ter, und das Bauerngut eine Wirthin forderte, so trennten die Unversöhnlichen sich zwar nicht völlig, aber sie lebten auch nicht als Eheleute, sprachen oft Wochenlang kein Wort mit einander, schliefen sogar in abgesonderten Kammern. Zwei Jahre nach dieser freiwilligen Trennung kam einst der Bauer zu seinem Richter, er erzählte ihm, daß seine Frau wahrscheinlich schwanger sei, und daß er sie mit einem Knechte im Verdachte habe. Auf seine weitere Bitte ließ der Richter die Be- schuldigte rufen, aber diese läugnete nicht nur die Vermuthung, sondern überhäufte auch ihren Mann mit vielen Schmähungen, weil er durch diesen falschen Verdacht ihre Ehre sehr gekränkt, ihren unbescholtenen Ruf offenbar verletzt habe. Der Mann ließ sich endlich durch den Richter zur Abbiete bewegen, und dieser hatte die Sache schon lang vergessen, als jener wieder bei ihm erschien, ihm aufs neue erzählte, daß sein Weib diese Nacht sehr wahrscheinlich ein Kind geboh- ren, aber eben so wahrscheinlich auch umgebracht habe. Ungeachtet der Richter dieser neuen Ver- muthung keinen Glauben beimaß, so ließ er sich doch überreden, mit dem Bauer nach seiner Woh- nung zu gehen, weil dieser ihm dort nähere Be- weise zu geben versprach.
Es war eben Sonntag und einer der kältesten Tage eines sehr strengen Winters; der Richter widersprach daher der Vermuthung laut, als er, wie sie in der Stube anlangten, nach der Frau
ter, und das Bauerngut eine Wirthin forderte, ſo trennten die Unverſoͤhnlichen ſich zwar nicht voͤllig, aber ſie lebten auch nicht als Eheleute, ſprachen oft Wochenlang kein Wort mit einander, ſchliefen ſogar in abgeſonderten Kammern. Zwei Jahre nach dieſer freiwilligen Trennung kam einſt der Bauer zu ſeinem Richter, er erzaͤhlte ihm, daß ſeine Frau wahrſcheinlich ſchwanger ſei, und daß er ſie mit einem Knechte im Verdachte habe. Auf ſeine weitere Bitte ließ der Richter die Be- ſchuldigte rufen, aber dieſe laͤugnete nicht nur die Vermuthung, ſondern uͤberhaͤufte auch ihren Mann mit vielen Schmaͤhungen, weil er durch dieſen falſchen Verdacht ihre Ehre ſehr gekraͤnkt, ihren unbeſcholtenen Ruf offenbar verletzt habe. Der Mann ließ ſich endlich durch den Richter zur Abbiete bewegen, und dieſer hatte die Sache ſchon lang vergeſſen, als jener wieder bei ihm erſchien, ihm aufs neue erzaͤhlte, daß ſein Weib dieſe Nacht ſehr wahrſcheinlich ein Kind geboh- ren, aber eben ſo wahrſcheinlich auch umgebracht habe. Ungeachtet der Richter dieſer neuen Ver- muthung keinen Glauben beimaß, ſo ließ er ſich doch uͤberreden, mit dem Bauer nach ſeiner Woh- nung zu gehen, weil dieſer ihm dort naͤhere Be- weiſe zu geben verſprach.
Es war eben Sonntag und einer der kaͤlteſten Tage eines ſehr ſtrengen Winters; der Richter widerſprach daher der Vermuthung laut, als er, wie ſie in der Stube anlangten, nach der Frau
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ter, und das Bauerngut eine Wirthin forderte,
ſo trennten die Unverſoͤhnlichen ſich zwar nicht
voͤllig, aber ſie lebten auch nicht als Eheleute,
ſprachen oft Wochenlang kein Wort mit einander,
ſchliefen ſogar in abgeſonderten Kammern. Zwei
Jahre nach dieſer freiwilligen Trennung kam einſt
der Bauer zu ſeinem Richter, er erzaͤhlte ihm, daß
ſeine Frau wahrſcheinlich ſchwanger ſei, und daß
er ſie mit einem Knechte im Verdachte habe.
Auf ſeine weitere Bitte ließ der Richter die Be-
ſchuldigte rufen, aber dieſe laͤugnete nicht nur
die Vermuthung, ſondern uͤberhaͤufte auch ihren
Mann mit vielen Schmaͤhungen, weil er durch
dieſen falſchen Verdacht ihre Ehre ſehr gekraͤnkt,
ihren unbeſcholtenen Ruf offenbar verletzt habe.
Der Mann ließ ſich endlich durch den Richter
zur Abbiete bewegen, und dieſer hatte die Sache
ſchon lang vergeſſen, als jener wieder bei ihm
erſchien, ihm aufs neue erzaͤhlte, daß ſein Weib
dieſe Nacht ſehr wahrſcheinlich ein Kind geboh-
ren, aber eben ſo wahrſcheinlich auch umgebracht
habe. Ungeachtet der Richter dieſer neuen Ver-
muthung keinen Glauben beimaß, ſo ließ er ſich
doch uͤberreden, mit dem Bauer nach ſeiner Woh-
nung zu gehen, weil dieſer ihm dort naͤhere Be-
weiſe zu geben verſprach.
Es war eben Sonntag und einer der kaͤlteſten
Tage eines ſehr ſtrengen Winters; der Richter
widerſprach daher der Vermuthung laut, als er,
wie ſie in der Stube anlangten, nach der Frau
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/103>, abgerufen am 26.06.2024.
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