Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.Ich. O, ich kann mir dies Gefühl vorstellen, Die Alte. Verzweiflungsvoll! Ja! ja! das Ich. So haben Sie Kinder? Die Alte. (im bittern Tone) Kinder? Ich. Gott im Himmel, wahnsinnig? Die Alte. Die gute, sanfte Karoline konnte Ich. O, ich kann mir dies Gefuͤhl vorſtellen, Die Alte. Verzweiflungsvoll! Ja! ja! das Ich. So haben Sie Kinder? Die Alte. (im bittern Tone) Kinder? Ich. Gott im Himmel, wahnſinnig? Die Alte. Die gute, ſanfte Karoline konnte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0173" n="159"/> <p><hi rendition="#g">Ich</hi>. O, ich kann mir dies Gefuͤhl vorſtellen,<lb/> es muß nagend, es muß verzweiflungsvoll ſeyn.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Alte</hi>. Verzweiflungsvoll! Ja! ja! das<lb/> iſt das wahre Wort! laͤngſt waͤre ich ein Raub<lb/> derſelben geworden, laͤngſt moderte mein elender<lb/> Koͤrper in einem Teiche, wenn nicht andere eben<lb/> ſo ungluͤckliche Geſchoͤpfe meine Huͤlfe forderten!</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Ich</hi>. So haben Sie Kinder?</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Alte. (im bittern Tone)</hi> Kinder?<lb/> Kinder? O Gott, wenn ich mehrere als eins<lb/> haͤtte, dann waͤre mein Ungluͤck graͤnzenlos. Ich<lb/> habe nur eins, und doch hat es mich mehrere<lb/> Thraͤnen gekoſtet, als Sterne am Himmel ſind.<lb/> Ich liebe es, ach, ich liebe es mit ſeltner muͤt-<lb/> terlicher Zaͤrtlichkeit, aber ich muß weinen, wenn<lb/> ich es anblicke. <hi rendition="#g">(meine Hand ergreifend)</hi><lb/> Herr, denken Sie ſich mein Ungluͤck, es iſt erſt<lb/> zwanzig Jahr alt, und doch ſchon wahnſin-<lb/> nig. — —</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Ich</hi>. Gott im Himmel, wahnſinnig?</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Alte</hi>. Die gute, ſanfte Karoline konnte<lb/> mein und ihr Elend nicht ſo ſtandhaft ertragen,<lb/> es raubte ihr das einzige, was man der Armuth<lb/> ſonſt nicht rauben kann, ihren Verſtand. <hi rendition="#g">(wei-<lb/> nend)</hi> Jetzt iſt ihr wohl, ſie fuͤhlt ihr Ungluͤck<lb/> nicht mehr, ſie nagt zufrieden am trocknen Brode,<lb/> das ihre alte Mutter vor den Thuͤren der harther-<lb/> zigen Bauern erbetteln muß. Wie oft habe ich<lb/> Gott gebeten, daß er mir's auch ſo wohl moͤchte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [159/0173]
Ich. O, ich kann mir dies Gefuͤhl vorſtellen,
es muß nagend, es muß verzweiflungsvoll ſeyn.
Die Alte. Verzweiflungsvoll! Ja! ja! das
iſt das wahre Wort! laͤngſt waͤre ich ein Raub
derſelben geworden, laͤngſt moderte mein elender
Koͤrper in einem Teiche, wenn nicht andere eben
ſo ungluͤckliche Geſchoͤpfe meine Huͤlfe forderten!
Ich. So haben Sie Kinder?
Die Alte. (im bittern Tone) Kinder?
Kinder? O Gott, wenn ich mehrere als eins
haͤtte, dann waͤre mein Ungluͤck graͤnzenlos. Ich
habe nur eins, und doch hat es mich mehrere
Thraͤnen gekoſtet, als Sterne am Himmel ſind.
Ich liebe es, ach, ich liebe es mit ſeltner muͤt-
terlicher Zaͤrtlichkeit, aber ich muß weinen, wenn
ich es anblicke. (meine Hand ergreifend)
Herr, denken Sie ſich mein Ungluͤck, es iſt erſt
zwanzig Jahr alt, und doch ſchon wahnſin-
nig. — —
Ich. Gott im Himmel, wahnſinnig?
Die Alte. Die gute, ſanfte Karoline konnte
mein und ihr Elend nicht ſo ſtandhaft ertragen,
es raubte ihr das einzige, was man der Armuth
ſonſt nicht rauben kann, ihren Verſtand. (wei-
nend) Jetzt iſt ihr wohl, ſie fuͤhlt ihr Ungluͤck
nicht mehr, ſie nagt zufrieden am trocknen Brode,
das ihre alte Mutter vor den Thuͤren der harther-
zigen Bauern erbetteln muß. Wie oft habe ich
Gott gebeten, daß er mir's auch ſo wohl moͤchte
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |