wurde, und ihr Geliebter nach der Hauptstadt zu liegen kam, auch, ungeachtet seines Verspre- chens, nichts von sich hören ließ, da ward sie un- gewöhnlich traurig und stille, arbeitete zwar im- mer, aber nicht mehr so fleißig, und verdiente kaum dasjenige, was sie selbst zu ihrer Nahrung brauch- te. Ich machte ihr darüber Vorwürfe, bewies ihr deutlich, daß man sich auf's Versprechen der jun- gen Soldaten nicht verlassen könne, und rieth ihr mütterlich, sich in ihr Schicksal zu fügen, und denjenigen zu vergessen, der ganz gewiß ihrer schon längst vergessen habe. Sie versprach Folge zu leisten, weinte aber immer noch im Stillen, und weigerte sich hartnäckig, dem Bruder das Häuschen abzutreten, der es, da sich eben eine Heirath für ihn fand, höchst nöthig brauchte. Man sah aus dieser Weigerung deutlich, daß sie immer noch auf die Zurückkunft ihres Soldaten hofte; da diese aber nie erfolgte, so war mir's lieb und angenehm, wenn ihr der Bruder oft die Unmöglichkeit zu beweisen suchte. An Ostern vor drei Jahren kam er mit der Nachricht heim, daß der so lange erwartete Geliebte auf's neue kapi- tulirt hätte, und kurz nachher, vielleicht aus Reue, mit vielen andern desertirt sey. Er gab vor, daß er diese Nachricht aus dem Munde ei- nes Fuhrmanns gehört habe, welcher eben in der Hauptstadt war, als der Unglückliche wieder zu- rück gebracht, und in's Stockhaus geführt wurde. Meine Tochter hörte diese traurige Nachricht mit
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wurde, und ihr Geliebter nach der Hauptſtadt zu liegen kam, auch, ungeachtet ſeines Verſpre- chens, nichts von ſich hoͤren ließ, da ward ſie un- gewoͤhnlich traurig und ſtille, arbeitete zwar im- mer, aber nicht mehr ſo fleißig, und verdiente kaum dasjenige, was ſie ſelbſt zu ihrer Nahrung brauch- te. Ich machte ihr daruͤber Vorwuͤrfe, bewies ihr deutlich, daß man ſich auf's Verſprechen der jun- gen Soldaten nicht verlaſſen koͤnne, und rieth ihr muͤtterlich, ſich in ihr Schickſal zu fuͤgen, und denjenigen zu vergeſſen, der ganz gewiß ihrer ſchon laͤngſt vergeſſen habe. Sie verſprach Folge zu leiſten, weinte aber immer noch im Stillen, und weigerte ſich hartnaͤckig, dem Bruder das Haͤuschen abzutreten, der es, da ſich eben eine Heirath fuͤr ihn fand, hoͤchſt noͤthig brauchte. Man ſah aus dieſer Weigerung deutlich, daß ſie immer noch auf die Zuruͤckkunft ihres Soldaten hofte; da dieſe aber nie erfolgte, ſo war mir's lieb und angenehm, wenn ihr der Bruder oft die Unmoͤglichkeit zu beweiſen ſuchte. An Oſtern vor drei Jahren kam er mit der Nachricht heim, daß der ſo lange erwartete Geliebte auf's neue kapi- tulirt haͤtte, und kurz nachher, vielleicht aus Reue, mit vielen andern deſertirt ſey. Er gab vor, daß er dieſe Nachricht aus dem Munde ei- nes Fuhrmanns gehoͤrt habe, welcher eben in der Hauptſtadt war, als der Ungluͤckliche wieder zu- ruͤck gebracht, und in's Stockhaus gefuͤhrt wurde. Meine Tochter hoͤrte dieſe traurige Nachricht mit
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wurde, und ihr Geliebter nach der Hauptſtadt zu
liegen kam, auch, ungeachtet ſeines Verſpre-
chens, nichts von ſich hoͤren ließ, da ward ſie un-
gewoͤhnlich traurig und ſtille, arbeitete zwar im-
mer, aber nicht mehr ſo fleißig, und verdiente kaum
dasjenige, was ſie ſelbſt zu ihrer Nahrung brauch-
te. Ich machte ihr daruͤber Vorwuͤrfe, bewies ihr
deutlich, daß man ſich auf's Verſprechen der jun-
gen Soldaten nicht verlaſſen koͤnne, und rieth ihr
muͤtterlich, ſich in ihr Schickſal zu fuͤgen, und
denjenigen zu vergeſſen, der ganz gewiß ihrer
ſchon laͤngſt vergeſſen habe. Sie verſprach Folge
zu leiſten, weinte aber immer noch im Stillen,
und weigerte ſich hartnaͤckig, dem Bruder das
Haͤuschen abzutreten, der es, da ſich eben eine
Heirath fuͤr ihn fand, hoͤchſt noͤthig brauchte.
Man ſah aus dieſer Weigerung deutlich, daß ſie
immer noch auf die Zuruͤckkunft ihres Soldaten
hofte; da dieſe aber nie erfolgte, ſo war mir's
lieb und angenehm, wenn ihr der Bruder oft die
Unmoͤglichkeit zu beweiſen ſuchte. An Oſtern vor
drei Jahren kam er mit der Nachricht heim, daß
der ſo lange erwartete Geliebte auf's neue kapi-
tulirt haͤtte, und kurz nachher, vielleicht aus
Reue, mit vielen andern deſertirt ſey. Er gab
vor, daß er dieſe Nachricht aus dem Munde ei-
nes Fuhrmanns gehoͤrt habe, welcher eben in der
Hauptſtadt war, als der Ungluͤckliche wieder zu-
ruͤck gebracht, und in's Stockhaus gefuͤhrt wurde.
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/33>, abgerufen am 27.07.2024.
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