Mitte schoß ein hochstämmiger, breitästiger Tannen¬ baum wie eine Lanze machtvoll in vie Höhe. An dem Fuße des Baumes auf dem Teppich brauner Nadeln stand ein runder Gartentisch und ein paar Stühle. In einem der Stühle, umflossen von dem weichen, träumerischen Licht des Sommernachmittags, saß Me¬ litta, den Kopf in die eine Hand gestützt, während die andere mechanisch die treue Dogge streichelte, die sich dicht an die Herrin drängte. Sie trug ein weißes Kleid, das in anmuthigen Linien den schlanken Leib umfloß und Busen und Schultern nur zu verhüllen schien, um die schönen Formen desto reizender zu um¬ schreiben. Auf dem Tisch lagen Handschuh, ein breit¬ rändiger Strohhut und ein aufgeschlagenes Buch.
Sie saß so in sich versunken da, daß sie den leich¬ ten Schritt Oswalds nicht vernahm, bis er vor ihr stand. Da hob sie schnell den Kopf empor und unter¬ drückte nur mit Mühe einen Ruf freudigster Ueber¬ raschung, den Mann leibhaftig vor sich zu sehen, mit dem ihre Gedanken so eben beschäftigt gewesen waren. Für einen Augenblick stockte ihr das Blut im Herzen, und dann mit Macht hervorbrechend, übergoß es die bleichen Wangen mit hoher Purpurgluth.
"Sieh da!" sagte sie, sich rasch erhebend, und Os¬ wald die Hand entgegenstreckend.
Mitte ſchoß ein hochſtämmiger, breitäſtiger Tannen¬ baum wie eine Lanze machtvoll in vie Höhe. An dem Fuße des Baumes auf dem Teppich brauner Nadeln ſtand ein runder Gartentiſch und ein paar Stühle. In einem der Stühle, umfloſſen von dem weichen, träumeriſchen Licht des Sommernachmittags, ſaß Me¬ litta, den Kopf in die eine Hand geſtützt, während die andere mechaniſch die treue Dogge ſtreichelte, die ſich dicht an die Herrin drängte. Sie trug ein weißes Kleid, das in anmuthigen Linien den ſchlanken Leib umfloß und Buſen und Schultern nur zu verhüllen ſchien, um die ſchönen Formen deſto reizender zu um¬ ſchreiben. Auf dem Tiſch lagen Handſchuh, ein breit¬ rändiger Strohhut und ein aufgeſchlagenes Buch.
Sie ſaß ſo in ſich verſunken da, daß ſie den leich¬ ten Schritt Oswalds nicht vernahm, bis er vor ihr ſtand. Da hob ſie ſchnell den Kopf empor und unter¬ drückte nur mit Mühe einen Ruf freudigſter Ueber¬ raſchung, den Mann leibhaftig vor ſich zu ſehen, mit dem ihre Gedanken ſo eben beſchäftigt geweſen waren. Für einen Augenblick ſtockte ihr das Blut im Herzen, und dann mit Macht hervorbrechend, übergoß es die bleichen Wangen mit hoher Purpurgluth.
„Sieh da!“ ſagte ſie, ſich raſch erhebend, und Os¬ wald die Hand entgegenſtreckend.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0158"n="148"/>
Mitte ſchoß ein hochſtämmiger, breitäſtiger Tannen¬<lb/>
baum wie eine Lanze machtvoll in vie Höhe. An dem<lb/>
Fuße des Baumes auf dem Teppich brauner Nadeln<lb/>ſtand ein runder Gartentiſch und ein paar Stühle.<lb/>
In einem der Stühle, umfloſſen von dem weichen,<lb/>
träumeriſchen Licht des Sommernachmittags, ſaß Me¬<lb/>
litta, den Kopf in die eine Hand geſtützt, während die<lb/>
andere mechaniſch die treue Dogge ſtreichelte, die ſich<lb/>
dicht an die Herrin drängte. Sie trug ein weißes<lb/>
Kleid, das in anmuthigen Linien den ſchlanken Leib<lb/>
umfloß und Buſen und Schultern nur zu verhüllen<lb/>ſchien, um die ſchönen Formen deſto reizender zu um¬<lb/>ſchreiben. Auf dem Tiſch lagen Handſchuh, ein breit¬<lb/>
rändiger Strohhut und ein aufgeſchlagenes Buch.</p><lb/><p>Sie ſaß ſo in ſich verſunken da, daß ſie den leich¬<lb/>
ten Schritt Oswalds nicht vernahm, bis er vor ihr<lb/>ſtand. Da hob ſie ſchnell den Kopf empor und unter¬<lb/>
drückte nur mit Mühe einen Ruf freudigſter Ueber¬<lb/>
raſchung, den Mann leibhaftig vor ſich zu ſehen, mit<lb/>
dem ihre Gedanken ſo eben beſchäftigt geweſen waren.<lb/>
Für einen Augenblick ſtockte ihr das Blut im Herzen,<lb/>
und dann mit Macht hervorbrechend, übergoß es die<lb/>
bleichen Wangen mit hoher Purpurgluth.</p><lb/><p>„Sieh da!“ſagte ſie, ſich raſch erhebend, und Os¬<lb/>
wald die Hand entgegenſtreckend.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[148/0158]
Mitte ſchoß ein hochſtämmiger, breitäſtiger Tannen¬
baum wie eine Lanze machtvoll in vie Höhe. An dem
Fuße des Baumes auf dem Teppich brauner Nadeln
ſtand ein runder Gartentiſch und ein paar Stühle.
In einem der Stühle, umfloſſen von dem weichen,
träumeriſchen Licht des Sommernachmittags, ſaß Me¬
litta, den Kopf in die eine Hand geſtützt, während die
andere mechaniſch die treue Dogge ſtreichelte, die ſich
dicht an die Herrin drängte. Sie trug ein weißes
Kleid, das in anmuthigen Linien den ſchlanken Leib
umfloß und Buſen und Schultern nur zu verhüllen
ſchien, um die ſchönen Formen deſto reizender zu um¬
ſchreiben. Auf dem Tiſch lagen Handſchuh, ein breit¬
rändiger Strohhut und ein aufgeſchlagenes Buch.
Sie ſaß ſo in ſich verſunken da, daß ſie den leich¬
ten Schritt Oswalds nicht vernahm, bis er vor ihr
ſtand. Da hob ſie ſchnell den Kopf empor und unter¬
drückte nur mit Mühe einen Ruf freudigſter Ueber¬
raſchung, den Mann leibhaftig vor ſich zu ſehen, mit
dem ihre Gedanken ſo eben beſchäftigt geweſen waren.
Für einen Augenblick ſtockte ihr das Blut im Herzen,
und dann mit Macht hervorbrechend, übergoß es die
bleichen Wangen mit hoher Purpurgluth.
„Sieh da!“ ſagte ſie, ſich raſch erhebend, und Os¬
wald die Hand entgegenſtreckend.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/158>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.