Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
man etwas hat, man kann Weib und Kinder er- nähren, darf sie nicht Hungers sterben sehen! Bester Herr, folgen sie meinem Rathe, es ist noch nicht aller Tage Abend, sammeln sie bei Zeiten, sonst werden sie einst schreckliche Dinge erleben! M. Freund. Was tragt ihr denn so schwer auf euerm Rücken? Franz. Vorrath! Vorrath! Es wird bald wieder eine Hungersnoth kommen, und dann wer- de ich redlich mit den Armen theilen, damit sie ihre Weiber und Kinder ernähren können. (mit Thränen) O Herr, es ist schrecklich, wenn man diese muß verhungern sehen, und nicht hel- fen kann! Schrecklich, schrecklich ist's! Ach, ich muß eilen, muß die gute Zeit nützen, ehe die böse erscheint. Der Unglückliche eilte nun unter der schweren
man etwas hat, man kann Weib und Kinder er- naͤhren, darf ſie nicht Hungers ſterben ſehen! Beſter Herr, folgen ſie meinem Rathe, es iſt noch nicht aller Tage Abend, ſammeln ſie bei Zeiten, ſonſt werden ſie einſt ſchreckliche Dinge erleben! M. Freund. Was tragt ihr denn ſo ſchwer auf euerm Ruͤcken? Franz. Vorrath! Vorrath! Es wird bald wieder eine Hungersnoth kommen, und dann wer- de ich redlich mit den Armen theilen, damit ſie ihre Weiber und Kinder ernaͤhren koͤnnen. (mit Thraͤnen) O Herr, es iſt ſchrecklich, wenn man dieſe muß verhungern ſehen, und nicht hel- fen kann! Schrecklich, ſchrecklich iſt's! Ach, ich muß eilen, muß die gute Zeit nuͤtzen, ehe die boͤſe erſcheint. Der Ungluͤckliche eilte nun unter der ſchweren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#FRANZ"> <p><pb facs="#f0101" n="93"/> man etwas hat, man kann Weib und Kinder er-<lb/> naͤhren, darf ſie nicht Hungers ſterben ſehen!<lb/> Beſter Herr, folgen ſie meinem Rathe, es iſt<lb/> noch nicht aller Tage Abend, ſammeln ſie bei<lb/> Zeiten, ſonſt werden ſie einſt ſchreckliche Dinge<lb/> erleben!</p> </sp><lb/> <sp who="#FREUN"> <speaker>M. <hi rendition="#g">Freund</hi>.</speaker> <p>Was tragt ihr denn ſo ſchwer<lb/> auf euerm Ruͤcken?</p> </sp><lb/> <sp who="#FRANZ"> <speaker><hi rendition="#g">Franz</hi>.</speaker> <p>Vorrath! Vorrath! Es wird bald<lb/> wieder eine Hungersnoth kommen, und dann wer-<lb/> de ich redlich mit den Armen theilen, damit ſie<lb/> ihre Weiber und Kinder ernaͤhren koͤnnen. <stage>(<hi rendition="#g">mit<lb/> Thraͤnen</hi>)</stage> O Herr, es iſt ſchrecklich, wenn<lb/> man dieſe muß verhungern ſehen, und nicht hel-<lb/> fen kann! Schrecklich, ſchrecklich iſt's! Ach,<lb/> ich muß eilen, muß die gute Zeit nuͤtzen, ehe<lb/> die boͤſe erſcheint.</p> </sp><lb/> <p>Der Ungluͤckliche eilte nun unter der ſchweren<lb/> Laſt keuchend weiter; da mein Freund ihm ins<lb/> nahe Dorf folgte, und dort den Pfarrer des Orts<lb/> traf, ſo erkundigte er ſich bei dieſem nach dem<lb/> merkwuͤrdigen Manne. Er erfuhr durch ihn ſeine<lb/> ganze Lebensgeſchichte, welche er ihm, als Wil-<lb/> helmine noch lebte, einſt erzaͤhlt und vertraut<lb/> hatte. Das Elend der ungluͤcklichen Familie,<lb/> fuͤgte der Pfarrer hinzu, waͤre nicht zu einem ſo<lb/> ſchrecklichen Grade geſtiegen, wenn ich damals<lb/> nicht ſelbſt dem Tode nahe geweſen waͤre, ich<lb/> konnte nicht mehr fuͤr ſie ſorgen, und erfuhr erſt<lb/> nach meiner langſamen Geneſung ihren Tod.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [93/0101]
man etwas hat, man kann Weib und Kinder er-
naͤhren, darf ſie nicht Hungers ſterben ſehen!
Beſter Herr, folgen ſie meinem Rathe, es iſt
noch nicht aller Tage Abend, ſammeln ſie bei
Zeiten, ſonſt werden ſie einſt ſchreckliche Dinge
erleben!
M. Freund. Was tragt ihr denn ſo ſchwer
auf euerm Ruͤcken?
Franz. Vorrath! Vorrath! Es wird bald
wieder eine Hungersnoth kommen, und dann wer-
de ich redlich mit den Armen theilen, damit ſie
ihre Weiber und Kinder ernaͤhren koͤnnen. (mit
Thraͤnen) O Herr, es iſt ſchrecklich, wenn
man dieſe muß verhungern ſehen, und nicht hel-
fen kann! Schrecklich, ſchrecklich iſt's! Ach,
ich muß eilen, muß die gute Zeit nuͤtzen, ehe
die boͤſe erſcheint.
Der Ungluͤckliche eilte nun unter der ſchweren
Laſt keuchend weiter; da mein Freund ihm ins
nahe Dorf folgte, und dort den Pfarrer des Orts
traf, ſo erkundigte er ſich bei dieſem nach dem
merkwuͤrdigen Manne. Er erfuhr durch ihn ſeine
ganze Lebensgeſchichte, welche er ihm, als Wil-
helmine noch lebte, einſt erzaͤhlt und vertraut
hatte. Das Elend der ungluͤcklichen Familie,
fuͤgte der Pfarrer hinzu, waͤre nicht zu einem ſo
ſchrecklichen Grade geſtiegen, wenn ich damals
nicht ſelbſt dem Tode nahe geweſen waͤre, ich
konnte nicht mehr fuͤr ſie ſorgen, und erfuhr erſt
nach meiner langſamen Geneſung ihren Tod.
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