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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
mir in meiner schwachheit möglich ist, ihnen gerne auf dem wege, dahin ich sie weise,
vorzugehen. Was die einsicht in die göttliche offenbarung von den künftigen zei-
ten betrifft, ist solche noch schwach und gering, und gehet mir damit, wie mit dem leib-
lichen gesicht, da ich, was ein wenig entfernet, etlicher massen sehe, nichts aber unter-
scheiden kan. Also sehe ich aus GOttes wort die dinge, die uns vorstehen, mit göttli-
cher gewißheit, daß sie uns vorstehen, aber mit wenigem unterscheid. Wo ich alles
zusammen fassen solle, siehe ich Babel vollends den höchsten gipffel seiner macht be-
steigen, und von dem blut der zeugen GOttes truncken werden, dessen folgenden
schröcklichen fall, die wiederbringung des lang verstossenen Jsraels, und einige zeit
einer seligen erquickung der vorhin bedrangten kirchen. Wie es aber mit allen solchen
stücken hergehen werde, was umstände, zeit, ort, personen, und dergleichen anlangt,
verstehe ich wenig, und bleiben mir die propheten noch zimlich zugeschlossen; daher
mich über meine gabe nichts unterfangen darff, sondern allein trachten solle, in dem-
jenigen treu erfunden zu werden, was mir mein himmlischer Vater anvertrauet hat,
mit gedultiger zufriedenheit, ob er mich eines mehrern würdigen wolle oder nicht. Je-
doch freue mich, wo bey andern mehrer licht sehe, und dancke ihm davor: so vielmehr
wo ich selbs dadurch in der erkäntnüß zu wachsen gelegenheit bekomme. Daher wo
mir, was meines werthen Herrn beywohnende erkäntnüß über jetzige und folgende
zeiten ist, in etwas mitzutheilen belieben solte, versichere, daß es mit christlichem
danck aufnehmen werde. Bin dabey nicht in abrede, daß etwas von dessen hand in
N. Stammbuch gezeichnetes gelesen, aber mich mehr darüber verwundern müssen,
als es verstehen oder zusammen fassen können. Solte ich aber etwas deutlichers zu
sehen gewürdiget werden, würde mirs eine freude erwecken. Womit gleichwol wider
eigne gelegenheit nichts zuzumuthen mich unterstehe: Jn allem aber billig, so viel an
mir ist, mich vorsehen muß, daß niemand mehr von mir halte, als in mir ist: so mir
zwar von guthertzigen leuten zum öftern begegnet, und dieses fast mein gewöhuliches
fatum ist, daß einige zwar mir auch unverschuldet mehr böses, davor mich GOtt be-
wahret hat, zuschreiben; andre aber das wenige gute, so die gnade GOttes mir mit-
getheilet hat, über die wahrhafftige maaß erheben.

SECTIO XXXV.
Ob man aus noth oder andern wichtigen ursachen
einen canonicatum zuwegen bringen möge/ und wie
man sich alsdenn zu verhalten.

WAs die canonicatus anlangt, ists eine zweifelhafte sache, und solten dieselbe
billig gar anders als gemeiniglich geschiehet, angewandt werden, jedoch
was amts-personen anlangt, die es nicht aus faulheit oder guter tage we-
gen thun, sondern in gewisser maaß miserabiles und sich zu sustentiren unvermö-

gend

Das ſiebende Capitel.
mir in meiner ſchwachheit moͤglich iſt, ihnen gerne auf dem wege, dahin ich ſie weiſe,
vorzugehen. Was die einſicht in die goͤttliche offenbarung von den kuͤnftigen zei-
ten betrifft, iſt ſolche noch ſchwach und gering, und gehet mir damit, wie mit dem leib-
lichen geſicht, da ich, was ein wenig entfernet, etlicher maſſen ſehe, nichts aber unter-
ſcheiden kan. Alſo ſehe ich aus GOttes wort die dinge, die uns vorſtehen, mit goͤttli-
cher gewißheit, daß ſie uns vorſtehen, aber mit wenigem unterſcheid. Wo ich alles
zuſammen faſſen ſolle, ſiehe ich Babel vollends den hoͤchſten gipffel ſeiner macht be-
ſteigen, und von dem blut der zeugen GOttes truncken werden, deſſen folgenden
ſchroͤcklichen fall, die wiederbringung des lang verſtoſſenen Jſraels, und einige zeit
einer ſeligen erquickung der vorhin bedꝛangten kirchen. Wie es aber mit allen ſolchen
ſtuͤcken hergehen werde, was umſtaͤnde, zeit, ort, perſonen, und dergleichen anlangt,
verſtehe ich wenig, und bleiben mir die propheten noch zimlich zugeſchloſſen; daher
mich uͤber meine gabe nichts unterfangen darff, ſondern allein trachten ſolle, in dem-
jenigen treu erfunden zu werden, was mir mein himmliſcher Vater anvertrauet hat,
mit gedultiger zufriedenheit, ob er mich eines mehrern wuͤrdigen wolle oder nicht. Je-
doch freue mich, wo bey andern mehrer licht ſehe, und dancke ihm davor: ſo vielmehr
wo ich ſelbs dadurch in der erkaͤntnuͤß zu wachſen gelegenheit bekomme. Daher wo
mir, was meines werthen Herrn beywohnende erkaͤntnuͤß uͤber jetzige und folgende
zeiten iſt, in etwas mitzutheilen belieben ſolte, verſichere, daß es mit chriſtlichem
danck aufnehmen werde. Bin dabey nicht in abrede, daß etwas von deſſen hand in
N. Stammbuch gezeichnetes geleſen, aber mich mehr daruͤber verwundern muͤſſen,
als es verſtehen oder zuſammen faſſen koͤnnen. Solte ich aber etwas deutlichers zu
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eigne gelegenheit nichts zuzumuthen mich unterſtehe: Jn allem aber billig, ſo viel an
mir iſt, mich vorſehen muß, daß niemand mehr von mir halte, als in mir iſt: ſo mir
zwar von guthertzigen leuten zum oͤftern begegnet, und dieſes faſt mein gewoͤhuliches
fatum iſt, daß einige zwar mir auch unverſchuldet mehr boͤſes, davor mich GOtt be-
wahret hat, zuſchreiben; andre aber das wenige gute, ſo die gnade GOttes mir mit-
getheilet hat, uͤber die wahrhafftige maaß erheben.

SECTIO XXXV.
Ob man aus noth oder andern wichtigen urſachen
einen canonicatum zuwegen bringen moͤge/ und wie
man ſich alsdenn zu verhalten.

WAs die canonicatus anlangt, iſts eine zweifelhafte ſache, und ſolten dieſelbe
billig gar anders als gemeiniglich geſchiehet, angewandt werden, jedoch
was amts-perſonen anlangt, die es nicht aus faulheit oder guter tage we-
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[622/0634] Das ſiebende Capitel. mir in meiner ſchwachheit moͤglich iſt, ihnen gerne auf dem wege, dahin ich ſie weiſe, vorzugehen. Was die einſicht in die goͤttliche offenbarung von den kuͤnftigen zei- ten betrifft, iſt ſolche noch ſchwach und gering, und gehet mir damit, wie mit dem leib- lichen geſicht, da ich, was ein wenig entfernet, etlicher maſſen ſehe, nichts aber unter- ſcheiden kan. Alſo ſehe ich aus GOttes wort die dinge, die uns vorſtehen, mit goͤttli- cher gewißheit, daß ſie uns vorſtehen, aber mit wenigem unterſcheid. Wo ich alles zuſammen faſſen ſolle, ſiehe ich Babel vollends den hoͤchſten gipffel ſeiner macht be- ſteigen, und von dem blut der zeugen GOttes truncken werden, deſſen folgenden ſchroͤcklichen fall, die wiederbringung des lang verſtoſſenen Jſraels, und einige zeit einer ſeligen erquickung der vorhin bedꝛangten kirchen. Wie es aber mit allen ſolchen ſtuͤcken hergehen werde, was umſtaͤnde, zeit, ort, perſonen, und dergleichen anlangt, verſtehe ich wenig, und bleiben mir die propheten noch zimlich zugeſchloſſen; daher mich uͤber meine gabe nichts unterfangen darff, ſondern allein trachten ſolle, in dem- jenigen treu erfunden zu werden, was mir mein himmliſcher Vater anvertrauet hat, mit gedultiger zufriedenheit, ob er mich eines mehrern wuͤrdigen wolle oder nicht. Je- doch freue mich, wo bey andern mehrer licht ſehe, und dancke ihm davor: ſo vielmehr wo ich ſelbs dadurch in der erkaͤntnuͤß zu wachſen gelegenheit bekomme. Daher wo mir, was meines werthen Herrn beywohnende erkaͤntnuͤß uͤber jetzige und folgende zeiten iſt, in etwas mitzutheilen belieben ſolte, verſichere, daß es mit chriſtlichem danck aufnehmen werde. Bin dabey nicht in abrede, daß etwas von deſſen hand in N. Stammbuch gezeichnetes geleſen, aber mich mehr daruͤber verwundern muͤſſen, als es verſtehen oder zuſammen faſſen koͤnnen. Solte ich aber etwas deutlichers zu ſehen gewuͤrdiget werden, wuͤrde mirs eine freude erwecken. Womit gleichwol wider eigne gelegenheit nichts zuzumuthen mich unterſtehe: Jn allem aber billig, ſo viel an mir iſt, mich vorſehen muß, daß niemand mehr von mir halte, als in mir iſt: ſo mir zwar von guthertzigen leuten zum oͤftern begegnet, und dieſes faſt mein gewoͤhuliches fatum iſt, daß einige zwar mir auch unverſchuldet mehr boͤſes, davor mich GOtt be- wahret hat, zuſchreiben; andre aber das wenige gute, ſo die gnade GOttes mir mit- getheilet hat, uͤber die wahrhafftige maaß erheben. 23. Maji. 1989. SECTIO XXXV. Ob man aus noth oder andern wichtigen urſachen einen canonicatum zuwegen bringen moͤge/ und wie man ſich alsdenn zu verhalten. WAs die canonicatus anlangt, iſts eine zweifelhafte ſache, und ſolten dieſelbe billig gar anders als gemeiniglich geſchiehet, angewandt werden, jedoch was amts-perſonen anlangt, die es nicht aus faulheit oder guter tage we- gen thun, ſondern in gewiſſer maaß miſerabiles und ſich zu ſuſtentiren unvermoͤ- gend

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/634>, abgerufen am 22.11.2024.