"Schnell, kommen Sie, ehe unser Habermus kalt wird," rief Melitta.
"Nur noch die paar Blätter erlauben Sie," sagte Oswald; "ich sehe, es ist gleich zu Ende."
"Es ist nichts von Bedeutung mehr darin," sagte Melitta fast ungeduldig.
"Ei, das ist ja der Park von Grenwitz," rief Os¬ wald, indem er, vom Sessel sich erhebend, das letzte Blatt aufschlug. "Der Rasenplatz hinter dem Schlosse. Hier die Flora, dort Bruno im vollen Lauf --"
"Und hier sind Sie!"
"Wo?"
"Dort."
"Dieser Nebelstreif?" sagte Oswald, auf eine Stelle rechts neben der Flora deutend, wo man von einer Figur, die mit Gummi wieder weggewischt war, noch eben die Umrisse erkennen konnte.
"Dieser Nebelstreif!" antwortete lachend Melitta. "Ich wollte Sie erst in Ihrer wirklichen Gestalt zeich¬ nen, konnte aber nicht damit zu Stande kommen. Jetzt sollen Sie als Erlkönig figuriren, der den Knaben Bruno hascht; das heißt Bruno's Leib, denn seine Seele gehört Ihnen schon. Wie haben Sie es nur angefangen, den jungen Leoparden in den paar Tagen vollständig zu zähmen?"
„Schnell, kommen Sie, ehe unſer Habermus kalt wird,“ rief Melitta.
„Nur noch die paar Blätter erlauben Sie,“ ſagte Oswald; „ich ſehe, es iſt gleich zu Ende.“
„Es iſt nichts von Bedeutung mehr darin,“ ſagte Melitta faſt ungeduldig.
„Ei, das iſt ja der Park von Grenwitz,“ rief Os¬ wald, indem er, vom Seſſel ſich erhebend, das letzte Blatt aufſchlug. „Der Raſenplatz hinter dem Schloſſe. Hier die Flora, dort Bruno im vollen Lauf —“
„Und hier ſind Sie!“
„Wo?“
„Dort.“
„Dieſer Nebelſtreif?“ ſagte Oswald, auf eine Stelle rechts neben der Flora deutend, wo man von einer Figur, die mit Gummi wieder weggewiſcht war, noch eben die Umriſſe erkennen konnte.
„Dieſer Nebelſtreif!“ antwortete lachend Melitta. „Ich wollte Sie erſt in Ihrer wirklichen Geſtalt zeich¬ nen, konnte aber nicht damit zu Stande kommen. Jetzt ſollen Sie als Erlkönig figuriren, der den Knaben Bruno haſcht; das heißt Bruno's Leib, denn ſeine Seele gehört Ihnen ſchon. Wie haben Sie es nur angefangen, den jungen Leoparden in den paar Tagen vollſtändig zu zähmen?“
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„Schnell, kommen Sie, ehe unſer Habermus kalt
wird,“ rief Melitta.
„Nur noch die paar Blätter erlauben Sie,“ ſagte
Oswald; „ich ſehe, es iſt gleich zu Ende.“
„Es iſt nichts von Bedeutung mehr darin,“ ſagte
Melitta faſt ungeduldig.
„Ei, das iſt ja der Park von Grenwitz,“ rief Os¬
wald, indem er, vom Seſſel ſich erhebend, das letzte
Blatt aufſchlug. „Der Raſenplatz hinter dem Schloſſe.
Hier die Flora, dort Bruno im vollen Lauf —“
„Und hier ſind Sie!“
„Wo?“
„Dort.“
„Dieſer Nebelſtreif?“ ſagte Oswald, auf eine Stelle
rechts neben der Flora deutend, wo man von einer
Figur, die mit Gummi wieder weggewiſcht war, noch
eben die Umriſſe erkennen konnte.
„Dieſer Nebelſtreif!“ antwortete lachend Melitta.
„Ich wollte Sie erſt in Ihrer wirklichen Geſtalt zeich¬
nen, konnte aber nicht damit zu Stande kommen. Jetzt
ſollen Sie als Erlkönig figuriren, der den Knaben
Bruno haſcht; das heißt Bruno's Leib, denn ſeine
Seele gehört Ihnen ſchon. Wie haben Sie es nur
angefangen, den jungen Leoparden in den paar Tagen
vollſtändig zu zähmen?“
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/190>, abgerufen am 16.02.2025.
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