Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.nes Kindes, auch er schluchzte, und konnte nur Der getröstete Vater schlich nun nach der Sa- nes Kindes, auch er ſchluchzte, und konnte nur Der getroͤſtete Vater ſchlich nun nach der Sa- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0091" n="77"/> nes Kindes, auch er ſchluchzte, und konnte nur<lb/> Vergebung ſtammlen, die aber ſein Herz willig<lb/> zu geben ſchien. Mit aller Kraft, die der armen<lb/> Leidenden noch moͤglich war, riß ſie ſich jetzt aus<lb/> den Armen der Weiber empor, und ſtreckte ihre<lb/> Haͤnde flehend gegen die ganze Gemeinde. Ver-<lb/> gebt, verzeiht auch ihr, ſprach ſie, und laßt dem<lb/> ſchuldloſen Vater mein Verbrechen nicht entgelten.<lb/> Nein, nein! rief abermals die ganze Gemeinde.<lb/> Fluch treffe den, ſprach ein alter Bauer, der ihr<lb/> und ihm den geringſten Vorwurf macht! Fluch!<lb/> Fluch treffe ihn! ſchrien alle.</p><lb/> <p>Der getroͤſtete Vater ſchlich nun nach der Sa-<lb/> kriſtei, der alte, taube Schulmeiſter, welcher<lb/> wahrſcheinlich von der herzangreifenden Szene<lb/> nichts verſtanden hatte, ſtimmte ein neues Lied an,<lb/> aber niemand war vermoͤgend mitzuſingen. Der<lb/> Gottesdienſt ſchloß ſich mit dem angenehmſten Op-<lb/> fer, mit Verſoͤhnung und Vergebung. Es war<lb/> ruͤhrend anzuſehen, wie jetzt die Weiber und Jung-<lb/> frauen die Leidende in ihrer Mitte nach Hauſe<lb/> fuͤhrten, wie die Maͤnner und Juͤnglinge ihren<lb/> alten Seelenhirten umgaben, ihn nochmals treu-<lb/> herzig ihrer vollen Liebe verſicherten, und auch<lb/> mit ihm nach der Pfarre zogen. Da Lottchen<lb/> ſchon unterwegs ohnmaͤchtig ward, ſo fuͤhrten ſie<lb/> die Weiber nach ihrer Kammer, und wachten von<lb/> nun an abwechſelnd an ihrem Krankenlager. Am<lb/> andern Morgen giengen zahlreiche Deputirte nach<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [77/0091]
nes Kindes, auch er ſchluchzte, und konnte nur
Vergebung ſtammlen, die aber ſein Herz willig
zu geben ſchien. Mit aller Kraft, die der armen
Leidenden noch moͤglich war, riß ſie ſich jetzt aus
den Armen der Weiber empor, und ſtreckte ihre
Haͤnde flehend gegen die ganze Gemeinde. Ver-
gebt, verzeiht auch ihr, ſprach ſie, und laßt dem
ſchuldloſen Vater mein Verbrechen nicht entgelten.
Nein, nein! rief abermals die ganze Gemeinde.
Fluch treffe den, ſprach ein alter Bauer, der ihr
und ihm den geringſten Vorwurf macht! Fluch!
Fluch treffe ihn! ſchrien alle.
Der getroͤſtete Vater ſchlich nun nach der Sa-
kriſtei, der alte, taube Schulmeiſter, welcher
wahrſcheinlich von der herzangreifenden Szene
nichts verſtanden hatte, ſtimmte ein neues Lied an,
aber niemand war vermoͤgend mitzuſingen. Der
Gottesdienſt ſchloß ſich mit dem angenehmſten Op-
fer, mit Verſoͤhnung und Vergebung. Es war
ruͤhrend anzuſehen, wie jetzt die Weiber und Jung-
frauen die Leidende in ihrer Mitte nach Hauſe
fuͤhrten, wie die Maͤnner und Juͤnglinge ihren
alten Seelenhirten umgaben, ihn nochmals treu-
herzig ihrer vollen Liebe verſicherten, und auch
mit ihm nach der Pfarre zogen. Da Lottchen
ſchon unterwegs ohnmaͤchtig ward, ſo fuͤhrten ſie
die Weiber nach ihrer Kammer, und wachten von
nun an abwechſelnd an ihrem Krankenlager. Am
andern Morgen giengen zahlreiche Deputirte nach
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