Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Ihr Vater und Bräutigam ward indeß immer
dringender, der leztere eilte um so stärker, weil
sich mit jedem Tage sein Tod sichtbar nahte, und
er die wenigen Tage seines Lebens gerne noch in
den Armen des schönsten Mädchens genießen woll-
te. Ungeachtet ihm Karoline nie gegründete Hoff-
nung machte, ihren Vater immer um Abände-
rung flehte, so ward doch kurz nachher der Tag
zur Verlobung angesetzt.

Diesen wollte und konnte Karoline nicht er-
warten, sie entfloh in der Nacht, welche diesem
vorangieng, an dem Arme ihres Geliebten aus
dem väterlichen Hause; ehe man sie dort vermiß-
te, waren die Flüchtlinge schon glücklich über die
Rheinbrücke gegangen, hatten die deutschen Gren-
zen erreicht, und setzten sich dort in den bereitste-
henden Wagen, welchen Konrad schon lange vor-
her besorgt hatte. Sie kamen unerkannt bis
Augsburg; da Karoline aus Erfahrung wußte,
daß die dortigen Wechsler mit Frankreichs Ban-
ken in großer Verbindung standen, so beschloß sie
hier, ihre französischen Papiere, sei's auch mit
Verlust, in baares Geld zu verwandeln.

Konrad, welcher sich schon zu Strasburg, von
Karolinen unterstützt, schönere Kleider gekauft
hatte, in diesen einem Manne ähnlich sah, den
der Besitz so vieler Wechsel nicht verdächtig ma-
chen konnte, übernahms, von Karolinen unter-

Zweit. Bändch. H

Ihr Vater und Braͤutigam ward indeß immer
dringender, der leztere eilte um ſo ſtaͤrker, weil
ſich mit jedem Tage ſein Tod ſichtbar nahte, und
er die wenigen Tage ſeines Lebens gerne noch in
den Armen des ſchoͤnſten Maͤdchens genießen woll-
te. Ungeachtet ihm Karoline nie gegruͤndete Hoff-
nung machte, ihren Vater immer um Abaͤnde-
rung flehte, ſo ward doch kurz nachher der Tag
zur Verlobung angeſetzt.

Dieſen wollte und konnte Karoline nicht er-
warten, ſie entfloh in der Nacht, welche dieſem
vorangieng, an dem Arme ihres Geliebten aus
dem vaͤterlichen Hauſe; ehe man ſie dort vermiß-
te, waren die Fluͤchtlinge ſchon gluͤcklich uͤber die
Rheinbruͤcke gegangen, hatten die deutſchen Gren-
zen erreicht, und ſetzten ſich dort in den bereitſte-
henden Wagen, welchen Konrad ſchon lange vor-
her beſorgt hatte. Sie kamen unerkannt bis
Augsburg; da Karoline aus Erfahrung wußte,
daß die dortigen Wechsler mit Frankreichs Ban-
ken in großer Verbindung ſtanden, ſo beſchloß ſie
hier, ihre franzoͤſiſchen Papiere, ſei's auch mit
Verluſt, in baares Geld zu verwandeln.

Konrad, welcher ſich ſchon zu Strasburg, von
Karolinen unterſtuͤtzt, ſchoͤnere Kleider gekauft
hatte, in dieſen einem Manne aͤhnlich ſah, den
der Beſitz ſo vieler Wechſel nicht verdaͤchtig ma-
chen konnte, uͤbernahms, von Karolinen unter-

Zweit. Baͤndch. H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0121" n="113"/>
        <p>Ihr Vater und Bra&#x0364;utigam ward indeß immer<lb/>
dringender, der leztere eilte um &#x017F;o &#x017F;ta&#x0364;rker, weil<lb/>
&#x017F;ich mit jedem Tage &#x017F;ein Tod &#x017F;ichtbar nahte, und<lb/>
er die wenigen Tage &#x017F;eines Lebens gerne noch in<lb/>
den Armen des &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Ma&#x0364;dchens genießen woll-<lb/>
te. Ungeachtet ihm Karoline nie gegru&#x0364;ndete Hoff-<lb/>
nung machte, ihren Vater immer um Aba&#x0364;nde-<lb/>
rung flehte, &#x017F;o ward doch kurz nachher der Tag<lb/>
zur Verlobung ange&#x017F;etzt.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;en wollte und konnte Karoline nicht er-<lb/>
warten, &#x017F;ie entfloh in der Nacht, welche die&#x017F;em<lb/>
vorangieng, an dem Arme ihres Geliebten aus<lb/>
dem va&#x0364;terlichen Hau&#x017F;e; ehe man &#x017F;ie dort vermiß-<lb/>
te, waren die Flu&#x0364;chtlinge &#x017F;chon glu&#x0364;cklich u&#x0364;ber die<lb/>
Rheinbru&#x0364;cke gegangen, hatten die deut&#x017F;chen Gren-<lb/>
zen erreicht, und &#x017F;etzten &#x017F;ich dort in den bereit&#x017F;te-<lb/>
henden Wagen, welchen Konrad &#x017F;chon lange vor-<lb/>
her be&#x017F;orgt hatte. Sie kamen unerkannt bis<lb/>
Augsburg; da Karoline aus Erfahrung wußte,<lb/>
daß die dortigen Wechsler mit Frankreichs Ban-<lb/>
ken in großer Verbindung &#x017F;tanden, &#x017F;o be&#x017F;chloß &#x017F;ie<lb/>
hier, ihre franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Papiere, &#x017F;ei's auch mit<lb/>
Verlu&#x017F;t, in baares Geld zu verwandeln.</p><lb/>
        <p>Konrad, welcher &#x017F;ich &#x017F;chon zu Strasburg, von<lb/>
Karolinen unter&#x017F;tu&#x0364;tzt, &#x017F;cho&#x0364;nere Kleider gekauft<lb/>
hatte, in die&#x017F;en einem Manne a&#x0364;hnlich &#x017F;ah, den<lb/>
der Be&#x017F;itz &#x017F;o vieler Wech&#x017F;el nicht verda&#x0364;chtig ma-<lb/>
chen konnte, u&#x0364;bernahms, von Karolinen unter-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Zweit. Ba&#x0364;ndch. H</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0121] Ihr Vater und Braͤutigam ward indeß immer dringender, der leztere eilte um ſo ſtaͤrker, weil ſich mit jedem Tage ſein Tod ſichtbar nahte, und er die wenigen Tage ſeines Lebens gerne noch in den Armen des ſchoͤnſten Maͤdchens genießen woll- te. Ungeachtet ihm Karoline nie gegruͤndete Hoff- nung machte, ihren Vater immer um Abaͤnde- rung flehte, ſo ward doch kurz nachher der Tag zur Verlobung angeſetzt. Dieſen wollte und konnte Karoline nicht er- warten, ſie entfloh in der Nacht, welche dieſem vorangieng, an dem Arme ihres Geliebten aus dem vaͤterlichen Hauſe; ehe man ſie dort vermiß- te, waren die Fluͤchtlinge ſchon gluͤcklich uͤber die Rheinbruͤcke gegangen, hatten die deutſchen Gren- zen erreicht, und ſetzten ſich dort in den bereitſte- henden Wagen, welchen Konrad ſchon lange vor- her beſorgt hatte. Sie kamen unerkannt bis Augsburg; da Karoline aus Erfahrung wußte, daß die dortigen Wechsler mit Frankreichs Ban- ken in großer Verbindung ſtanden, ſo beſchloß ſie hier, ihre franzoͤſiſchen Papiere, ſei's auch mit Verluſt, in baares Geld zu verwandeln. Konrad, welcher ſich ſchon zu Strasburg, von Karolinen unterſtuͤtzt, ſchoͤnere Kleider gekauft hatte, in dieſen einem Manne aͤhnlich ſah, den der Beſitz ſo vieler Wechſel nicht verdaͤchtig ma- chen konnte, uͤbernahms, von Karolinen unter- Zweit. Baͤndch. H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/121
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/121>, abgerufen am 21.11.2024.