Der Ton, in welchem sie diese beiden Worte sprach, war so eigenthümlich, so ganz ohne die gewöhnliche Süßigkeit ihrer Stimme, daß Oswald unwillkürlich zu ihr aufschaute. Er sah, daß ihre schönen Brauen wie im Schmerz zusammengezogen waren, und ihre Lippen zuckten. Er senkte sogleich seinen Blick und wollte das Blatt umschlagen. Melitta legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte leise:
"Wie finden Sie den Kopf?"
Ein Sturm brauste durch Oswald's Seele. Er hätte sich von dem Sessel zu Melitta's Füßen werfen und ausrufen mögen: ich liebe Dich ja, Melitta! Wie kannst Du mein Urtheil hören wollen über den Mann, den Du geliebt hast, vielleicht noch liebst. . . Aber er bezwang sich und sagte mit scheinbarer Ruhe:
"Es ist der Kopf eines Mannes, auf den mir Tasso's Worte zu passen scheinen:
Und haben alle Götter sich vereinigt, An seiner Wiege Gaben darzubringen, Die Grazien sind leider ausgeblieben --
Dieser Mann wird niemals glücklich sein, weil er nie¬ mals wird glücklich sein wollen."
"Und darum," sagte Melitta, "ist dieser Mann aus
„Das Blatt wird verloren gehen,“ ſagte Oswald.
„Mag es!“ antwortete Melitta.
Der Ton, in welchem ſie dieſe beiden Worte ſprach, war ſo eigenthümlich, ſo ganz ohne die gewöhnliche Süßigkeit ihrer Stimme, daß Oswald unwillkürlich zu ihr aufſchaute. Er ſah, daß ihre ſchönen Brauen wie im Schmerz zuſammengezogen waren, und ihre Lippen zuckten. Er ſenkte ſogleich ſeinen Blick und wollte das Blatt umſchlagen. Melitta legte ihre Hand auf ſeinen Arm und ſagte leiſe:
„Wie finden Sie den Kopf?“
Ein Sturm brauſte durch Oswald's Seele. Er hätte ſich von dem Seſſel zu Melitta's Füßen werfen und ausrufen mögen: ich liebe Dich ja, Melitta! Wie kannſt Du mein Urtheil hören wollen über den Mann, den Du geliebt haſt, vielleicht noch liebſt. . . Aber er bezwang ſich und ſagte mit ſcheinbarer Ruhe:
„Es iſt der Kopf eines Mannes, auf den mir Taſſo's Worte zu paſſen ſcheinen:
Und haben alle Götter ſich vereinigt, An ſeiner Wiege Gaben darzubringen, Die Grazien ſind leider ausgeblieben —
Dieſer Mann wird niemals glücklich ſein, weil er nie¬ mals wird glücklich ſein wollen.“
„Und darum,“ ſagte Melitta, „iſt dieſer Mann aus
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„Das Blatt wird verloren gehen,“ ſagte Oswald.
„Mag es!“ antwortete Melitta.
Der Ton, in welchem ſie dieſe beiden Worte ſprach,
war ſo eigenthümlich, ſo ganz ohne die gewöhnliche
Süßigkeit ihrer Stimme, daß Oswald unwillkürlich zu
ihr aufſchaute. Er ſah, daß ihre ſchönen Brauen wie
im Schmerz zuſammengezogen waren, und ihre Lippen
zuckten. Er ſenkte ſogleich ſeinen Blick und wollte das
Blatt umſchlagen. Melitta legte ihre Hand auf ſeinen
Arm und ſagte leiſe:
„Wie finden Sie den Kopf?“
Ein Sturm brauſte durch Oswald's Seele. Er
hätte ſich von dem Seſſel zu Melitta's Füßen werfen
und ausrufen mögen: ich liebe Dich ja, Melitta! Wie
kannſt Du mein Urtheil hören wollen über den Mann,
den Du geliebt haſt, vielleicht noch liebſt. . . Aber er
bezwang ſich und ſagte mit ſcheinbarer Ruhe:
„Es iſt der Kopf eines Mannes, auf den mir
Taſſo's Worte zu paſſen ſcheinen:
Und haben alle Götter ſich vereinigt,
An ſeiner Wiege Gaben darzubringen,
Die Grazien ſind leider ausgeblieben —
Dieſer Mann wird niemals glücklich ſein, weil er nie¬
mals wird glücklich ſein wollen.“
„Und darum,“ ſagte Melitta, „iſt dieſer Mann aus
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/186>, abgerufen am 17.06.2024.
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