Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.zwei Thürme hervor, diese zieren das Schloß, in zwei Thuͤrme hervor, dieſe zieren das Schloß, in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0178" n="164"/> zwei Thuͤrme hervor, dieſe zieren das Schloß, in<lb/> welchem ich gebohren und erzogen wurde. Mein<lb/> Vater war der Beſitzer deſſelben, und Herr dieſer<lb/> großen, anſehnlichen Herrſchaft, ich war die ein-<lb/> zige Frucht ſeiner Ehe, in welcher er ſehr mißver-<lb/> gnuͤgt lebte. Er ſtarb in der Mitte des ſiebenjaͤh-<lb/> rigen Kriegs, und machte mich zur Erbin ſeines<lb/> großen Vermoͤgens, welches in mehr als einer<lb/> halben Million beſtand. Ich war damals acht-<lb/> zehn Jahr alt, und, wie mich wenigſtens alle<lb/> verſicherten, ſehr ſchoͤn. Daß um die Hand einer<lb/> ſo reichen Erbin viele angeſehne und vornehme<lb/> Juͤnglinge buhlten, koͤnnen Sie leicht denken,<lb/> aber obgleich das Schloß ſelten von Freiern leer<lb/> war, ſo geſchah's doch, daß ich durch zwei lange<lb/> Jahre nicht waͤhlte, und immer noch ledig blieb.<lb/> Meine Mutter, welche mich von fruͤher Jugend<lb/> an als eine wahre Tirannin behandelte, mir nie<lb/> einen muͤtterlichen Blick gewaͤhrte, und nun meine<lb/> Vormuͤnderin geworden war, hielt's fuͤr Pflicht,<lb/> ſich ſtets in die Angelegenheiten meines Herzens zu<lb/> miſchen. So oft ein Freier ſich mir nahte, ſo<lb/> oft war ſie auch ſogleich mit ihrem entſcheidenden<lb/> Rathe zugegen. Dieſen, ſprach ſie dann immer,<lb/> kannſt du nehmen, an dieſen oder jenen darfſt du<lb/> aber nicht denken! da nun meine Empfindung nie<lb/> mit der muͤtterlichen harmonirte, da ich immer<lb/> nur denjenigen waͤhlen wollte, an welchen ich<lb/> doch, ihrem Ausſpruche gemaͤß, nie denken ſollte,<lb/> ſo unterblieb auch ganz natuͤrlich jede Heirath.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [164/0178]
zwei Thuͤrme hervor, dieſe zieren das Schloß, in
welchem ich gebohren und erzogen wurde. Mein
Vater war der Beſitzer deſſelben, und Herr dieſer
großen, anſehnlichen Herrſchaft, ich war die ein-
zige Frucht ſeiner Ehe, in welcher er ſehr mißver-
gnuͤgt lebte. Er ſtarb in der Mitte des ſiebenjaͤh-
rigen Kriegs, und machte mich zur Erbin ſeines
großen Vermoͤgens, welches in mehr als einer
halben Million beſtand. Ich war damals acht-
zehn Jahr alt, und, wie mich wenigſtens alle
verſicherten, ſehr ſchoͤn. Daß um die Hand einer
ſo reichen Erbin viele angeſehne und vornehme
Juͤnglinge buhlten, koͤnnen Sie leicht denken,
aber obgleich das Schloß ſelten von Freiern leer
war, ſo geſchah's doch, daß ich durch zwei lange
Jahre nicht waͤhlte, und immer noch ledig blieb.
Meine Mutter, welche mich von fruͤher Jugend
an als eine wahre Tirannin behandelte, mir nie
einen muͤtterlichen Blick gewaͤhrte, und nun meine
Vormuͤnderin geworden war, hielt's fuͤr Pflicht,
ſich ſtets in die Angelegenheiten meines Herzens zu
miſchen. So oft ein Freier ſich mir nahte, ſo
oft war ſie auch ſogleich mit ihrem entſcheidenden
Rathe zugegen. Dieſen, ſprach ſie dann immer,
kannſt du nehmen, an dieſen oder jenen darfſt du
aber nicht denken! da nun meine Empfindung nie
mit der muͤtterlichen harmonirte, da ich immer
nur denjenigen waͤhlen wollte, an welchen ich
doch, ihrem Ausſpruche gemaͤß, nie denken ſollte,
ſo unterblieb auch ganz natuͤrlich jede Heirath.
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