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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
anzusehen habe/ und worinnen unser wahres gut bestehe. Weswegen ich keine
fruchtbarere übung zu rathen weiß/ als eben diese/ darum wir so wol ernstlich
zu be[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]en/ als deroselben uns zu befleißigen haben. Jn solcher übung werden wir
finden/ was das christenthum vor einen vorzug für allen andern in der gantzen
welt habe/ welches uns in demjenigen trost und freude zeigt/ was sonsten der na-
tur selbst zuwider ist/ gleichsam den zucker und artzeney in dem gifft und doch
wider dieselbe. Ja weil wir sehen/ daß unser Heyland uns nicht nur beruffen
habe zu den ewigen himmlischen gütern nach diesem leben/ sondern daß es seine
christen schon hier in dieser welt gut haben/ nachdem sie recht haben erkennen ler-
nen/ was ihnen gut seye. Daher ich auch weder ihm noch einigen andern guten
freunden/ sonderlich in gegenwärtiger leidens-voller zeit/ vieles bessers zu wün-
schen weiß/ als eben den wachsthum in solcher erkäntnüß/ und also den heiligen
Geist/ mit dessen augen wir gleichsam darinnen sehen müssen. Und dieses ists
auch/ damit sie ihre gegenwärtige/ noch mehr aber in sorglicher furcht obschweben-
de/ trangsalen in den geistlichen und leiblichen zu ertragen und zu überwinden
vermögen/ so ausser dem nicht müglich seyn würde. Und also wird dasjenige/
was dem eusserlichen gottesdienst in seiner freyheit und bequemlichkeit entgangen
ist/ in der reinigkeit und inbrünstigkeit des innern ersetzet werden. Zwar thut es
wehe/ das trotzen der widerwärtigen/ das pochen der feinde des HErrn/ die greuel
der abgötterey/ vor augen sehen/ und dazu schweigen müssen: aber diese erstlich
nur abgewägte gedult wird durch GOttes gnade die gemüther in eine wahre in-
nigliche gedult und sanfftmuth bringen/ und sie also lernen die h. verhängnüß
GOttes auch in solchem dem ansehen nach selbst wider dessen ehre streitenden
dingen mit kindlichen und willigem gehorsam annehmen und verehren/ so dann
der widrigen trotz/ boßheit oder unwissenheit mit einem hertzlichen erbarmen und
ohne widrigkeit ertragen. Jch weiß/ es ist dieses eine lection nicht von einem
tag sondern von einer ziemlichen übung/ daher sie schwer eingehet/ aber deswe-
gen sind die mittel/ sie uns in das hertz zu bringen auch so scharff/ damit sie
kräfftig gnug seyn mögen/ ihren zweck bey uns zu erreichen. Nun der HERR
lehre uns alle insgesamt so viel als wir hiervon bedürfftig sind/ und bereite auch
damit unsere seelen so vielmehr zu einer aufrichtigen gleichförmigkeit seines allein
guten willens.

SECTIO

Das ſiebende Capitel.
anzuſehen habe/ und worinnen unſer wahres gut beſtehe. Weswegen ich keine
fruchtbarere uͤbung zu rathen weiß/ als eben dieſe/ darum wir ſo wol ernſtlich
zu be[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]en/ als deroſelben uns zu befleißigen haben. Jn ſolcher uͤbung werden wir
finden/ was das chriſtenthum vor einen vorzug fuͤr allen andern in der gantzen
welt habe/ welches uns in demjenigen troſt und freude zeigt/ was ſonſten deꝛ na-
tur ſelbſt zuwider iſt/ gleichſam den zucker und artzeney in dem gifft und doch
wider dieſelbe. Ja weil wir ſehen/ daß unſer Heyland uns nicht nur beruffen
habe zu den ewigen himmliſchen guͤtern nach dieſem leben/ ſondern daß es ſeine
chriſten ſchon hier in dieſeꝛ welt gut haben/ nachdem ſie recht haben erkennen ler-
nen/ was ihnen gut ſeye. Daher ich auch weder ihm noch einigen andern guten
freunden/ ſonderlich in gegenwaͤrtigeꝛ leidens-voller zeit/ vieles beſſers zu wuͤn-
ſchen weiß/ als eben den wachsthum in ſolcher erkaͤntnuͤß/ und alſo den heiligen
Geiſt/ mit deſſen augen wir gleichſam darinnen ſehen muͤſſen. Und dieſes iſts
auch/ damit ſie ihre gegenwaͤrtige/ noch mehr aber in ſorglicher furcht obſchweben-
de/ trangſalen in den geiſtlichen und leiblichen zu ertragen und zu uͤberwinden
vermoͤgen/ ſo auſſer dem nicht muͤglich ſeyn wuͤrde. Und alſo wird dasjenige/
was dem euſſerlichen gottesdienſt in ſeiner freyheit und bequemlichkeit entgangen
iſt/ in der reinigkeit und inbruͤnſtigkeit des innern erſetzet werden. Zwar thut es
wehe/ das trotzen der widerwaͤrtigen/ das pochen der feinde des HErrn/ die greuel
der abgoͤtterey/ vor augen ſehen/ und dazu ſchweigen muͤſſen: aber dieſe erſtlich
nur abgewaͤgte gedult wird durch GOttes gnade die gemuͤther in eine wahre in-
nigliche gedult und ſanfftmuth bringen/ und ſie alſo lernen die h. verhaͤngnuͤß
GOttes auch in ſolchem dem anſehen nach ſelbſt wider deſſen ehre ſtreitenden
dingen mit kindlichen und willigem gehorſam annehmen und verehren/ ſo dann
der widrigen trotz/ boßheit oder unwiſſenheit mit einem hertzlichen erbarmen und
ohne widrigkeit ertragen. Jch weiß/ es iſt dieſes eine lection nicht von einem
tag ſondern von einer ziemlichen uͤbung/ daher ſie ſchwer eingehet/ aber deswe-
gen ſind die mittel/ ſie uns in das hertz zu bringen auch ſo ſcharff/ damit ſie
kraͤfftig gnug ſeyn moͤgen/ ihren zweck bey uns zu erreichen. Nun der HERR
lehre uns alle insgeſamt ſo viel als wir hiervon beduͤrfftig ſind/ und bereite auch
damit unſere ſeelen ſo vielmehr zu einer aufrichtigen gleichfoͤrmigkeit ſeines allein
guten willens.

SECTIO
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[460/0472] Das ſiebende Capitel. anzuſehen habe/ und worinnen unſer wahres gut beſtehe. Weswegen ich keine fruchtbarere uͤbung zu rathen weiß/ als eben dieſe/ darum wir ſo wol ernſtlich zu be_en/ als deroſelben uns zu befleißigen haben. Jn ſolcher uͤbung werden wir finden/ was das chriſtenthum vor einen vorzug fuͤr allen andern in der gantzen welt habe/ welches uns in demjenigen troſt und freude zeigt/ was ſonſten deꝛ na- tur ſelbſt zuwider iſt/ gleichſam den zucker und artzeney in dem gifft und doch wider dieſelbe. Ja weil wir ſehen/ daß unſer Heyland uns nicht nur beruffen habe zu den ewigen himmliſchen guͤtern nach dieſem leben/ ſondern daß es ſeine chriſten ſchon hier in dieſeꝛ welt gut haben/ nachdem ſie recht haben erkennen ler- nen/ was ihnen gut ſeye. Daher ich auch weder ihm noch einigen andern guten freunden/ ſonderlich in gegenwaͤrtigeꝛ leidens-voller zeit/ vieles beſſers zu wuͤn- ſchen weiß/ als eben den wachsthum in ſolcher erkaͤntnuͤß/ und alſo den heiligen Geiſt/ mit deſſen augen wir gleichſam darinnen ſehen muͤſſen. Und dieſes iſts auch/ damit ſie ihre gegenwaͤrtige/ noch mehr aber in ſorglicher furcht obſchweben- de/ trangſalen in den geiſtlichen und leiblichen zu ertragen und zu uͤberwinden vermoͤgen/ ſo auſſer dem nicht muͤglich ſeyn wuͤrde. Und alſo wird dasjenige/ was dem euſſerlichen gottesdienſt in ſeiner freyheit und bequemlichkeit entgangen iſt/ in der reinigkeit und inbruͤnſtigkeit des innern erſetzet werden. Zwar thut es wehe/ das trotzen der widerwaͤrtigen/ das pochen der feinde des HErrn/ die greuel der abgoͤtterey/ vor augen ſehen/ und dazu ſchweigen muͤſſen: aber dieſe erſtlich nur abgewaͤgte gedult wird durch GOttes gnade die gemuͤther in eine wahre in- nigliche gedult und ſanfftmuth bringen/ und ſie alſo lernen die h. verhaͤngnuͤß GOttes auch in ſolchem dem anſehen nach ſelbſt wider deſſen ehre ſtreitenden dingen mit kindlichen und willigem gehorſam annehmen und verehren/ ſo dann der widrigen trotz/ boßheit oder unwiſſenheit mit einem hertzlichen erbarmen und ohne widrigkeit ertragen. Jch weiß/ es iſt dieſes eine lection nicht von einem tag ſondern von einer ziemlichen uͤbung/ daher ſie ſchwer eingehet/ aber deswe- gen ſind die mittel/ ſie uns in das hertz zu bringen auch ſo ſcharff/ damit ſie kraͤfftig gnug ſeyn moͤgen/ ihren zweck bey uns zu erreichen. Nun der HERR lehre uns alle insgeſamt ſo viel als wir hiervon beduͤrfftig ſind/ und bereite auch damit unſere ſeelen ſo vielmehr zu einer aufrichtigen gleichfoͤrmigkeit ſeines allein guten willens. 2. Jun. 1682. SECTIO

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/472>, abgerufen am 22.11.2024.