Fenster der Eremitage schimmerte Licht! Melitta, die er auf dem Schlosse glaubte, war hier, hier -- funf¬ zig Schritte von ihm entfernt -- er brauchte nur über den Wiesenteppich zu gehen und die paar Stufen der Treppe zu ersteigen -- die Thür zu öffnen. -- Os¬ wald lehnte an den Stamm der Buche, sein wild schlagendes Herz ein wenig zu beruhigen. Und wenn ihn hier jemand sähe, wenn er Melitta's Ruf leicht¬ sinnig auf's Spiel setzte!... Athemlos horchte er in die Nacht hinein. . . Nichts vernahm er, als die wunderlichen, geheimnißvollen Stimmen, die man am Tage niemals hört, und die mit der Nacht geboren werden: ein Raunen und Flüstern oben in den Zweigen, ein Rascheln und Knistern in dem trockenen Laub am Boden -- das dumpfe Gebell eines Hundes drüben aus dem Dorfe... Ein Nachtaar kam auf seinem wirren Fluge bis dicht an sein Gesicht geflattert und schoß dann wieder davon. Sonst rings umher tiefe Stille... Da schlug ein dumpfer, drohender Laut an sein Ohr. Er kam aus der breiten Brust von Melitta's Dogge, die vor dem Eingange der Eremi¬ tage Wache hielt. Der treue Wächter mußte die Nähe eines Fremden gespürt haben, denn er erhob sich, sprang die Treppe hinab und umkreiste das Haus, wie ein Schäferhund seine Hürde.
Fenſter der Eremitage ſchimmerte Licht! Melitta, die er auf dem Schloſſe glaubte, war hier, hier — funf¬ zig Schritte von ihm entfernt — er brauchte nur über den Wieſenteppich zu gehen und die paar Stufen der Treppe zu erſteigen — die Thür zu öffnen. — Os¬ wald lehnte an den Stamm der Buche, ſein wild ſchlagendes Herz ein wenig zu beruhigen. Und wenn ihn hier jemand ſähe, wenn er Melitta's Ruf leicht¬ ſinnig auf's Spiel ſetzte!... Athemlos horchte er in die Nacht hinein. . . Nichts vernahm er, als die wunderlichen, geheimnißvollen Stimmen, die man am Tage niemals hört, und die mit der Nacht geboren werden: ein Raunen und Flüſtern oben in den Zweigen, ein Raſcheln und Kniſtern in dem trockenen Laub am Boden — das dumpfe Gebell eines Hundes drüben aus dem Dorfe... Ein Nachtaar kam auf ſeinem wirren Fluge bis dicht an ſein Geſicht geflattert und ſchoß dann wieder davon. Sonſt rings umher tiefe Stille... Da ſchlug ein dumpfer, drohender Laut an ſein Ohr. Er kam aus der breiten Bruſt von Melitta's Dogge, die vor dem Eingange der Eremi¬ tage Wache hielt. Der treue Wächter mußte die Nähe eines Fremden geſpürt haben, denn er erhob ſich, ſprang die Treppe hinab und umkreiste das Haus, wie ein Schäferhund ſeine Hürde.
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Fenſter der Eremitage ſchimmerte Licht! Melitta, die
er auf dem Schloſſe glaubte, war hier, hier — funf¬
zig Schritte von ihm entfernt — er brauchte nur über
den Wieſenteppich zu gehen und die paar Stufen der
Treppe zu erſteigen — die Thür zu öffnen. — Os¬
wald lehnte an den Stamm der Buche, ſein wild
ſchlagendes Herz ein wenig zu beruhigen. Und wenn
ihn hier jemand ſähe, wenn er Melitta's Ruf leicht¬
ſinnig auf's Spiel ſetzte!... Athemlos horchte er
in die Nacht hinein. . . Nichts vernahm er, als die
wunderlichen, geheimnißvollen Stimmen, die man am
Tage niemals hört, und die mit der Nacht geboren
werden: ein Raunen und Flüſtern oben in den Zweigen,
ein Raſcheln und Kniſtern in dem trockenen Laub am
Boden — das dumpfe Gebell eines Hundes drüben
aus dem Dorfe... Ein Nachtaar kam auf ſeinem
wirren Fluge bis dicht an ſein Geſicht geflattert und
ſchoß dann wieder davon. Sonſt rings umher tiefe
Stille... Da ſchlug ein dumpfer, drohender Laut
an ſein Ohr. Er kam aus der breiten Bruſt von
Melitta's Dogge, die vor dem Eingange der Eremi¬
tage Wache hielt. Der treue Wächter mußte die Nähe
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ſprang die Treppe hinab und umkreiste das Haus,
wie ein Schäferhund ſeine Hürde.
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/306>, abgerufen am 23.11.2024.
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