dir die Freuden, sagte sie zu ihm, die ich in die- sem Häuschen zu genießen hofte, und du wirst gewiß recht glücklich und zufrieden darinne leben! Sie arbeitete die folgenden Tage nicht, und brachte sie meistens in der Kirche betend zu, ich war mit der nahen Hochzeit meines Sohnes be- schäftigt, und konnte sie nicht immer beobachten. Am Abende vor dieser vermißte ich sie erst spät, suchte sie in allen Häusern vergebens, und mußte die Nacht hindurch trostlos um sie jammern. Früh, als der Tag graute, gieng ich wieder nach ihr umher. Gott weis, wie mir dazumal zu Muthe war, ich beweinte sie schon als todt, und suchte ihren Leichnam an der Eger. Einige Kin- der versicherten mich, daß sie solche am späten Abende auf dem Galgenberge gesehen hätten, ich eilte dahin, und fand sie mitten unter den Grä- bern auf der Erde liegend, sie war mehr todt als lebendig, ihre rothen Augen bewiesen deutlich, daß sie die ganze Nacht geweint hatte. Sie kannte mich nicht, sprach ganz irre, und behaup- tete, daß man ihren Geliebten erschossen, und unter den Galgen begraben habe. Möglich und wahrscheinlich ist, daß ihr vielleicht irgend ein lo- ser Bube diese Nachricht, welche sich nie bestätig- te, erzählt hatte, denn wenn ich sie eines andern überreden wollte, so sagte sie immer: Er hat mir's ja erzählt! Er hat's beschworen! Ich brachte sie nur mit Mühe heim, ich mußte sie bald hernach zu einer Verwandtin führen, weil
dir die Freuden, ſagte ſie zu ihm, die ich in die- ſem Haͤuschen zu genießen hofte, und du wirſt gewiß recht gluͤcklich und zufrieden darinne leben! Sie arbeitete die folgenden Tage nicht, und brachte ſie meiſtens in der Kirche betend zu, ich war mit der nahen Hochzeit meines Sohnes be- ſchaͤftigt, und konnte ſie nicht immer beobachten. Am Abende vor dieſer vermißte ich ſie erſt ſpaͤt, ſuchte ſie in allen Haͤuſern vergebens, und mußte die Nacht hindurch troſtlos um ſie jammern. Fruͤh, als der Tag graute, gieng ich wieder nach ihr umher. Gott weis, wie mir dazumal zu Muthe war, ich beweinte ſie ſchon als todt, und ſuchte ihren Leichnam an der Eger. Einige Kin- der verſicherten mich, daß ſie ſolche am ſpaͤten Abende auf dem Galgenberge geſehen haͤtten, ich eilte dahin, und fand ſie mitten unter den Graͤ- bern auf der Erde liegend, ſie war mehr todt als lebendig, ihre rothen Augen bewieſen deutlich, daß ſie die ganze Nacht geweint hatte. Sie kannte mich nicht, ſprach ganz irre, und behaup- tete, daß man ihren Geliebten erſchoſſen, und unter den Galgen begraben habe. Moͤglich und wahrſcheinlich iſt, daß ihr vielleicht irgend ein lo- ſer Bube dieſe Nachricht, welche ſich nie beſtaͤtig- te, erzaͤhlt hatte, denn wenn ich ſie eines andern uͤberreden wollte, ſo ſagte ſie immer: Er hat mir's ja erzaͤhlt! Er hat's beſchworen! Ich brachte ſie nur mit Muͤhe heim, ich mußte ſie bald hernach zu einer Verwandtin fuͤhren, weil
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dir die Freuden, ſagte ſie zu ihm, die ich in die-
ſem Haͤuschen zu genießen hofte, und du wirſt
gewiß recht gluͤcklich und zufrieden darinne leben!
Sie arbeitete die folgenden Tage nicht, und
brachte ſie meiſtens in der Kirche betend zu, ich
war mit der nahen Hochzeit meines Sohnes be-
ſchaͤftigt, und konnte ſie nicht immer beobachten.
Am Abende vor dieſer vermißte ich ſie erſt ſpaͤt,
ſuchte ſie in allen Haͤuſern vergebens, und mußte
die Nacht hindurch troſtlos um ſie jammern.
Fruͤh, als der Tag graute, gieng ich wieder nach
ihr umher. Gott weis, wie mir dazumal zu
Muthe war, ich beweinte ſie ſchon als todt, und
ſuchte ihren Leichnam an der Eger. Einige Kin-
der verſicherten mich, daß ſie ſolche am ſpaͤten
Abende auf dem Galgenberge geſehen haͤtten, ich
eilte dahin, und fand ſie mitten unter den Graͤ-
bern auf der Erde liegend, ſie war mehr todt als
lebendig, ihre rothen Augen bewieſen deutlich,
daß ſie die ganze Nacht geweint hatte. Sie
kannte mich nicht, ſprach ganz irre, und behaup-
tete, daß man ihren Geliebten erſchoſſen, und
unter den Galgen begraben habe. Moͤglich und
wahrſcheinlich iſt, daß ihr vielleicht irgend ein lo-
ſer Bube dieſe Nachricht, welche ſich nie beſtaͤtig-
te, erzaͤhlt hatte, denn wenn ich ſie eines andern
uͤberreden wollte, ſo ſagte ſie immer: Er hat
mir's ja erzaͤhlt! Er hat's beſchworen! Ich
brachte ſie nur mit Muͤhe heim, ich mußte ſie
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/35>, abgerufen am 27.07.2024.
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