Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.wurde, und ihr Geliebter nach der Hauptstadt zu B 2
wurde, und ihr Geliebter nach der Hauptſtadt zu B 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0033" n="19"/> wurde, und ihr Geliebter nach der Hauptſtadt zu<lb/> liegen kam, auch, ungeachtet ſeines Verſpre-<lb/> chens, nichts von ſich hoͤren ließ, da ward ſie un-<lb/> gewoͤhnlich traurig und ſtille, arbeitete zwar im-<lb/> mer, aber nicht mehr ſo fleißig, und verdiente kaum<lb/> dasjenige, was ſie ſelbſt zu ihrer Nahrung brauch-<lb/> te. Ich machte ihr daruͤber Vorwuͤrfe, bewies ihr<lb/> deutlich, daß man ſich auf's Verſprechen der jun-<lb/> gen Soldaten nicht verlaſſen koͤnne, und rieth ihr<lb/> muͤtterlich, ſich in ihr Schickſal zu fuͤgen, und<lb/> denjenigen zu vergeſſen, der ganz gewiß ihrer<lb/> ſchon laͤngſt vergeſſen habe. Sie verſprach Folge<lb/> zu leiſten, weinte aber immer noch im Stillen,<lb/> und weigerte ſich hartnaͤckig, dem Bruder das<lb/> Haͤuschen abzutreten, der es, da ſich eben eine<lb/> Heirath fuͤr ihn fand, hoͤchſt noͤthig brauchte.<lb/> Man ſah aus dieſer Weigerung deutlich, daß ſie<lb/> immer noch auf die Zuruͤckkunft ihres Soldaten<lb/> hofte; da dieſe aber nie erfolgte, ſo war mir's<lb/> lieb und angenehm, wenn ihr der Bruder oft die<lb/> Unmoͤglichkeit zu beweiſen ſuchte. An Oſtern vor<lb/> drei Jahren kam er mit der Nachricht heim, daß<lb/> der ſo lange erwartete Geliebte auf's neue kapi-<lb/> tulirt haͤtte, und kurz nachher, vielleicht aus<lb/> Reue, mit vielen andern deſertirt ſey. Er gab<lb/> vor, daß er dieſe Nachricht aus dem Munde ei-<lb/> nes Fuhrmanns gehoͤrt habe, welcher eben in der<lb/><choice><sic>Hauptſtandt</sic><corr>Hauptſtadt</corr></choice> war, als der Ungluͤckliche wieder zu-<lb/> ruͤck gebracht, und in's Stockhaus gefuͤhrt wurde.<lb/> Meine Tochter hoͤrte dieſe traurige Nachricht mit<lb/> <fw place="bottom" type="sig">B 2</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [19/0033]
wurde, und ihr Geliebter nach der Hauptſtadt zu
liegen kam, auch, ungeachtet ſeines Verſpre-
chens, nichts von ſich hoͤren ließ, da ward ſie un-
gewoͤhnlich traurig und ſtille, arbeitete zwar im-
mer, aber nicht mehr ſo fleißig, und verdiente kaum
dasjenige, was ſie ſelbſt zu ihrer Nahrung brauch-
te. Ich machte ihr daruͤber Vorwuͤrfe, bewies ihr
deutlich, daß man ſich auf's Verſprechen der jun-
gen Soldaten nicht verlaſſen koͤnne, und rieth ihr
muͤtterlich, ſich in ihr Schickſal zu fuͤgen, und
denjenigen zu vergeſſen, der ganz gewiß ihrer
ſchon laͤngſt vergeſſen habe. Sie verſprach Folge
zu leiſten, weinte aber immer noch im Stillen,
und weigerte ſich hartnaͤckig, dem Bruder das
Haͤuschen abzutreten, der es, da ſich eben eine
Heirath fuͤr ihn fand, hoͤchſt noͤthig brauchte.
Man ſah aus dieſer Weigerung deutlich, daß ſie
immer noch auf die Zuruͤckkunft ihres Soldaten
hofte; da dieſe aber nie erfolgte, ſo war mir's
lieb und angenehm, wenn ihr der Bruder oft die
Unmoͤglichkeit zu beweiſen ſuchte. An Oſtern vor
drei Jahren kam er mit der Nachricht heim, daß
der ſo lange erwartete Geliebte auf's neue kapi-
tulirt haͤtte, und kurz nachher, vielleicht aus
Reue, mit vielen andern deſertirt ſey. Er gab
vor, daß er dieſe Nachricht aus dem Munde ei-
nes Fuhrmanns gehoͤrt habe, welcher eben in der
Hauptſtadt war, als der Ungluͤckliche wieder zu-
ruͤck gebracht, und in's Stockhaus gefuͤhrt wurde.
Meine Tochter hoͤrte dieſe traurige Nachricht mit
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