Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

zum Doctor. "Ich sehe zu meinem Schrecken, daß
wir schon beinahe bis Berkow gekommen sind. Es ist
die höchste Zeit, daß ich zurückkehre."

Der Wagen hielt; Oswald stieg herab.

"Ich hoffe," sagte er, dem Doctor die Hand reichend,
"daß dies nicht die einzige und nicht die längste Strecke
gewesen ist, die wir auf unserem Lebenswege zusammen
fahren oder gehen werden."

"Ich hoffe und wünsche dasselbe," antwortete der
Andere, "es scheint mir, als ob wir in unserem Denken
und Fühlen manches Gemeinsame haben, und einer
wahlverwandten Natur zu begegnen, ist ein viel zu
kostbares Glück, als daß man es leichtsinnig verscherzen
dürfte. Jedenfalls komme ich bald wieder in diese
Gegend. Leben Sie wohl indessen."

Der Wagen rollte davon, bald verhallte der Huf¬
schlag in der Ferne; das Licht in der Försterwohnung
erlosch, Oswald war allein mit der Nacht und dem
Schweigen.

Und alsbald trat das Bild Melitta's vor seine
Seele und glitt vor ihm her den schmalen Waldpfad
entlang, auf dem er jetzt so heimlich und leise, wie ein
Wilddieb, hinschritt. Da trat er hinaus auf die Lich¬
tung, und blieb erschrocken, wie wenn ein Blitz an
seiner Seite eingeschlagen hätte, stehen -- aus dem

zum Doctor. „Ich ſehe zu meinem Schrecken, daß
wir ſchon beinahe bis Berkow gekommen ſind. Es iſt
die höchſte Zeit, daß ich zurückkehre.“

Der Wagen hielt; Oswald ſtieg herab.

„Ich hoffe,“ ſagte er, dem Doctor die Hand reichend,
„daß dies nicht die einzige und nicht die längſte Strecke
geweſen iſt, die wir auf unſerem Lebenswege zuſammen
fahren oder gehen werden.“

„Ich hoffe und wünſche daſſelbe,“ antwortete der
Andere, „es ſcheint mir, als ob wir in unſerem Denken
und Fühlen manches Gemeinſame haben, und einer
wahlverwandten Natur zu begegnen, iſt ein viel zu
koſtbares Glück, als daß man es leichtſinnig verſcherzen
dürfte. Jedenfalls komme ich bald wieder in dieſe
Gegend. Leben Sie wohl indeſſen.“

Der Wagen rollte davon, bald verhallte der Huf¬
ſchlag in der Ferne; das Licht in der Förſterwohnung
erloſch, Oswald war allein mit der Nacht und dem
Schweigen.

Und alsbald trat das Bild Melitta's vor ſeine
Seele und glitt vor ihm her den ſchmalen Waldpfad
entlang, auf dem er jetzt ſo heimlich und leiſe, wie ein
Wilddieb, hinſchritt. Da trat er hinaus auf die Lich¬
tung, und blieb erſchrocken, wie wenn ein Blitz an
ſeiner Seite eingeſchlagen hätte, ſtehen — aus dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0305" n="295"/>
zum Doctor. &#x201E;Ich &#x017F;ehe zu meinem Schrecken, daß<lb/>
wir &#x017F;chon beinahe bis Berkow gekommen &#x017F;ind. Es i&#x017F;t<lb/>
die höch&#x017F;te Zeit, daß ich zurückkehre.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Wagen hielt; Oswald &#x017F;tieg herab.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich hoffe,&#x201C; &#x017F;agte er, dem Doctor die Hand reichend,<lb/>
&#x201E;daß dies nicht die einzige und nicht die läng&#x017F;te Strecke<lb/>
gewe&#x017F;en i&#x017F;t, die wir auf un&#x017F;erem Lebenswege zu&#x017F;ammen<lb/>
fahren oder gehen werden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich hoffe und wün&#x017F;che da&#x017F;&#x017F;elbe,&#x201C; antwortete der<lb/>
Andere, &#x201E;es &#x017F;cheint mir, als ob wir in un&#x017F;erem Denken<lb/>
und Fühlen manches Gemein&#x017F;ame haben, und einer<lb/>
wahlverwandten Natur zu begegnen, i&#x017F;t ein viel zu<lb/>
ko&#x017F;tbares Glück, als daß man es leicht&#x017F;innig ver&#x017F;cherzen<lb/>
dürfte. Jedenfalls komme ich bald wieder in die&#x017F;e<lb/>
Gegend. Leben Sie wohl inde&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Wagen rollte davon, bald verhallte der Huf¬<lb/>
&#x017F;chlag in der Ferne; das Licht in der För&#x017F;terwohnung<lb/>
erlo&#x017F;ch, Oswald war allein mit der Nacht und dem<lb/>
Schweigen.</p><lb/>
        <p>Und alsbald trat das Bild Melitta's vor &#x017F;eine<lb/>
Seele und glitt vor ihm her den &#x017F;chmalen Waldpfad<lb/>
entlang, auf dem er jetzt &#x017F;o heimlich und lei&#x017F;e, wie ein<lb/>
Wilddieb, hin&#x017F;chritt. Da trat er hinaus auf die Lich¬<lb/>
tung, und blieb er&#x017F;chrocken, wie wenn ein Blitz an<lb/>
&#x017F;einer Seite einge&#x017F;chlagen hätte, &#x017F;tehen &#x2014; aus dem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0305] zum Doctor. „Ich ſehe zu meinem Schrecken, daß wir ſchon beinahe bis Berkow gekommen ſind. Es iſt die höchſte Zeit, daß ich zurückkehre.“ Der Wagen hielt; Oswald ſtieg herab. „Ich hoffe,“ ſagte er, dem Doctor die Hand reichend, „daß dies nicht die einzige und nicht die längſte Strecke geweſen iſt, die wir auf unſerem Lebenswege zuſammen fahren oder gehen werden.“ „Ich hoffe und wünſche daſſelbe,“ antwortete der Andere, „es ſcheint mir, als ob wir in unſerem Denken und Fühlen manches Gemeinſame haben, und einer wahlverwandten Natur zu begegnen, iſt ein viel zu koſtbares Glück, als daß man es leichtſinnig verſcherzen dürfte. Jedenfalls komme ich bald wieder in dieſe Gegend. Leben Sie wohl indeſſen.“ Der Wagen rollte davon, bald verhallte der Huf¬ ſchlag in der Ferne; das Licht in der Förſterwohnung erloſch, Oswald war allein mit der Nacht und dem Schweigen. Und alsbald trat das Bild Melitta's vor ſeine Seele und glitt vor ihm her den ſchmalen Waldpfad entlang, auf dem er jetzt ſo heimlich und leiſe, wie ein Wilddieb, hinſchritt. Da trat er hinaus auf die Lich¬ tung, und blieb erſchrocken, wie wenn ein Blitz an ſeiner Seite eingeſchlagen hätte, ſtehen — aus dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/305
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/305>, abgerufen am 23.11.2024.