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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. III. SECTIO XV.
Dann 1. uns ligt allen ob/ wo wir eine gelegenheit sehen/ und das vermögen
darzu haben/ gutes zu thun/ Göttliche ehr und anderer heil zu befördern/ daß wir
darzu willig seyen/ und solches nicht gern versäumen: so gar daß das unterlassen
sündlich werden kan. Jac. 4/ 17. Dieses ist die allgemeine pflicht der liebe GOttes
und des nechsten.
2. Die sache ist an sich gut und löblich/ dem publico und ihrer vielen nützlich/
hingegen niemand an sich selbs schädlich. Was aber dinge sind von solcher bewand-
nüß/ da sind alle/ die es thun können/ darzu befugt.
3. GOTT hat die erziehung der jugend keinem absonderlichen stand anver-
trauet/ wie zum exempel die geistliche regierung und versorgung der gemeinde dem
predigamt/ die regierung in dem weltlichen und administration der gerechtigkeit
der Obrigkeit/ darzu also ein sonderbarer beruff nöthig ist. Was aber den be-
ruff zur jugend anlangt/ sihe bey keinem einen solchen aus unmittelbarer verord-
nung GOttes/ als was die eltern betrifft/ die sich dessen nicht entschütten können.
Weil aber die singuli unter den eltern jeglicher vor sich meistens nicht gnug sind/
alles das/ was zu der kinder erziehung/ wie es dero und des publici bestes erfor-
dert/ gehörig ist/ an ihnen auszurichten/ sonderlich zu den studiis die darzu tüch-
tige anzuführen/ so übertragen sie einen theil ihres beruffs an den kindern nach ih-
rem befinden anderen/ die sie darzu tüchtig erkennen. Zwar fordert ihr beruff und
forge vor das allgemeine beste der anvertraueten in dem geistlichen und weltlichen
von predigamt und Oberkeiten/ daß diese nicht allein auf dasjenige acht geben/
wie jede eltern ihre kinder auferziehen (darzu auch bey dem predigamt kommt/ weil
die lämmer so wol als schafe zu ihrer heerde gehören/ daß sie die jugend so wol in
predigten als catechisationen selbs unterweisen) sondern auch sorge tragen/ daß
ihres orts dergleichen leute und schulmeister vorhanden seyen/ denen die eltern ihre
kinder anvertrauen dörffen. Darbey auch nicht in abrede bin/ daß die Obrigkeit eini-
ger ort/ sonderlich wo niemand billigen mangel an den schulen findet/ fug haben
mag/ zu verbieten/ daß keine andere dergleichen anstalten gemacht werden/ dar-
mit die eltern sich benöthigt finden/ die ihrigen solcher ordnung zu untergeben/ und
also durch ihren beytrag dieselbe helffen zu unterhalten/ da sie sonsten nicht erhalten
werden könten. Jn welchem fall ich gestehe/ daß ein dergleichen verbot alsdann
das jenige unrecht machen würde/ das sonsten an sich selbs erlaubt gewesen/ ja auch
löblich hätte seyn können. Aber wie ich einer seit darvor halte/ daß eine hohe O-
brigkeit sich wohl zu bedencken habe/ ehe sie zu dergleichen verbot schreitet/ und oh-
ne die wichtigste ursach darzu sich nicht entschliessen/ sondern lieber auf andere
weise den incommodis, darzu sie sich zum verbot möchten bereden lassen/ zu begeg-
nen trachten solle: also ander seit sihe ich ohne dergleichen besonders verbot keine
verbindung der eltern/ an sothane offentliche schulen: deren hauptabsicht ist/ den-
jenigen welche derselben hülffe bey den ihrigen sich nöthig glauben/ darmit an hand
zu
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ARTIC. III. SECTIO XV.
Dann 1. uns ligt allen ob/ wo wir eine gelegenheit ſehen/ und das vermoͤgen
darzu haben/ gutes zu thun/ Goͤttliche ehr und anderer heil zu befoͤrdern/ daß wir
darzu willig ſeyen/ und ſolches nicht gern verſaͤumen: ſo gar daß das unterlaſſen
ſuͤndlich werden kan. Jac. 4/ 17. Dieſes iſt die allgemeine pflicht der liebe GOttes
und des nechſten.
2. Die ſache iſt an ſich gut und loͤblich/ dem publico und ihrer vielen nuͤtzlich/
hingegen niemand an ſich ſelbs ſchaͤdlich. Was aber dinge ſind von ſolcher bewand-
nuͤß/ da ſind alle/ die es thun koͤnnen/ darzu befugt.
3. GOTT hat die erziehung der jugend keinem abſonderlichen ſtand anver-
trauet/ wie zum exempel die geiſtliche regierung und verſorgung der gemeinde dem
predigamt/ die regierung in dem weltlichen und adminiſtration der gerechtigkeit
der Obrigkeit/ darzu alſo ein ſonderbarer beruff noͤthig iſt. Was aber den be-
ruff zur jugend anlangt/ ſihe bey keinem einen ſolchen aus unmittelbarer verord-
nung GOttes/ als was die eltern betrifft/ die ſich deſſen nicht entſchuͤtten koͤnnen.
Weil aber die ſinguli unter den eltern jeglicher vor ſich meiſtens nicht gnug ſind/
alles das/ was zu der kinder erziehung/ wie es dero und des publici beſtes erfor-
dert/ gehoͤrig iſt/ an ihnen auszurichten/ ſonderlich zu den ſtudiis die darzu tuͤch-
tige anzufuͤhren/ ſo uͤbertragen ſie einen theil ihres beruffs an den kindern nach ih-
rem befinden anderen/ die ſie darzu tuͤchtig erkennen. Zwar fordert ihr beruff und
forge vor das allgemeine beſte der anvertraueten in dem geiſtlichen und weltlichen
von predigamt und Oberkeiten/ daß dieſe nicht allein auf dasjenige acht geben/
wie jede eltern ihre kinder auferziehen (darzu auch bey dem predigamt kommt/ weil
die laͤmmer ſo wol als ſchafe zu ihrer heerde gehoͤren/ daß ſie die jugend ſo wol in
predigten als catechiſationen ſelbs unterweiſen) ſondern auch ſorge tragen/ daß
ihres orts dergleichen leute und ſchulmeiſter vorhanden ſeyen/ denen die eltern ihre
kinder anvertrauen doͤrffen. Darbey auch nicht in abrede bin/ daß die Obrigkeit eini-
ger ort/ ſonderlich wo niemand billigen mangel an den ſchulen findet/ fug haben
mag/ zu verbieten/ daß keine andere dergleichen anſtalten gemacht werden/ dar-
mit die eltern ſich benoͤthigt finden/ die ihrigen ſolcher ordnung zu untergeben/ und
alſo durch ihren beytrag dieſelbe helffen zu unterhalten/ da ſie ſonſten nicht erhalten
werden koͤnten. Jn welchem fall ich geſtehe/ daß ein dergleichen verbot alsdann
das jenige unrecht machen wuͤrde/ das ſonſten an ſich ſelbs erlaubt geweſen/ ja auch
loͤblich haͤtte ſeyn koͤnnen. Aber wie ich einer ſeit darvor halte/ daß eine hohe O-
brigkeit ſich wohl zu bedencken habe/ ehe ſie zu dergleichen verbot ſchreitet/ und oh-
ne die wichtigſte urſach darzu ſich nicht entſchlieſſen/ ſondern lieber auf andere
weiſe den incommodis, darzu ſie ſich zum verbot moͤchten bereden laſſen/ zu begeg-
nen trachten ſolle: alſo ander ſeit ſihe ich ohne dergleichen beſonders verbot keine
verbindung der eltern/ an ſothane offentliche ſchulen: deren hauptabſicht iſt/ den-
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[389/0401] ARTIC. III. SECTIO XV. Dann 1. uns ligt allen ob/ wo wir eine gelegenheit ſehen/ und das vermoͤgen darzu haben/ gutes zu thun/ Goͤttliche ehr und anderer heil zu befoͤrdern/ daß wir darzu willig ſeyen/ und ſolches nicht gern verſaͤumen: ſo gar daß das unterlaſſen ſuͤndlich werden kan. Jac. 4/ 17. Dieſes iſt die allgemeine pflicht der liebe GOttes und des nechſten. 2. Die ſache iſt an ſich gut und loͤblich/ dem publico und ihrer vielen nuͤtzlich/ hingegen niemand an ſich ſelbs ſchaͤdlich. Was aber dinge ſind von ſolcher bewand- nuͤß/ da ſind alle/ die es thun koͤnnen/ darzu befugt. 3. GOTT hat die erziehung der jugend keinem abſonderlichen ſtand anver- trauet/ wie zum exempel die geiſtliche regierung und verſorgung der gemeinde dem predigamt/ die regierung in dem weltlichen und adminiſtration der gerechtigkeit der Obrigkeit/ darzu alſo ein ſonderbarer beruff noͤthig iſt. Was aber den be- ruff zur jugend anlangt/ ſihe bey keinem einen ſolchen aus unmittelbarer verord- nung GOttes/ als was die eltern betrifft/ die ſich deſſen nicht entſchuͤtten koͤnnen. Weil aber die ſinguli unter den eltern jeglicher vor ſich meiſtens nicht gnug ſind/ alles das/ was zu der kinder erziehung/ wie es dero und des publici beſtes erfor- dert/ gehoͤrig iſt/ an ihnen auszurichten/ ſonderlich zu den ſtudiis die darzu tuͤch- tige anzufuͤhren/ ſo uͤbertragen ſie einen theil ihres beruffs an den kindern nach ih- rem befinden anderen/ die ſie darzu tuͤchtig erkennen. Zwar fordert ihr beruff und forge vor das allgemeine beſte der anvertraueten in dem geiſtlichen und weltlichen von predigamt und Oberkeiten/ daß dieſe nicht allein auf dasjenige acht geben/ wie jede eltern ihre kinder auferziehen (darzu auch bey dem predigamt kommt/ weil die laͤmmer ſo wol als ſchafe zu ihrer heerde gehoͤren/ daß ſie die jugend ſo wol in predigten als catechiſationen ſelbs unterweiſen) ſondern auch ſorge tragen/ daß ihres orts dergleichen leute und ſchulmeiſter vorhanden ſeyen/ denen die eltern ihre kinder anvertrauen doͤrffen. Darbey auch nicht in abrede bin/ daß die Obrigkeit eini- ger ort/ ſonderlich wo niemand billigen mangel an den ſchulen findet/ fug haben mag/ zu verbieten/ daß keine andere dergleichen anſtalten gemacht werden/ dar- mit die eltern ſich benoͤthigt finden/ die ihrigen ſolcher ordnung zu untergeben/ und alſo durch ihren beytrag dieſelbe helffen zu unterhalten/ da ſie ſonſten nicht erhalten werden koͤnten. Jn welchem fall ich geſtehe/ daß ein dergleichen verbot alsdann das jenige unrecht machen wuͤrde/ das ſonſten an ſich ſelbs erlaubt geweſen/ ja auch loͤblich haͤtte ſeyn koͤnnen. Aber wie ich einer ſeit darvor halte/ daß eine hohe O- brigkeit ſich wohl zu bedencken habe/ ehe ſie zu dergleichen verbot ſchreitet/ und oh- ne die wichtigſte urſach darzu ſich nicht entſchlieſſen/ ſondern lieber auf andere weiſe den incommodis, darzu ſie ſich zum verbot moͤchten bereden laſſen/ zu begeg- nen trachten ſolle: alſo ander ſeit ſihe ich ohne dergleichen beſonders verbot keine verbindung der eltern/ an ſothane offentliche ſchulen: deren hauptabſicht iſt/ den- jenigen welche deꝛſelben huͤlffe bey den ihrigen ſich noͤthig glauben/ darmit an hand zu c c c 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/401>, abgerufen am 22.11.2024.