Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.sem hehren Waldestempel überkam die Erinnerung Da ertönte Hufschlag durch den stillen Wald und "Einen Brief? Haben Sie einen Brief?" rief er "Ruhig, Brownlock, ruhig," sagte der Alte, dem ſem hehren Waldestempel überkam die Erinnerung Da ertönte Hufſchlag durch den ſtillen Wald und „Einen Brief? Haben Sie einen Brief?“ rief er „Ruhig, Brownlock, ruhig,“ ſagte der Alte, dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0159" n="149"/> ſem hehren Waldestempel überkam die Erinnerung<lb/> an Melitta Oswald's Herz mit aller Macht. Ihre<lb/> hohe, und bei aller lieblichen Fülle ſo jungfräuliche<lb/> Geſtalt, ihr reiches, braunes Haar, das in ſo weichen<lb/> Wellen von dem Scheitel zum Nacken herabfloß, ihre<lb/> dunkeln zärtlichen Augen; ihre reizende Schalkhaftig¬<lb/> keit, ihr liebliches neckiſches Weſen — und ach! vor<lb/> allem ihre unendliche Güte und Liebe — wie deutlich<lb/> ihr Bild vor ſeiner Seele ſtand! wie heiß er ſich ge¬<lb/> lobte, der Lieben, Guten, Holden nie, auch nur<lb/> in Gedanken untreu zu werden, und komme, was<lb/> da wolle, ihre Liebe mit unendlicher Liebe zu er¬<lb/> wiedern.</p><lb/> <p>Da ertönte Hufſchlag durch den ſtillen Wald und<lb/> bald tauchte aus dem Halbdunkel ein Reiter auf, der<lb/> in raſchem Trabe daherkam. Oswald durchfuhr ein<lb/> freudiger Schrecken, als er in dem Reiter den alten<lb/> Baumann auf dem Brownlock erkannte.</p><lb/> <p>„Einen Brief? Haben Sie einen Brief?“ rief er<lb/> mit einer Heftigkeit, die Brownlock einen Schritt zur<lb/> Seite ſpringen machte.</p><lb/> <p>„Ruhig, Brownlock, ruhig,“ ſagte der Alte, dem<lb/> Pferde den ſchlanken Hals hätſchelnd; „guten Abend,<lb/> junger Herr! Ich habe Sie ſchon in Saſſitz geſucht,<lb/> allwo ich erfahren, daß Sie ſich am geſtrigen Tage<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [149/0159]
ſem hehren Waldestempel überkam die Erinnerung
an Melitta Oswald's Herz mit aller Macht. Ihre
hohe, und bei aller lieblichen Fülle ſo jungfräuliche
Geſtalt, ihr reiches, braunes Haar, das in ſo weichen
Wellen von dem Scheitel zum Nacken herabfloß, ihre
dunkeln zärtlichen Augen; ihre reizende Schalkhaftig¬
keit, ihr liebliches neckiſches Weſen — und ach! vor
allem ihre unendliche Güte und Liebe — wie deutlich
ihr Bild vor ſeiner Seele ſtand! wie heiß er ſich ge¬
lobte, der Lieben, Guten, Holden nie, auch nur
in Gedanken untreu zu werden, und komme, was
da wolle, ihre Liebe mit unendlicher Liebe zu er¬
wiedern.
Da ertönte Hufſchlag durch den ſtillen Wald und
bald tauchte aus dem Halbdunkel ein Reiter auf, der
in raſchem Trabe daherkam. Oswald durchfuhr ein
freudiger Schrecken, als er in dem Reiter den alten
Baumann auf dem Brownlock erkannte.
„Einen Brief? Haben Sie einen Brief?“ rief er
mit einer Heftigkeit, die Brownlock einen Schritt zur
Seite ſpringen machte.
„Ruhig, Brownlock, ruhig,“ ſagte der Alte, dem
Pferde den ſchlanken Hals hätſchelnd; „guten Abend,
junger Herr! Ich habe Sie ſchon in Saſſitz geſucht,
allwo ich erfahren, daß Sie ſich am geſtrigen Tage
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