Gesicht der Alten, mit welchem sie ihre Hände faltete, der langsame Athemzug, mit welchem sich ein tiefer Seufzer von ihrer Brust lößte, schien mir im Voraus die Gewißheit ihres Todes zu verkündigen, aber ich betrog mich diesmal ganz. Ach, Gott, sprach die Alte, sie lebt noch immer! Ihr Elend verbittert mir noch stets meine alten Tage, die sich, wenn Jammer und Kummer sie anders verkürzen, bald enden müssen.
Ich. Wo ist sie denn? Gewiß nicht zu Hause?
Die Alte. (nach einem Winkel hin- zeigend) da sitzt sie ja, und verzehrt eben ihr Morgenbrod! Komm her, Käthe, und bewill- komm den Herrn!
Eine schlecht gekleidete Gestalt erhob sich nun aus dem Winkel und trat näher, sie hielte in ih- rer gelben Hand ein Stück schwarzes Brod, indeß ihr welkes, bleiches Gesicht daran kaute, und mich mit einem verzerrten Lächeln grüßte.
Ich. Unmöglich, das ist nicht Kätchen!
Die Alte. Ach, leider, ist sie's! (im bit- tern Tone) Ja, Herr! So kann Kummer und Elend arbeiten, so kann's zernichten, was Gott selbst wohl gemacht nannte! (mit der Hand in der Stube umherzeigend) Sie sehen hier die Werkstätte des Jammers, (auf Kätchen deutend) und dies ist sein Meister- stück. -- -- Ich fand keine Worte, meine Ver-
Geſicht der Alten, mit welchem ſie ihre Haͤnde faltete, der langſame Athemzug, mit welchem ſich ein tiefer Seufzer von ihrer Bruſt loͤßte, ſchien mir im Voraus die Gewißheit ihres Todes zu verkuͤndigen, aber ich betrog mich diesmal ganz. Ach, Gott, ſprach die Alte, ſie lebt noch immer! Ihr Elend verbittert mir noch ſtets meine alten Tage, die ſich, wenn Jammer und Kummer ſie anders verkuͤrzen, bald enden muͤſſen.
Ich. Wo iſt ſie denn? Gewiß nicht zu Hauſe?
Die Alte. (nach einem Winkel hin- zeigend) da ſitzt ſie ja, und verzehrt eben ihr Morgenbrod! Komm her, Kaͤthe, und bewill- komm den Herrn!
Eine ſchlecht gekleidete Geſtalt erhob ſich nun aus dem Winkel und trat naͤher, ſie hielte in ih- rer gelben Hand ein Stuͤck ſchwarzes Brod, indeß ihr welkes, bleiches Geſicht daran kaute, und mich mit einem verzerrten Laͤcheln gruͤßte.
Ich. Unmoͤglich, das iſt nicht Kaͤtchen!
Die Alte. Ach, leider, iſt ſie's! (im bit- tern Tone) Ja, Herr! So kann Kummer und Elend arbeiten, ſo kann's zernichten, was Gott ſelbſt wohl gemacht nannte! (mit der Hand in der Stube umherzeigend) Sie ſehen hier die Werkſtaͤtte des Jammers, (auf Kaͤtchen deutend) und dies iſt ſein Meiſter- ſtuͤck. — — Ich fand keine Worte, meine Ver-
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Geſicht der Alten, mit welchem ſie ihre Haͤnde
faltete, der langſame Athemzug, mit welchem ſich
ein tiefer Seufzer von ihrer Bruſt loͤßte, ſchien
mir im Voraus die Gewißheit ihres Todes zu
verkuͤndigen, aber ich betrog mich diesmal ganz.
Ach, Gott, ſprach die Alte, ſie lebt noch immer!
Ihr Elend verbittert mir noch ſtets meine alten
Tage, die ſich, wenn Jammer und Kummer ſie
anders verkuͤrzen, bald enden muͤſſen.
Ich. Wo iſt ſie denn? Gewiß nicht zu
Hauſe?
Die Alte. (nach einem Winkel hin-
zeigend) da ſitzt ſie ja, und verzehrt eben ihr
Morgenbrod! Komm her, Kaͤthe, und bewill-
komm den Herrn!
Eine ſchlecht gekleidete Geſtalt erhob ſich nun
aus dem Winkel und trat naͤher, ſie hielte in ih-
rer gelben Hand ein Stuͤck ſchwarzes Brod, indeß
ihr welkes, bleiches Geſicht daran kaute, und
mich mit einem verzerrten Laͤcheln gruͤßte.
Ich. Unmoͤglich, das iſt nicht Kaͤtchen!
Die Alte. Ach, leider, iſt ſie's! (im bit-
tern Tone) Ja, Herr! So kann Kummer
und Elend arbeiten, ſo kann's zernichten, was
Gott ſelbſt wohl gemacht nannte! (mit der
Hand in der Stube umherzeigend) Sie
ſehen hier die Werkſtaͤtte des Jammers, (auf
Kaͤtchen deutend) und dies iſt ſein Meiſter-
ſtuͤck. — — Ich fand keine Worte, meine Ver-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/42>, abgerufen am 27.07.2024.
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