Chevalereskes, das man heut zu Tage nur zu selten und nur bei unsern jungen Leuten aus den besten Familien findet. Adolf kann in dieser Hinsicht noch sehr viel lernen. Hörst Du, Adolf?"
"Ich höre stets auf das, was Sie sagen, liebe Tante," antwortete der junge Mann, der mit seiner Schwester folgte, "auch wenn ich, was Sie sagen, schon ein oder das andre Mal von Ihnen gehört haben sollte. Emilie, Kind, wo hast Du denn die Augen, Du wärst um ein Haar unter das Rad gekommen!"
Die Damen waren eingestiegen, Adolf von Breesen gab dem Kutscher auf dem Bocke noch eine Instruc¬ tion über den einzuschlagenden Weg. Oswald stand an der geöffneten Thür, die Tante hatte sich schon bequem in ihrer dunkeln Ecke zurecht gesetzt, Emilie hatte sich etwas nach vorn gebeugt. Das Licht von den Laternen auf dem Bocke und vor der Hausthür fiel auf ihr Gesicht. Ihre Blicke hingen unverwandt an Oswald; aber sie sah ihn wol kaum, denn ihre großen Augen waren von Thränen verschleiert; sie wagte nicht zu sprechen, aber ihr leise zuckender Mund war beredt genug. Ihr Bruder sprang in den Wagen und zog die Thür hinter sich zu. "Fort!" die Pferde zogen an. Eine kleine Hand in weißem Handschuh winkte aus dem Fenster. Das war das letzte Liebes¬
Chevalereskes, das man heut zu Tage nur zu ſelten und nur bei unſern jungen Leuten aus den beſten Familien findet. Adolf kann in dieſer Hinſicht noch ſehr viel lernen. Hörſt Du, Adolf?“
„Ich höre ſtets auf das, was Sie ſagen, liebe Tante,“ antwortete der junge Mann, der mit ſeiner Schweſter folgte, „auch wenn ich, was Sie ſagen, ſchon ein oder das andre Mal von Ihnen gehört haben ſollte. Emilie, Kind, wo haſt Du denn die Augen, Du wärſt um ein Haar unter das Rad gekommen!“
Die Damen waren eingeſtiegen, Adolf von Breeſen gab dem Kutſcher auf dem Bocke noch eine Inſtruc¬ tion über den einzuſchlagenden Weg. Oswald ſtand an der geöffneten Thür, die Tante hatte ſich ſchon bequem in ihrer dunkeln Ecke zurecht geſetzt, Emilie hatte ſich etwas nach vorn gebeugt. Das Licht von den Laternen auf dem Bocke und vor der Hausthür fiel auf ihr Geſicht. Ihre Blicke hingen unverwandt an Oswald; aber ſie ſah ihn wol kaum, denn ihre großen Augen waren von Thränen verſchleiert; ſie wagte nicht zu ſprechen, aber ihr leiſe zuckender Mund war beredt genug. Ihr Bruder ſprang in den Wagen und zog die Thür hinter ſich zu. „Fort!“ die Pferde zogen an. Eine kleine Hand in weißem Handſchuh winkte aus dem Fenſter. Das war das letzte Liebes¬
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Chevalereskes, das man heut zu Tage nur zu ſelten
und nur bei unſern jungen Leuten aus den beſten
Familien findet. Adolf kann in dieſer Hinſicht noch
ſehr viel lernen. Hörſt Du, Adolf?“
„Ich höre ſtets auf das, was Sie ſagen, liebe
Tante,“ antwortete der junge Mann, der mit ſeiner
Schweſter folgte, „auch wenn ich, was Sie ſagen,
ſchon ein oder das andre Mal von Ihnen gehört haben
ſollte. Emilie, Kind, wo haſt Du denn die Augen,
Du wärſt um ein Haar unter das Rad gekommen!“
Die Damen waren eingeſtiegen, Adolf von Breeſen
gab dem Kutſcher auf dem Bocke noch eine Inſtruc¬
tion über den einzuſchlagenden Weg. Oswald ſtand
an der geöffneten Thür, die Tante hatte ſich ſchon
bequem in ihrer dunkeln Ecke zurecht geſetzt, Emilie
hatte ſich etwas nach vorn gebeugt. Das Licht von
den Laternen auf dem Bocke und vor der Hausthür
fiel auf ihr Geſicht. Ihre Blicke hingen unverwandt
an Oswald; aber ſie ſah ihn wol kaum, denn ihre
großen Augen waren von Thränen verſchleiert; ſie
wagte nicht zu ſprechen, aber ihr leiſe zuckender Mund
war beredt genug. Ihr Bruder ſprang in den Wagen
und zog die Thür hinter ſich zu. „Fort!“ die Pferde
zogen an. Eine kleine Hand in weißem Handſchuh
winkte aus dem Fenſter. Das war das letzte Liebes¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/116>, abgerufen am 16.02.2025.
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