gut und ehrbar aufgeführt hatte. Wenn sie ihren Verstand hätte, und aufrichtig reden wollte, so müßte sie's selbst gestehen, daß ich ihr alles, was aus diesem Umgange übles entstehen könne, mütterlich vorgestellt habe; aber sie war dazumal ein leichtes, flüchtiges Ding, ließ meine Ermah- nung zu einem Ohre hinein zum andern hinaus- gehen, und saß immer wieder mit ihrem Solda- ten auf der Ofenbank, wenn ich früher als ge- wöhnlich heimkam. Bald hernach kam mein Sohn aus der Fremde zurück, er hatte sich in seinem Handwerke freilich manche Kenntniß, aber kein Geld gesammlet, er hofte sich jetzt zu Hause bes- ser zu ernähren, und hörte mit Wehmuth, daß sein verstorbner Vater der Schwester das Häus- chen vermacht hatte, worauf er seine größte Hof- nung gegründet hatte. Beide waren meine Kin- der, ich wünschte von ganzem Herzen, beide glücklich zu sehen, da aber der Sohn jetzt am er- sten Hülfe bedurfte, so läugne ich's nicht, daß ich oft selbst der Tochter zuredete, sie möchte ihm das Häuschen abtreten. Er konnte in diesem Falle sogleich sein Handwerk treiben, sich wahr- scheinlich bald glücklich verheirathen, und mir Un- terhalt auf meine alten Tage sichern. Anfangs wollte sie von diesem Vorschlage gar nichts hö- ren, berief sich immer auf's väterliche Testament, und versicherte mich, daß ihr Soldat eben so gute Strümpfe wirken, und mich auch ernähren könne. Als aber kurz nachher die Garnison verwechselt
gut und ehrbar aufgefuͤhrt hatte. Wenn ſie ihren Verſtand haͤtte, und aufrichtig reden wollte, ſo muͤßte ſie's ſelbſt geſtehen, daß ich ihr alles, was aus dieſem Umgange uͤbles entſtehen koͤnne, muͤtterlich vorgeſtellt habe; aber ſie war dazumal ein leichtes, fluͤchtiges Ding, ließ meine Ermah- nung zu einem Ohre hinein zum andern hinaus- gehen, und ſaß immer wieder mit ihrem Solda- ten auf der Ofenbank, wenn ich fruͤher als ge- woͤhnlich heimkam. Bald hernach kam mein Sohn aus der Fremde zuruͤck, er hatte ſich in ſeinem Handwerke freilich manche Kenntniß, aber kein Geld geſammlet, er hofte ſich jetzt zu Hauſe beſ- ſer zu ernaͤhren, und hoͤrte mit Wehmuth, daß ſein verſtorbner Vater der Schweſter das Haͤus- chen vermacht hatte, worauf er ſeine groͤßte Hof- nung gegruͤndet hatte. Beide waren meine Kin- der, ich wuͤnſchte von ganzem Herzen, beide gluͤcklich zu ſehen, da aber der Sohn jetzt am er- ſten Huͤlfe bedurfte, ſo laͤugne ich's nicht, daß ich oft ſelbſt der Tochter zuredete, ſie moͤchte ihm das Haͤuschen abtreten. Er konnte in dieſem Falle ſogleich ſein Handwerk treiben, ſich wahr- ſcheinlich bald gluͤcklich verheirathen, und mir Un- terhalt auf meine alten Tage ſichern. Anfangs wollte ſie von dieſem Vorſchlage gar nichts hoͤ- ren, berief ſich immer auf's vaͤterliche Teſtament, und verſicherte mich, daß ihr Soldat eben ſo gute Struͤmpfe wirken, und mich auch ernaͤhren koͤnne. Als aber kurz nachher die Garniſon verwechſelt
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gut und ehrbar aufgefuͤhrt hatte. Wenn ſie ihren
Verſtand haͤtte, und aufrichtig reden wollte, ſo
muͤßte ſie's ſelbſt geſtehen, daß ich ihr alles,
was aus dieſem Umgange uͤbles entſtehen koͤnne,
muͤtterlich vorgeſtellt habe; aber ſie war dazumal
ein leichtes, fluͤchtiges Ding, ließ meine Ermah-
nung zu einem Ohre hinein zum andern hinaus-
gehen, und ſaß immer wieder mit ihrem Solda-
ten auf der Ofenbank, wenn ich fruͤher als ge-
woͤhnlich heimkam. Bald hernach kam mein Sohn
aus der Fremde zuruͤck, er hatte ſich in ſeinem
Handwerke freilich manche Kenntniß, aber kein
Geld geſammlet, er hofte ſich jetzt zu Hauſe beſ-
ſer zu ernaͤhren, und hoͤrte mit Wehmuth, daß
ſein verſtorbner Vater der Schweſter das Haͤus-
chen vermacht hatte, worauf er ſeine groͤßte Hof-
nung gegruͤndet hatte. Beide waren meine Kin-
der, ich wuͤnſchte von ganzem Herzen, beide
gluͤcklich zu ſehen, da aber der Sohn jetzt am er-
ſten Huͤlfe bedurfte, ſo laͤugne ich's nicht, daß ich
oft ſelbſt der Tochter zuredete, ſie moͤchte ihm
das Haͤuschen abtreten. Er konnte in dieſem
Falle ſogleich ſein Handwerk treiben, ſich wahr-
ſcheinlich bald gluͤcklich verheirathen, und mir Un-
terhalt auf meine alten Tage ſichern. Anfangs
wollte ſie von dieſem Vorſchlage gar nichts hoͤ-
ren, berief ſich immer auf's vaͤterliche Teſtament,
und verſicherte mich, daß ihr Soldat eben ſo gute
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/32>, abgerufen am 27.07.2024.
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