sie die Hochzeitmusik nicht hören konnte, und darüber ganz rasend wurde: Von dieser Zeit an ist's mit ihr so, wie Sie solche jetzt sehen, ge- blieben, bald schlimmer, bald auch etwas besser. Manchmal arbeitet sie einige Tage anhaltend und fleißig, manche Woche auch gar nichts, und da geht mir's sehr hart, weil ich nicht so viel ver- dienen kann, als wir zu unserm nothwendigen Unterhalte brauchen.
Ich. Ernährt sie und euch denn nicht der Bruder, es ist ja seine Schuldigkeit?
Die Alte. Lieber Gott, wo soll er's herneh- men, wenn er's auch thun wollte. Das Hand- werk geht jetzt sehr schlecht, er hat vollauf zu streiten, um sein Weib und seine zwei kleine Kin- der zu ernähren, er kann uns mit nichts unter- stützen. Bekäme ich nicht als eine arme Bür- gersfrau alle Wochen einige Groschen aus dem Spitale, so müßten wir oft hungrig schlafen gehen.
Ich. Aber die Aermste klagte vorhin, daß er sie unbarmherzig peitschte, dies sollte er doch nicht thun, und ihr eben so wenig zulassen.
Die Alte. Es thut dem mütterlichen Herzen sehr weh, wenn es zu diesem letzten Mittel schrei- ten muß. Aber, lieber Herr, Hunger thut auch weh! Wenn sie so eine ganze Woche im Bette liegt, oder umher schlendert, stärker als mancher Holzhauer ißt, und doch nichts arbeiten will, da
ſie die Hochzeitmuſik nicht hoͤren konnte, und daruͤber ganz raſend wurde: Von dieſer Zeit an iſt's mit ihr ſo, wie Sie ſolche jetzt ſehen, ge- blieben, bald ſchlimmer, bald auch etwas beſſer. Manchmal arbeitet ſie einige Tage anhaltend und fleißig, manche Woche auch gar nichts, und da geht mir's ſehr hart, weil ich nicht ſo viel ver- dienen kann, als wir zu unſerm nothwendigen Unterhalte brauchen.
Ich. Ernaͤhrt ſie und euch denn nicht der Bruder, es iſt ja ſeine Schuldigkeit?
Die Alte. Lieber Gott, wo ſoll er's herneh- men, wenn er's auch thun wollte. Das Hand- werk geht jetzt ſehr ſchlecht, er hat vollauf zu ſtreiten, um ſein Weib und ſeine zwei kleine Kin- der zu ernaͤhren, er kann uns mit nichts unter- ſtuͤtzen. Bekaͤme ich nicht als eine arme Buͤr- gersfrau alle Wochen einige Groſchen aus dem Spitale, ſo muͤßten wir oft hungrig ſchlafen gehen.
Ich. Aber die Aermſte klagte vorhin, daß er ſie unbarmherzig peitſchte, dies ſollte er doch nicht thun, und ihr eben ſo wenig zulaſſen.
Die Alte. Es thut dem muͤtterlichen Herzen ſehr weh, wenn es zu dieſem letzten Mittel ſchrei- ten muß. Aber, lieber Herr, Hunger thut auch weh! Wenn ſie ſo eine ganze Woche im Bette liegt, oder umher ſchlendert, ſtaͤrker als mancher Holzhauer ißt, und doch nichts arbeiten will, da
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ſie die Hochzeitmuſik nicht hoͤren konnte, und
daruͤber ganz raſend wurde: Von dieſer Zeit an
iſt's mit ihr ſo, wie Sie ſolche jetzt ſehen, ge-
blieben, bald ſchlimmer, bald auch etwas beſſer.
Manchmal arbeitet ſie einige Tage anhaltend und
fleißig, manche Woche auch gar nichts, und da
geht mir's ſehr hart, weil ich nicht ſo viel ver-
dienen kann, als wir zu unſerm nothwendigen
Unterhalte brauchen.
Ich. Ernaͤhrt ſie und euch denn nicht der
Bruder, es iſt ja ſeine Schuldigkeit?
Die Alte. Lieber Gott, wo ſoll er's herneh-
men, wenn er's auch thun wollte. Das Hand-
werk geht jetzt ſehr ſchlecht, er hat vollauf zu
ſtreiten, um ſein Weib und ſeine zwei kleine Kin-
der zu ernaͤhren, er kann uns mit nichts unter-
ſtuͤtzen. Bekaͤme ich nicht als eine arme Buͤr-
gersfrau alle Wochen einige Groſchen aus dem
Spitale, ſo muͤßten wir oft hungrig ſchlafen
gehen.
Ich. Aber die Aermſte klagte vorhin, daß er
ſie unbarmherzig peitſchte, dies ſollte er doch
nicht thun, und ihr eben ſo wenig zulaſſen.
Die Alte. Es thut dem muͤtterlichen Herzen
ſehr weh, wenn es zu dieſem letzten Mittel ſchrei-
ten muß. Aber, lieber Herr, Hunger thut auch
weh! Wenn ſie ſo eine ganze Woche im Bette
liegt, oder umher ſchlendert, ſtaͤrker als mancher
Holzhauer ißt, und doch nichts arbeiten will, da
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/36>, abgerufen am 27.07.2024.
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