Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.rend die schöne Frau ihm über die Schulter blickte, Fern zu Paris, im hohen Louvresaale, Inmitten all' der göttlichen Gestalten, Der marmorschönen ach! und marmorkalten, Da thronet sie hoch auf dem Piedestale; Sie, die im stillverschwieg'nen Bergesthale, Als träumerisch die duft'gen Nebel wallten, Anchises einst in seinem Arm gehalten, Bis sie entschwand im ersten Morgenstrahle. Die Göttin starb. Man fand die schöne Leiche, Und trug sie still in heil'ge Tempelhallen. So herrscht die Todte noch in ihrem Reiche. Ach, aber Keinem von den Gläub'gen allen Neigt gütig sie das Angesicht, das bleiche; Taub bleibt ihr Ohr für frommer Beter Lallen. Oswald legte den Griffel aus der Hand und schaute Da erschien in der Thür zum Nebenzimmer, aus "Gnädige Frau, es ist angerichtet." 12*
rend die ſchöne Frau ihm über die Schulter blickte, Fern zu Paris, im hohen Louvreſaale, Inmitten all' der göttlichen Geſtalten, Der marmorſchönen ach! und marmorkalten, Da thronet ſie hoch auf dem Piedeſtale; Sie, die im ſtillverſchwieg'nen Bergesthale, Als träumeriſch die duft'gen Nebel wallten, Anchiſes einſt in ſeinem Arm gehalten, Bis ſie entſchwand im erſten Morgenſtrahle. Die Göttin ſtarb. Man fand die ſchöne Leiche, Und trug ſie ſtill in heil'ge Tempelhallen. So herrſcht die Todte noch in ihrem Reiche. Ach, aber Keinem von den Gläub'gen allen Neigt gütig ſie das Angeſicht, das bleiche; Taub bleibt ihr Ohr für frommer Beter Lallen. Oswald legte den Griffel aus der Hand und ſchaute Da erſchien in der Thür zum Nebenzimmer, aus „Gnädige Frau, es iſt angerichtet.“ 12*
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rend die ſchöne Frau ihm über die Schulter blickte,
mit zitternder Hand:
Fern zu Paris, im hohen Louvreſaale,
Inmitten all' der göttlichen Geſtalten,
Der marmorſchönen ach! und marmorkalten,
Da thronet ſie hoch auf dem Piedeſtale;
Sie, die im ſtillverſchwieg'nen Bergesthale,
Als träumeriſch die duft'gen Nebel wallten,
Anchiſes einſt in ſeinem Arm gehalten,
Bis ſie entſchwand im erſten Morgenſtrahle.
Die Göttin ſtarb. Man fand die ſchöne Leiche,
Und trug ſie ſtill in heil'ge Tempelhallen.
So herrſcht die Todte noch in ihrem Reiche.
Ach, aber Keinem von den Gläub'gen allen
Neigt gütig ſie das Angeſicht, das bleiche;
Taub bleibt ihr Ohr für frommer Beter Lallen.
Oswald legte den Griffel aus der Hand und ſchaute
zu Melitta empor. Sein Blick begegnete dem ihrigen.
Für ein paar Momente ruhten ihre Augen ineinander,
als ob ſie Einer in des Andern Seele leſen wollten.
Da erſchien in der Thür zum Nebenzimmer, aus
dem man ſchon ſeit einiger Zeit das Klappern von
Tellern gehört hatte, der alte Baumann mit einer
Serviette unter dem Arm und ſagte feierlich, wie der
Comthur im Don Juan:
„Gnädige Frau, es iſt angerichtet.“
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