Herr des Schlosses, können Sie besser urtheilen: ob die Ferne Sie getäuscht hat? Sie behaupte- ten einstimmig, daß dieser Mann dem Porträte Kaiser Karls des Vierten äusserst ähnlich sähe, entscheiden Sie nun! -- Diese Lockspeise war für den Aermsten zu reizend, er erregte mein ganzes Mitleid, als er sogleich die tiefdenkende Forschers- miene in eine lächelnde verwandelte, sich aufrecht stellte, und, indem er seinen Kopf rechts und links drehte, unser Urtheil zu fordern schien.
Einige aus der Gesellschaft. Nein, wir haben uns nicht betrogen! Er sieht ihm voll- kommen ähnlich!
Andre. Vollkommen! Vollkommen!
Der graue Mann. (mit äusserstem Wohlgefallen umherblickend) Glaub's gerne! (mit geheimnißvoller Miene) denn es hat seine wichtigen Gründe, und ein Ding, das seine wichtigen Gründe hat, muß auch wichtige Wahrheiten enthalten. (auf's neue umherblickend) Ich weiß nicht; ob Sie mich verstanden haben.
Einige. Vollkommen! Vollkommen!
Der graue Mann. Nun daher kommt's, daß ich zwar ein armer Schneider bin, aber doch Karl dem Vierten ähnlich sehe. (er lehnte sich wieder an die Wand, und versank in tiefes Nachdenken)
Herr des Schloſſes, koͤnnen Sie beſſer urtheilen: ob die Ferne Sie getaͤuſcht hat? Sie behaupte- ten einſtimmig, daß dieſer Mann dem Portraͤte Kaiſer Karls des Vierten aͤuſſerſt aͤhnlich ſaͤhe, entſcheiden Sie nun! — Dieſe Lockſpeiſe war fuͤr den Aermſten zu reizend, er erregte mein ganzes Mitleid, als er ſogleich die tiefdenkende Forſchers- miene in eine laͤchelnde verwandelte, ſich aufrecht ſtellte, und, indem er ſeinen Kopf rechts und links drehte, unſer Urtheil zu fordern ſchien.
Einige aus der Geſellſchaft. Nein, wir haben uns nicht betrogen! Er ſieht ihm voll- kommen aͤhnlich!
Andre. Vollkommen! Vollkommen!
Der graue Mann. (mit aͤuſſerſtem Wohlgefallen umherblickend) Glaub's gerne! (mit geheimnißvoller Miene) denn es hat ſeine wichtigen Gruͤnde, und ein Ding, das ſeine wichtigen Gruͤnde hat, muß auch wichtige Wahrheiten enthalten. (auf's neue umherblickend) Ich weiß nicht; ob Sie mich verſtanden haben.
Einige. Vollkommen! Vollkommen!
Der graue Mann. Nun daher kommt's, daß ich zwar ein armer Schneider bin, aber doch Karl dem Vierten aͤhnlich ſehe. (er lehnte ſich wieder an die Wand, und verſank in tiefes Nachdenken)
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Herr des Schloſſes, koͤnnen Sie beſſer urtheilen:
ob die Ferne Sie getaͤuſcht hat? Sie behaupte-
ten einſtimmig, daß dieſer Mann dem Portraͤte
Kaiſer Karls des Vierten aͤuſſerſt aͤhnlich ſaͤhe,
entſcheiden Sie nun! — Dieſe Lockſpeiſe war fuͤr
den Aermſten zu reizend, er erregte mein ganzes
Mitleid, als er ſogleich die tiefdenkende Forſchers-
miene in eine laͤchelnde verwandelte, ſich aufrecht
ſtellte, und, indem er ſeinen Kopf rechts und
links drehte, unſer Urtheil zu fordern ſchien.
Einige aus der Geſellſchaft. Nein,
wir haben uns nicht betrogen! Er ſieht ihm voll-
kommen aͤhnlich!
Andre. Vollkommen! Vollkommen!
Der graue Mann. (mit aͤuſſerſtem
Wohlgefallen umherblickend) Glaub's
gerne! (mit geheimnißvoller Miene)
denn es hat ſeine wichtigen Gruͤnde, und ein
Ding, das ſeine wichtigen Gruͤnde hat, muß auch
wichtige Wahrheiten enthalten. (auf's neue
umherblickend) Ich weiß nicht; ob Sie
mich verſtanden haben.
Einige. Vollkommen! Vollkommen!
Der graue Mann. Nun daher kommt's,
daß ich zwar ein armer Schneider bin, aber doch
Karl dem Vierten aͤhnlich ſehe. (er lehnte ſich
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/55>, abgerufen am 16.02.2025.
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