Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.Groß war Karolinens Freude, hoch und innig Karolinens Vater, der sein Leiden fühlte, und Groß war Karolinens Freude, hoch und innig Karolinens Vater, der ſein Leiden fuͤhlte, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0140" n="132"/> <p>Groß war Karolinens Freude, hoch und innig<lb/> ihr Gefuͤhl, als ſie nach ſo vieler Angſt und Lei-<lb/> den im Arme des Allgeliebten ruhen, mit Gewiß-<lb/> heit hoffen konnte, daß er bald ihr ſeyn wuͤrde<lb/> auf ewig. Konrad ſuchte zwar dieſe Freude auch<lb/> zu genießen und zu fuͤhlen, aber die Kraft, wel-<lb/> che ihm ſein Leiden und die nahe Todesgefahr ge-<lb/> raubt hatte, mangelte ganz, er glaubte immer<lb/> nur zu traͤumen, immer ſchwebte noch Folter und<lb/> Bilder des Todes vor ihm, wenn er Karolinens<lb/> feurigen Kuß erwiedern wollte. Jedes Geraͤuſch,<lb/> das dem Geklirre der Ketten nur in der Ferne<lb/> glich, ſchreckte ihn hoch empor, er mußte dann<lb/> lange kaͤmpfen, ehe er ſeine erhitzte Einbildungs-<lb/> kraft uͤberreden konnte, daß er nicht mehr im<lb/> Kerker ſchmachte, nicht mehr mit Ketten belaſtet<lb/> ſei. Nach und nach verlohren ſich zwar dieſe<lb/> Vorſtellungen, er war oft froͤhlich und munter,<lb/> aber doch weit oͤfterer traurig, oft ſogar wahrhaft<lb/> melancholiſch. Unwillkuͤhrliche Thraͤnen rollten<lb/> dann uͤber ſeine Wangen, die ſelbſt Karolinens<lb/> Kuß und Bitte nicht ſtillen konnte; er war gern<lb/> allein, und traͤumte ſich dann, ſeinem eignen Ge-<lb/> ſtaͤndniſſe nach, immer wieder im Kerker.</p><lb/> <p>Karolinens Vater, der ſein Leiden fuͤhlte, und<lb/> wirklich innigen Antheil daran nahm, bemuͤhte<lb/> ſich ebenfalls nach allen Kraͤften, ihn zu ermun-<lb/> tern und zu troͤſten. Er liebte Konraden jetzt<lb/> gleich einem Sohne. Vermehrung ſeines Reich-<lb/> thums war freilich eine ſeiner Hauptleidenſchaf-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [132/0140]
Groß war Karolinens Freude, hoch und innig
ihr Gefuͤhl, als ſie nach ſo vieler Angſt und Lei-
den im Arme des Allgeliebten ruhen, mit Gewiß-
heit hoffen konnte, daß er bald ihr ſeyn wuͤrde
auf ewig. Konrad ſuchte zwar dieſe Freude auch
zu genießen und zu fuͤhlen, aber die Kraft, wel-
che ihm ſein Leiden und die nahe Todesgefahr ge-
raubt hatte, mangelte ganz, er glaubte immer
nur zu traͤumen, immer ſchwebte noch Folter und
Bilder des Todes vor ihm, wenn er Karolinens
feurigen Kuß erwiedern wollte. Jedes Geraͤuſch,
das dem Geklirre der Ketten nur in der Ferne
glich, ſchreckte ihn hoch empor, er mußte dann
lange kaͤmpfen, ehe er ſeine erhitzte Einbildungs-
kraft uͤberreden konnte, daß er nicht mehr im
Kerker ſchmachte, nicht mehr mit Ketten belaſtet
ſei. Nach und nach verlohren ſich zwar dieſe
Vorſtellungen, er war oft froͤhlich und munter,
aber doch weit oͤfterer traurig, oft ſogar wahrhaft
melancholiſch. Unwillkuͤhrliche Thraͤnen rollten
dann uͤber ſeine Wangen, die ſelbſt Karolinens
Kuß und Bitte nicht ſtillen konnte; er war gern
allein, und traͤumte ſich dann, ſeinem eignen Ge-
ſtaͤndniſſe nach, immer wieder im Kerker.
Karolinens Vater, der ſein Leiden fuͤhlte, und
wirklich innigen Antheil daran nahm, bemuͤhte
ſich ebenfalls nach allen Kraͤften, ihn zu ermun-
tern und zu troͤſten. Er liebte Konraden jetzt
gleich einem Sohne. Vermehrung ſeines Reich-
thums war freilich eine ſeiner Hauptleidenſchaf-
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