Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.der Stadt, und brachten vom Superintendenten die der Stadt, und brachten vom Superintendenten die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0092" n="78"/> der Stadt, und brachten vom Superintendenten die<lb/> Verſicherung zuruͤck, daß auf ihre dringende Bitte<lb/> der Klage nicht gedacht werden ſollte. Eine volle<lb/> Woche verfloß nun ruhig, es beſſerte ſich mit Lott-<lb/> chen, und ihr alter Vater ſaß oft troͤſtend an ih-<lb/> rem Bette, und ermahnte ſie mit kraͤftigen Wor-<lb/> ten zur Standhaftigkeit, und Ausdauer in der har-<lb/> ten Pruͤfung. Eben war er Sonntags in die Kir-<lb/> che gegangen, als ſeine zwei andern Toͤchter aus<lb/> der Stadt anlangten, ſie hatten das dunkle Ge-<lb/> ruͤcht, welches ſich auch dort verbreitete, vernom-<lb/> men, wollten ſich mit eignen Augen uͤberzeugen<lb/> und uͤberhaͤuften nun die Ungluͤckliche mit den<lb/> ſchmaͤhlichſten, ſchrecklichſten Vorwuͤrfen. Haͤtten<lb/> nicht zwei ſtarke Bauerweiber an Lottchens Bette<lb/> gewacht, ſie wuͤrden in ihrer Wuth die Huͤlfloſe<lb/> erbaͤrmlich mißhandelt haben. Mit aͤhnlichem,<lb/> unnatuͤrlichem Grimme, und eben ſo beißenden<lb/> Vorwuͤrfen empfiengen ſie den alten Vater, als<lb/> er aus der Kirche kam, ſie nannten ihn einen<lb/> Kuppler ſeines eignen Kindes, und vergaßen der<lb/> Ehrfurcht ganz, die ſie dem Vater ſchuldig waren.<lb/> Der gekraͤnkte Alte antwortete nicht, verſperrte<lb/> ſich in ſeine Studierſtube, und uͤberließ ſich ſeinem<lb/> gerechten Schmerze. Wie die hartherzigen Schwe-<lb/> ſtern neue Angriffe auf die Ungluͤckliche wagten,<lb/> ſandten die Waͤchterinnen nach Huͤlfe: Weiber<lb/> und Maͤnner verſammelten ſich bald in Menge,<lb/> ſie ermahnten die Wuͤthenden mit kraͤftigen, baͤu-<lb/> riſchen Worten zur Schonung, ſie bewieſen ihnen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [78/0092]
der Stadt, und brachten vom Superintendenten die
Verſicherung zuruͤck, daß auf ihre dringende Bitte
der Klage nicht gedacht werden ſollte. Eine volle
Woche verfloß nun ruhig, es beſſerte ſich mit Lott-
chen, und ihr alter Vater ſaß oft troͤſtend an ih-
rem Bette, und ermahnte ſie mit kraͤftigen Wor-
ten zur Standhaftigkeit, und Ausdauer in der har-
ten Pruͤfung. Eben war er Sonntags in die Kir-
che gegangen, als ſeine zwei andern Toͤchter aus
der Stadt anlangten, ſie hatten das dunkle Ge-
ruͤcht, welches ſich auch dort verbreitete, vernom-
men, wollten ſich mit eignen Augen uͤberzeugen
und uͤberhaͤuften nun die Ungluͤckliche mit den
ſchmaͤhlichſten, ſchrecklichſten Vorwuͤrfen. Haͤtten
nicht zwei ſtarke Bauerweiber an Lottchens Bette
gewacht, ſie wuͤrden in ihrer Wuth die Huͤlfloſe
erbaͤrmlich mißhandelt haben. Mit aͤhnlichem,
unnatuͤrlichem Grimme, und eben ſo beißenden
Vorwuͤrfen empfiengen ſie den alten Vater, als
er aus der Kirche kam, ſie nannten ihn einen
Kuppler ſeines eignen Kindes, und vergaßen der
Ehrfurcht ganz, die ſie dem Vater ſchuldig waren.
Der gekraͤnkte Alte antwortete nicht, verſperrte
ſich in ſeine Studierſtube, und uͤberließ ſich ſeinem
gerechten Schmerze. Wie die hartherzigen Schwe-
ſtern neue Angriffe auf die Ungluͤckliche wagten,
ſandten die Waͤchterinnen nach Huͤlfe: Weiber
und Maͤnner verſammelten ſich bald in Menge,
ſie ermahnten die Wuͤthenden mit kraͤftigen, baͤu-
riſchen Worten zur Schonung, ſie bewieſen ihnen,
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