Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.Entsetzen, sie sprach kein Wort, weinte aber die Entſetzen, ſie ſprach kein Wort, weinte aber die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0034" n="20"/> Entſetzen, ſie ſprach kein Wort, weinte aber die<lb/> ganze Nacht bitterlich, und erregte durch ihr<lb/> Schluchzen mein Mitleid. Ich hielt gleich An-<lb/> fangs die ganze Erzaͤhlung meines Sohnes fuͤr<lb/> Erdichtung, und ſprach am Morgen deswegen<lb/> hart mit ihm, weil er mir und ſeiner Schweſter<lb/> ſo unverdiente Kraͤnkung mache; aber er behaup-<lb/> tete ſeine Ausſage, und fuͤhrte kurz darauf den<lb/> Fuhrmann ſelbſt in unſere Stube, der alles be-<lb/> ſtaͤtigte, und noch hinzufuͤgte, daß der Entflohne<lb/> wohl ſchwerlich mit dem Leben davon kommen<lb/> wuͤrde, weil er ſich bei ſeiner Gefangennehmung<lb/> widerſetzt, und einige Bauern ſchwer verwundet<lb/> habe. Kaͤtchen hatte ſich eben an ihren Spinn-<lb/> rocken geſetzt, als er dies erzaͤhlte; wie ich den<lb/> Mann hinausbegleitete, und ingeheim noch ein-<lb/> mal nach ſicherer Nachricht forſchen wollte, hoͤrte<lb/> ich in der Stube einen Fall, ich ſprang hinein,<lb/> und meine Tochter lag ohnmaͤchtig am Boden.<lb/> Sie muß durch dieſen ungluͤcklichen Fall ſich et-<lb/> was im Gehirne verletzt haben, denn von dieſer<lb/> Zeit an war's nicht mehr richtig mit ihr. Ich<lb/> ſchleppte ſie auf's Bette, ſie ſprach ſogleich irre,<lb/> ſah mich fuͤr den Soldaten an, und nahm ſo<lb/> ruͤhrend von mir Abſchied, daß ich ſelbſt mit<lb/> weinen mußte. Am Mittage bewegte ich ſie<lb/> doch, ſich mit uns zu Tiſche zu ſetzen, ihr Bru-<lb/> der lenkte das Geſpraͤch auf's Haͤuschen, und ſie<lb/> war ſogleich willig, es ihm abzutreten. Ich muß<lb/> noch weinen, wenn ich daran denke: Gott ſchenke<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [20/0034]
Entſetzen, ſie ſprach kein Wort, weinte aber die
ganze Nacht bitterlich, und erregte durch ihr
Schluchzen mein Mitleid. Ich hielt gleich An-
fangs die ganze Erzaͤhlung meines Sohnes fuͤr
Erdichtung, und ſprach am Morgen deswegen
hart mit ihm, weil er mir und ſeiner Schweſter
ſo unverdiente Kraͤnkung mache; aber er behaup-
tete ſeine Ausſage, und fuͤhrte kurz darauf den
Fuhrmann ſelbſt in unſere Stube, der alles be-
ſtaͤtigte, und noch hinzufuͤgte, daß der Entflohne
wohl ſchwerlich mit dem Leben davon kommen
wuͤrde, weil er ſich bei ſeiner Gefangennehmung
widerſetzt, und einige Bauern ſchwer verwundet
habe. Kaͤtchen hatte ſich eben an ihren Spinn-
rocken geſetzt, als er dies erzaͤhlte; wie ich den
Mann hinausbegleitete, und ingeheim noch ein-
mal nach ſicherer Nachricht forſchen wollte, hoͤrte
ich in der Stube einen Fall, ich ſprang hinein,
und meine Tochter lag ohnmaͤchtig am Boden.
Sie muß durch dieſen ungluͤcklichen Fall ſich et-
was im Gehirne verletzt haben, denn von dieſer
Zeit an war's nicht mehr richtig mit ihr. Ich
ſchleppte ſie auf's Bette, ſie ſprach ſogleich irre,
ſah mich fuͤr den Soldaten an, und nahm ſo
ruͤhrend von mir Abſchied, daß ich ſelbſt mit
weinen mußte. Am Mittage bewegte ich ſie
doch, ſich mit uns zu Tiſche zu ſetzen, ihr Bru-
der lenkte das Geſpraͤch auf's Haͤuschen, und ſie
war ſogleich willig, es ihm abzutreten. Ich muß
noch weinen, wenn ich daran denke: Gott ſchenke
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