terstützung zu hoffen, und würde sehr klug han- deln, wenn ich auf immer die Residenz und ihr Angesicht meidete. Ich mußte nun meines un- glücklichen Kindes wegen den Bettelstab ergreifen, ich wanderte volle zehn Jahre in vielen Ländern umher, fand immer auf den Schlössern und in den Städten gutherzige Menschen, welche mich nährten und kleideten. Ich sprach hundert Advo- katen über den Prozeß, welchen ich mit meinem Onkel zu führen gedachte, aber keiner wollte mir Beistand leisten, weil meine Güter gerichtlich ver- kauft wurden, und dieses nicht dafür zu haften habe, wenn aus Mangel der Käufer, dieselben auch nur um den halben Werth bezahlt wurden. Meine Tochter war damals funfzehn Jahre alt, ich liebte sie innig und zärtlich, und ward von ihr eben so sehr wieder geliebt. Eine schreckliche Begebenheit, die aber allen Menschen ein Geheim- niß bleiben muß, machte sie Wahnsinnig, und warf mich auf's Krankenlager. Da dies zu Gräz in Steuermark geschah, und die mitleidigen See- len, welche mich bisher ernährt hatten, mich nicht länger bei sich behalten wollten, so ward ich, gleich einer Bettlerin, auf dem Schub nach der Hauptstadt meines Vaterlands verabschikt, von dort führte man mich krank und elend auf meine ehemalige Herrschaft, und empfahl mich der Für- sorge meiner Anverwandten. Meine Mutter war schon seit einigen Jahren gestorben, sie hatte mich vollkommen enterbt, und ihr eigenes Vermögen,
terſtuͤtzung zu hoffen, und wuͤrde ſehr klug han- deln, wenn ich auf immer die Reſidenz und ihr Angeſicht meidete. Ich mußte nun meines un- gluͤcklichen Kindes wegen den Bettelſtab ergreifen, ich wanderte volle zehn Jahre in vielen Laͤndern umher, fand immer auf den Schloͤſſern und in den Staͤdten gutherzige Menſchen, welche mich naͤhrten und kleideten. Ich ſprach hundert Advo- katen uͤber den Prozeß, welchen ich mit meinem Onkel zu fuͤhren gedachte, aber keiner wollte mir Beiſtand leiſten, weil meine Guͤter gerichtlich ver- kauft wurden, und dieſes nicht dafuͤr zu haften habe, wenn aus Mangel der Kaͤufer, dieſelben auch nur um den halben Werth bezahlt wurden. Meine Tochter war damals funfzehn Jahre alt, ich liebte ſie innig und zaͤrtlich, und ward von ihr eben ſo ſehr wieder geliebt. Eine ſchreckliche Begebenheit, die aber allen Menſchen ein Geheim- niß bleiben muß, machte ſie Wahnſinnig, und warf mich auf's Krankenlager. Da dies zu Graͤz in Steuermark geſchah, und die mitleidigen See- len, welche mich bisher ernaͤhrt hatten, mich nicht laͤnger bei ſich behalten wollten, ſo ward ich, gleich einer Bettlerin, auf dem Schub nach der Hauptſtadt meines Vaterlands verabſchikt, von dort fuͤhrte man mich krank und elend auf meine ehemalige Herrſchaft, und empfahl mich der Fuͤr- ſorge meiner Anverwandten. Meine Mutter war ſchon ſeit einigen Jahren geſtorben, ſie hatte mich vollkommen enterbt, und ihr eigenes Vermoͤgen,
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terſtuͤtzung zu hoffen, und wuͤrde ſehr klug han-
deln, wenn ich auf immer die Reſidenz und ihr
Angeſicht meidete. Ich mußte nun meines un-
gluͤcklichen Kindes wegen den Bettelſtab ergreifen,
ich wanderte volle zehn Jahre in vielen Laͤndern
umher, fand immer auf den Schloͤſſern und in
den Staͤdten gutherzige Menſchen, welche mich
naͤhrten und kleideten. Ich ſprach hundert Advo-
katen uͤber den Prozeß, welchen ich mit meinem
Onkel zu fuͤhren gedachte, aber keiner wollte mir
Beiſtand leiſten, weil meine Guͤter gerichtlich ver-
kauft wurden, und dieſes nicht dafuͤr zu haften
habe, wenn aus Mangel der Kaͤufer, dieſelben
auch nur um den halben Werth bezahlt wurden.
Meine Tochter war damals funfzehn Jahre alt,
ich liebte ſie innig und zaͤrtlich, und ward von
ihr eben ſo ſehr wieder geliebt. Eine ſchreckliche
Begebenheit, die aber allen Menſchen ein Geheim-
niß bleiben muß, machte ſie Wahnſinnig, und
warf mich auf's Krankenlager. Da dies zu Graͤz
in Steuermark geſchah, und die mitleidigen See-
len, welche mich bisher ernaͤhrt hatten, mich nicht
laͤnger bei ſich behalten wollten, ſo ward ich,
gleich einer Bettlerin, auf dem Schub nach der
Hauptſtadt meines Vaterlands verabſchikt, von
dort fuͤhrte man mich krank und elend auf meine
ehemalige Herrſchaft, und empfahl mich der Fuͤr-
ſorge meiner Anverwandten. Meine Mutter war
ſchon ſeit einigen Jahren geſtorben, ſie hatte mich
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/212>, abgerufen am 19.02.2025.
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