Kirchhof gefolgt bin, obgleich Kirchen und Kirchhöfe, wie Sie wissen, durchaus nicht zu den Oertern ge¬ hören, die ich mit Vorliebe aufsuche."
"Und wohin werden Sie diesmal Ihre Schritte lenken?"
"Ich weiß es noch nicht. Was soll ich hier? Da ich für die nicht leben kann, für die ich leben möchte, und da es in unserer engbrüstigen Zeit an jedem großen Zweck gebricht, an dessen Erreichung ein Mann sein Leben setzen könnte, so will ich denn auch, ein anderer Peter Schlemihl, meinen eignen Schatten suchen gehen. Ich fürchte nur, daß ich ihn niemals wieder finde, oder daß, wenn ich ihn finde, er sich wieder von mir trennt, wie das letzte Mal."
"Haben Sie die Spur der braunen Gräfin nicht verfolgt?"
"Nein. Es würde auch nichts geholfen haben. Wandernde Zigeuner hinterlassen keine Spuren, so wenig wie ein Schiff, das durch die Wogen streicht. Wenn ich nicht wieder kommen sollte, Melitta, lassen Sie sich Ihre Büste, die ich in Rom von dem jungen Goldoni anfertigen ließ, und die jetzt in Cona in mei¬ nem Arbeitszimmer steht, geben. Oder wollen Sie sie sogleich haben?"
"Nein," sagte Melitta; "behalten Sie sie immer¬
Kirchhof gefolgt bin, obgleich Kirchen und Kirchhöfe, wie Sie wiſſen, durchaus nicht zu den Oertern ge¬ hören, die ich mit Vorliebe aufſuche.“
„Und wohin werden Sie diesmal Ihre Schritte lenken?“
„Ich weiß es noch nicht. Was ſoll ich hier? Da ich für die nicht leben kann, für die ich leben möchte, und da es in unſerer engbrüſtigen Zeit an jedem großen Zweck gebricht, an deſſen Erreichung ein Mann ſein Leben ſetzen könnte, ſo will ich denn auch, ein anderer Peter Schlemihl, meinen eignen Schatten ſuchen gehen. Ich fürchte nur, daß ich ihn niemals wieder finde, oder daß, wenn ich ihn finde, er ſich wieder von mir trennt, wie das letzte Mal.“
„Haben Sie die Spur der braunen Gräfin nicht verfolgt?“
„Nein. Es würde auch nichts geholfen haben. Wandernde Zigeuner hinterlaſſen keine Spuren, ſo wenig wie ein Schiff, das durch die Wogen ſtreicht. Wenn ich nicht wieder kommen ſollte, Melitta, laſſen Sie ſich Ihre Büſte, die ich in Rom von dem jungen Goldoni anfertigen ließ, und die jetzt in Cona in mei¬ nem Arbeitszimmer ſteht, geben. Oder wollen Sie ſie ſogleich haben?“
„Nein,“ ſagte Melitta; „behalten Sie ſie immer¬
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Kirchhof gefolgt bin, obgleich Kirchen und Kirchhöfe,
wie Sie wiſſen, durchaus nicht zu den Oertern ge¬
hören, die ich mit Vorliebe aufſuche.“
„Und wohin werden Sie diesmal Ihre Schritte
lenken?“
„Ich weiß es noch nicht. Was ſoll ich hier?
Da ich für die nicht leben kann, für die ich leben
möchte, und da es in unſerer engbrüſtigen Zeit an
jedem großen Zweck gebricht, an deſſen Erreichung
ein Mann ſein Leben ſetzen könnte, ſo will ich denn
auch, ein anderer Peter Schlemihl, meinen eignen
Schatten ſuchen gehen. Ich fürchte nur, daß ich ihn
niemals wieder finde, oder daß, wenn ich ihn finde,
er ſich wieder von mir trennt, wie das letzte Mal.“
„Haben Sie die Spur der braunen Gräfin nicht
verfolgt?“
„Nein. Es würde auch nichts geholfen haben.
Wandernde Zigeuner hinterlaſſen keine Spuren, ſo
wenig wie ein Schiff, das durch die Wogen ſtreicht.
Wenn ich nicht wieder kommen ſollte, Melitta, laſſen
Sie ſich Ihre Büſte, die ich in Rom von dem jungen
Goldoni anfertigen ließ, und die jetzt in Cona in mei¬
nem Arbeitszimmer ſteht, geben. Oder wollen Sie ſie
ſogleich haben?“
„Nein,“ ſagte Melitta; „behalten Sie ſie immer¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/298>, abgerufen am 12.01.2025.
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