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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

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winnen suchte. Sie blickte mir forschend in's Ge-
sichte, und sah dann sehnsuchtsvoll meinen Wagen
an, der nahe bei ihr vorüber fuhr. Dort hinten,
sprach sie leise, könnte mein Holz recht gut liegen,
wenn's der Herr erlaubte, die starken Pferde wür-
den es kaum merken. -- -- Ich rief meinen Kut-
scher herbei, ließ das Holz aufladen, und gieng
nun auf dem Fußsteige neben ihr her.

Die Alte. Bezahl's Gott tausendmal! Sie
fahren doch durch das Dorf, welches unten im
Thale liegt?

Ich. Ja.

Die Alte. Und nehmen bis dahin mein
Holz mit?

Ich. Von Herzen gerne.

Die Alte. So bezahle es Ihnen Gott noch
einmal, denn (sich voll schmerzhaftem
Gefühle anblickend)
von mir werden Sie
doch kein andres Trinkgeld als Dank erwarten! --

Ich wollte eben das Gespräch fortsetzen und
sie von meiner Uneigennützigkeit überzeugen, als
der sonderbare Anzug der Alten meine ganze Neu-
gierde weckte; er war zwar äußerst armselig, aber
er verrieth doch deutliche Spuren, daß er einst
schön gewesen war. Sie trug einen weißen Rock,
der freilich jetzt sehr gelb, durchgängig sehr geflickt,
und bei solcher Arbeit äußerst schmuzig aussah,
aber der Stoff bestand aus dem feinsten Parchet,

winnen ſuchte. Sie blickte mir forſchend in's Ge-
ſichte, und ſah dann ſehnſuchtsvoll meinen Wagen
an, der nahe bei ihr voruͤber fuhr. Dort hinten,
ſprach ſie leiſe, koͤnnte mein Holz recht gut liegen,
wenn's der Herr erlaubte, die ſtarken Pferde wuͤr-
den es kaum merken. — — Ich rief meinen Kut-
ſcher herbei, ließ das Holz aufladen, und gieng
nun auf dem Fußſteige neben ihr her.

Die Alte. Bezahl's Gott tauſendmal! Sie
fahren doch durch das Dorf, welches unten im
Thale liegt?

Ich. Ja.

Die Alte. Und nehmen bis dahin mein
Holz mit?

Ich. Von Herzen gerne.

Die Alte. So bezahle es Ihnen Gott noch
einmal, denn (ſich voll ſchmerzhaftem
Gefuͤhle anblickend)
von mir werden Sie
doch kein andres Trinkgeld als Dank erwarten! —

Ich wollte eben das Geſpraͤch fortſetzen und
ſie von meiner Uneigennuͤtzigkeit uͤberzeugen, als
der ſonderbare Anzug der Alten meine ganze Neu-
gierde weckte; er war zwar aͤußerſt armſelig, aber
er verrieth doch deutliche Spuren, daß er einſt
ſchoͤn geweſen war. Sie trug einen weißen Rock,
der freilich jetzt ſehr gelb, durchgaͤngig ſehr geflickt,
und bei ſolcher Arbeit aͤußerſt ſchmuzig ausſah,
aber der Stoff beſtand aus dem feinſten Parchet,

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[156/0170] winnen ſuchte. Sie blickte mir forſchend in's Ge- ſichte, und ſah dann ſehnſuchtsvoll meinen Wagen an, der nahe bei ihr voruͤber fuhr. Dort hinten, ſprach ſie leiſe, koͤnnte mein Holz recht gut liegen, wenn's der Herr erlaubte, die ſtarken Pferde wuͤr- den es kaum merken. — — Ich rief meinen Kut- ſcher herbei, ließ das Holz aufladen, und gieng nun auf dem Fußſteige neben ihr her. Die Alte. Bezahl's Gott tauſendmal! Sie fahren doch durch das Dorf, welches unten im Thale liegt? Ich. Ja. Die Alte. Und nehmen bis dahin mein Holz mit? Ich. Von Herzen gerne. Die Alte. So bezahle es Ihnen Gott noch einmal, denn (ſich voll ſchmerzhaftem Gefuͤhle anblickend) von mir werden Sie doch kein andres Trinkgeld als Dank erwarten! — Ich wollte eben das Geſpraͤch fortſetzen und ſie von meiner Uneigennuͤtzigkeit uͤberzeugen, als der ſonderbare Anzug der Alten meine ganze Neu- gierde weckte; er war zwar aͤußerſt armſelig, aber er verrieth doch deutliche Spuren, daß er einſt ſchoͤn geweſen war. Sie trug einen weißen Rock, der freilich jetzt ſehr gelb, durchgaͤngig ſehr geflickt, und bei ſolcher Arbeit aͤußerſt ſchmuzig ausſah, aber der Stoff beſtand aus dem feinſten Parchet,

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/170>, abgerufen am 21.11.2024.