Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.und Kummer niedergedrückt, an dieser Stätte er- und Kummer niedergedruͤckt, an dieſer Staͤtte er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0088" n="74"/> und Kummer niedergedruͤckt, an dieſer Staͤtte er-<lb/> ſcheinen, darf's nicht wagen, meine Augen zu<lb/> Gott zu erheben, muß reumuͤthig an meine Bruſt<lb/> klopfen, und demuͤthig ausrufen: Gott ſei mir<lb/> Suͤnder gnaͤdig! Ich kann nicht mehr, andaͤch-<lb/> tige Zuhoͤrer, in euer Auge vertrauend blicken,<lb/> tiefe Schaam feſſelt das meinige am Boden, weil<lb/> ich euch Aergerniß gab, weil ich verdient habe,<lb/> daß man einen Muͤhlſtein an meinen Hals haͤnge,<lb/> und mich im Meere verſenkte, wo es am tiefſten<lb/> iſt. Oft, liebe Hausvaͤter und Muͤtter, habe ich<lb/> eure wenige Wachſamkeit, mit welcher ihr eure<lb/> Kinder erzogt, in heftigen Worten getadelt, jetzt<lb/> muß ich mich dieſes Verbrechens bei euch ankla-<lb/> gen, muß ausrufen: Schaͤndlicher Vater! du<lb/> haſt's geduldet, als deine Tochter buhlte, du<lb/> haſt ruhig geſchlafen, als ſie deinen und ihren<lb/> Ruf entehrte, als ſie dem Volke Aergerniß gab!<lb/> Dir wird es ſchwer werden, deine Nachlaͤſſigkeit<lb/> vor Gottes Throne zu verantworten, du kannſt<lb/> nun nicht mehr freudig vor ihn hintreten und<lb/> ſagen: Herr, hier bin ich, und diejenigen, die<lb/> du mir gegeben haſt! Oft, liebe Jungfrauen und<lb/> Juͤnglinge, habe ich euch ermahnt, auf dem Pfa-<lb/> de der Ehre und Tugend zu wandeln! Oft habe<lb/> ich in ſtrengen Worten eure unſchuldigen Luſtbar-<lb/> keiten getadelt, ſie im heiligen Eifer den Reiz zur<lb/> Suͤnde, den Anfang des Laſters genannt: jetzt<lb/> muß ich ſchweigen, denn der Blick auf mein ge-<lb/> fallnes Kind wuͤrde mich erinnern, daß ich ſtraf-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [74/0088]
und Kummer niedergedruͤckt, an dieſer Staͤtte er-
ſcheinen, darf's nicht wagen, meine Augen zu
Gott zu erheben, muß reumuͤthig an meine Bruſt
klopfen, und demuͤthig ausrufen: Gott ſei mir
Suͤnder gnaͤdig! Ich kann nicht mehr, andaͤch-
tige Zuhoͤrer, in euer Auge vertrauend blicken,
tiefe Schaam feſſelt das meinige am Boden, weil
ich euch Aergerniß gab, weil ich verdient habe,
daß man einen Muͤhlſtein an meinen Hals haͤnge,
und mich im Meere verſenkte, wo es am tiefſten
iſt. Oft, liebe Hausvaͤter und Muͤtter, habe ich
eure wenige Wachſamkeit, mit welcher ihr eure
Kinder erzogt, in heftigen Worten getadelt, jetzt
muß ich mich dieſes Verbrechens bei euch ankla-
gen, muß ausrufen: Schaͤndlicher Vater! du
haſt's geduldet, als deine Tochter buhlte, du
haſt ruhig geſchlafen, als ſie deinen und ihren
Ruf entehrte, als ſie dem Volke Aergerniß gab!
Dir wird es ſchwer werden, deine Nachlaͤſſigkeit
vor Gottes Throne zu verantworten, du kannſt
nun nicht mehr freudig vor ihn hintreten und
ſagen: Herr, hier bin ich, und diejenigen, die
du mir gegeben haſt! Oft, liebe Jungfrauen und
Juͤnglinge, habe ich euch ermahnt, auf dem Pfa-
de der Ehre und Tugend zu wandeln! Oft habe
ich in ſtrengen Worten eure unſchuldigen Luſtbar-
keiten getadelt, ſie im heiligen Eifer den Reiz zur
Suͤnde, den Anfang des Laſters genannt: jetzt
muß ich ſchweigen, denn der Blick auf mein ge-
fallnes Kind wuͤrde mich erinnern, daß ich ſtraf-
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