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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

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meinem Leben losgelöst, wie dies Blatt aus dem Album.
Wenn man die Erinnerung tödten könnte, wie man ein
Blatt vernichten kann, so läge es nicht mehr hier. Da
das aber nicht geht, so mag es bleiben, wo es ist.
Weiter!"

Der Sturm in Oswald's Seele war vorüber¬
gebraust. Wie lindes Wehen des Frühlings überkam
ihn der Gedanke: Sie könnte und würde dir das nicht
sagen, wenn sie dich nicht ihres Vertrauens und ihrer
Freundschaft für würdig erachtete. Und ein Gefühl
unsäglichen Glücks durchbebte ihn bei diesem Gedanken.
Es war für ihn jener hochherrliche, feierliche Augen¬
blick, der einmal oder das anderemal jedem Menschen
in der Nacht seines Lebens strahlt -- jener Augenblick,
wo die Himmel sich uns aufthun, und die Engelschaaren
herniedersteigen, und Friede, Friede, Friede! in unser
gläubiges Herz singen.

In dieser seligen Stimmung durchmusterte er die
folgenden Blätter, die Melitta auf ihrer italienischen
Reise gezeichnet hatte: Landschaften mit heitern, klaren
Linien, Skizzen aus Städten: Paläste, Straßen, Ruinen,
zwischendurch ein keckes Lazaronigesicht oder ein träu¬
merisches Mädchenantlitz. Dann folgten Studien nach
der Antike, zum Theil sehr fleißige Studien, denn
Manches war wieder und wieder gezeichnet, bevor es

F. Spielhagen, Problematische Naturen I. 12

meinem Leben losgelöſt, wie dies Blatt aus dem Album.
Wenn man die Erinnerung tödten könnte, wie man ein
Blatt vernichten kann, ſo läge es nicht mehr hier. Da
das aber nicht geht, ſo mag es bleiben, wo es iſt.
Weiter!“

Der Sturm in Oswald's Seele war vorüber¬
gebrauſt. Wie lindes Wehen des Frühlings überkam
ihn der Gedanke: Sie könnte und würde dir das nicht
ſagen, wenn ſie dich nicht ihres Vertrauens und ihrer
Freundſchaft für würdig erachtete. Und ein Gefühl
unſäglichen Glücks durchbebte ihn bei dieſem Gedanken.
Es war für ihn jener hochherrliche, feierliche Augen¬
blick, der einmal oder das anderemal jedem Menſchen
in der Nacht ſeines Lebens ſtrahlt — jener Augenblick,
wo die Himmel ſich uns aufthun, und die Engelſchaaren
herniederſteigen, und Friede, Friede, Friede! in unſer
gläubiges Herz ſingen.

In dieſer ſeligen Stimmung durchmuſterte er die
folgenden Blätter, die Melitta auf ihrer italieniſchen
Reiſe gezeichnet hatte: Landſchaften mit heitern, klaren
Linien, Skizzen aus Städten: Paläſte, Straßen, Ruinen,
zwiſchendurch ein keckes Lazaronigeſicht oder ein träu¬
meriſches Mädchenantlitz. Dann folgten Studien nach
der Antike, zum Theil ſehr fleißige Studien, denn
Manches war wieder und wieder gezeichnet, bevor es

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[177/0187] meinem Leben losgelöſt, wie dies Blatt aus dem Album. Wenn man die Erinnerung tödten könnte, wie man ein Blatt vernichten kann, ſo läge es nicht mehr hier. Da das aber nicht geht, ſo mag es bleiben, wo es iſt. Weiter!“ Der Sturm in Oswald's Seele war vorüber¬ gebrauſt. Wie lindes Wehen des Frühlings überkam ihn der Gedanke: Sie könnte und würde dir das nicht ſagen, wenn ſie dich nicht ihres Vertrauens und ihrer Freundſchaft für würdig erachtete. Und ein Gefühl unſäglichen Glücks durchbebte ihn bei dieſem Gedanken. Es war für ihn jener hochherrliche, feierliche Augen¬ blick, der einmal oder das anderemal jedem Menſchen in der Nacht ſeines Lebens ſtrahlt — jener Augenblick, wo die Himmel ſich uns aufthun, und die Engelſchaaren herniederſteigen, und Friede, Friede, Friede! in unſer gläubiges Herz ſingen. In dieſer ſeligen Stimmung durchmuſterte er die folgenden Blätter, die Melitta auf ihrer italieniſchen Reiſe gezeichnet hatte: Landſchaften mit heitern, klaren Linien, Skizzen aus Städten: Paläſte, Straßen, Ruinen, zwiſchendurch ein keckes Lazaronigeſicht oder ein träu¬ meriſches Mädchenantlitz. Dann folgten Studien nach der Antike, zum Theil ſehr fleißige Studien, denn Manches war wieder und wieder gezeichnet, bevor es F. Spielhagen, Problematiſche Naturen I. 12

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/187>, abgerufen am 21.11.2024.