſo ſolte die Obrigkeit, welche die obſicht auf das euſſerli- che in der kirchen hat, billich verordnung thun, daß der HERR auch of- fentlich in der gantzen gemeinde um ſeine gnade und die erleuchtung ſeines bisher ſo verſtockt-gebliebenen volcks, oder doch bereits itzo vieler unter den- ſelben, alſo auch um ſegnung der andern mittel, dadurch man jener heil ſu- chet, m 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <list> <item><pb facs="#f0103" n="91"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">ARTIC. I. SECTIO XVIII.</hi></hi></fw><lb/> ziemlichen fleiß anwenden, ihr geſetz, wie ſie es verſtehen, zu halten, wo ſie<lb/> dann der chriſten aͤrgerliches leben anſehen, muͤſſen ſie in die gedancken kom-<lb/> men, entweder daß unſer Heyland ein ſo heiliger lehrer nicht geweſen, und<lb/> daß ſeine lehꝛe ſelbs an unſrem boͤſen leben ſchuld ſeye, oder daß wir deſſelben<lb/> wenig achten, wenn wir ſo ungeſcheuet ſeinen geboten entgegen leben. Sol-<lb/> ches ſtehet ihnen ſo ſehr in dem wege, als einiges anders thun koͤnte, und wol-<lb/> len ſie hingegen aus ihrer ſorgfaͤltigern bewahrung ihres geſetzes auch ſchlieſ-<lb/> ſen, daß ſie auf beſſerm weg als wir ſeyn. Dahero nicht nur allein von<lb/> predigern mit fleißiger <hi rendition="#aq">remonſtration,</hi> daß dergleichen leben unſerer lehre<lb/> nicht gemaͤß oder dieſe ſchuld daran ſeye, auch daß wir ſolche aͤrgerliche leute<lb/> nicht vor wahre chriſten achteten, ſondern auch von Regenten mit ernſtli-<lb/> cher ſteurung der laſter dieſem aͤrgernuͤß gewehret werden ſolle. Wozu<lb/> ich auch mit recht dieſes zuſetze, daß man ob wol ſie zu nichts wider ihre,<lb/> ob ſchon falſche religion zu thun, noͤthigen ſolle, dannoch auch zu deroſelben<lb/> uͤbung ſelbs von unſerer ſeiten nicht mit zu wircken oder daß ſie die unſrige<lb/> verleiten, und unſrer religion zuwider handlen, zu geſtatten hat. Dahero<lb/> ich nicht ſehe, wie mans verantworten koͤnne, wo man den Juden, da ſie ih-<lb/> ren ſabbath fleißig gehalten, und ſich der handlung enthalten haben, geſtat-<lb/> tet, daß ſie den ſonntag mit chriſten handthieren, und dieſen zu der entheili-<lb/> gung ihres heiligen tages anlaß geben. Ebenfalls hat eine chriſtliche evan-<lb/> geliſche Obrigkeit nicht zu zugeben, daß auf ihre ſabbather ſich ihrer wahren<lb/> religion zugethane leute zu deroſelben dienſten und vor <hi rendition="#fr">Schabbas</hi> <hi rendition="#aq">Gojim,</hi><lb/> wie ſie ſie nennen, brauchen laſſen, welches wir vor ſuͤnde dieſen leuten ach-<lb/> ten, und alſo billich wehren ſollen: wollen ſie aber ſolche bediente haben,<lb/> moͤchten ſie dieſelbe unter den Paͤbſtiſchen ſuchen, welche ſolche dienſte nicht<lb/> unrecht zu ſeyn glauben.</item><lb/> <item>4. Jndeſſen ſind die itzt bedeutete die rechte eigentliche mittel nicht,<lb/> ſondern faſt allein wegraumungen einiger hindernuͤſſen; das rechte mittel<lb/> aber iſt das <hi rendition="#fr">gebet,</hi> und <hi rendition="#fr">goͤttliches wort.</hi> Wie nun ein jeglicher chriſt<lb/> rechtswegen vor ſich ſelbs auch um der Juden bekehrung zu beten hat, ſo viel<lb/> mehr, weil wir wiſſen, darinn nach GOttes willen zu beten, in dem der HErr<lb/> nicht nur insgemein bezeuget, daß er aller menſchen heil hertzlich wolle, ſon-<lb/> dern auch ſo herrliche verheiſſungen von der noch kuͤnfftigen herrlichen bekeh-<lb/> rung des volcks gegeben hat, die wir mit zum grunde des gebets mit recht le-<lb/> gen koͤnnen; alſo ſolte die Obrigkeit, welche die obſicht auf das euſſerli-<lb/> che in der kirchen hat, billich verordnung thun, daß der <hi rendition="#g">HERR</hi> auch of-<lb/> fentlich in der gantzen gemeinde um ſeine gnade und die erleuchtung ſeines<lb/> bisher ſo verſtockt-gebliebenen volcks, oder doch bereits itzo vieler unter den-<lb/> ſelben, alſo auch um ſegnung der andern mittel, dadurch man jener heil ſu-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">m 2</fw><fw place="bottom" type="catch">chet,</fw><lb/></item> </list> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0103]
ARTIC. I. SECTIO XVIII.
ziemlichen fleiß anwenden, ihr geſetz, wie ſie es verſtehen, zu halten, wo ſie
dann der chriſten aͤrgerliches leben anſehen, muͤſſen ſie in die gedancken kom-
men, entweder daß unſer Heyland ein ſo heiliger lehrer nicht geweſen, und
daß ſeine lehꝛe ſelbs an unſrem boͤſen leben ſchuld ſeye, oder daß wir deſſelben
wenig achten, wenn wir ſo ungeſcheuet ſeinen geboten entgegen leben. Sol-
ches ſtehet ihnen ſo ſehr in dem wege, als einiges anders thun koͤnte, und wol-
len ſie hingegen aus ihrer ſorgfaͤltigern bewahrung ihres geſetzes auch ſchlieſ-
ſen, daß ſie auf beſſerm weg als wir ſeyn. Dahero nicht nur allein von
predigern mit fleißiger remonſtration, daß dergleichen leben unſerer lehre
nicht gemaͤß oder dieſe ſchuld daran ſeye, auch daß wir ſolche aͤrgerliche leute
nicht vor wahre chriſten achteten, ſondern auch von Regenten mit ernſtli-
cher ſteurung der laſter dieſem aͤrgernuͤß gewehret werden ſolle. Wozu
ich auch mit recht dieſes zuſetze, daß man ob wol ſie zu nichts wider ihre,
ob ſchon falſche religion zu thun, noͤthigen ſolle, dannoch auch zu deroſelben
uͤbung ſelbs von unſerer ſeiten nicht mit zu wircken oder daß ſie die unſrige
verleiten, und unſrer religion zuwider handlen, zu geſtatten hat. Dahero
ich nicht ſehe, wie mans verantworten koͤnne, wo man den Juden, da ſie ih-
ren ſabbath fleißig gehalten, und ſich der handlung enthalten haben, geſtat-
tet, daß ſie den ſonntag mit chriſten handthieren, und dieſen zu der entheili-
gung ihres heiligen tages anlaß geben. Ebenfalls hat eine chriſtliche evan-
geliſche Obrigkeit nicht zu zugeben, daß auf ihre ſabbather ſich ihrer wahren
religion zugethane leute zu deroſelben dienſten und vor Schabbas Gojim,
wie ſie ſie nennen, brauchen laſſen, welches wir vor ſuͤnde dieſen leuten ach-
ten, und alſo billich wehren ſollen: wollen ſie aber ſolche bediente haben,
moͤchten ſie dieſelbe unter den Paͤbſtiſchen ſuchen, welche ſolche dienſte nicht
unrecht zu ſeyn glauben.
4. Jndeſſen ſind die itzt bedeutete die rechte eigentliche mittel nicht,
ſondern faſt allein wegraumungen einiger hindernuͤſſen; das rechte mittel
aber iſt das gebet, und goͤttliches wort. Wie nun ein jeglicher chriſt
rechtswegen vor ſich ſelbs auch um der Juden bekehrung zu beten hat, ſo viel
mehr, weil wir wiſſen, darinn nach GOttes willen zu beten, in dem der HErr
nicht nur insgemein bezeuget, daß er aller menſchen heil hertzlich wolle, ſon-
dern auch ſo herrliche verheiſſungen von der noch kuͤnfftigen herrlichen bekeh-
rung des volcks gegeben hat, die wir mit zum grunde des gebets mit recht le-
gen koͤnnen; alſo ſolte die Obrigkeit, welche die obſicht auf das euſſerli-
che in der kirchen hat, billich verordnung thun, daß der HERR auch of-
fentlich in der gantzen gemeinde um ſeine gnade und die erleuchtung ſeines
bisher ſo verſtockt-gebliebenen volcks, oder doch bereits itzo vieler unter den-
ſelben, alſo auch um ſegnung der andern mittel, dadurch man jener heil ſu-
chet,
m 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |